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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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nach Ostpreußen und die nach Mittel- und Ostgalizien führenden leistungs¬
fähigen Verbindungen des Gegners bedroht werden können und sich günstige
Operationsrichtungen ableiten lassen, ist andrerseits aber auch von beiden
Flanken her umfaßt, vom Hinterkante durch mehrere Strombarriereu, darunter
von der der Weichsel getrennt und steht mit diesem nur durch wenige feste
Brücken und Kommunikationen im Zusammenhange. Der Maugel an aus-
gesprochnen Grenzhindernissen hob die Weichselbarriere von der Grenze bis Plock
zu einer natürlichen Verteidigungslinie. Die Weichsel ist abwärts von der
österreichischen Grenze durch Wassermasse, Ufer- und Talbeschaffenhcit jederzeit
ein mächtiges Hindernis, sie ist bis Warschau 300 bis 900 Meter breit und
2 bis 7 Meter tief, abwärts vou Warschau 400 bis 1100 Meter breit und
2 bis 9 Meter tief, die Talsohle 3 bis 20 Kilometer breit und mit zahllosen
versumpften Wasseradern, toten Armen, Tümpeln, Gräben, Weichland, nassen
Wiesen, großen Waldkomplexen und dichtem Weidegcbüsch bedeckt, wodurch der
Anmarsch zur Übergangsstelle, der Brückenschlag, die Heranschaffung des Mate¬
rials, der Übergang selbst sehr erschwert werden; Kriegsbrücken sind infolge
des sich oft plötzlich ändernden Wasserstandes von zu geringer Sicherheit, es
müssen vielmehr schwere Brücken erbaut werden. Von sehr bedeutendem Werte
sind somit die schon bestehenden Übergänge permanenten Charakters; im Feld¬
zuge 1331 konnten die Russen eben aus Maugel an festen Übergängen über das
große Stromhindernis von ihrer Übermacht nicht den Gebrauch macheu, der
den Feldzug um Monate früher beendet Hütte. Die Erkenntnis der Bedeutung
permanenter Übergänge über die Weichsel kommt auch in der Befestigung jener
Örtlichkeiten zum Ausdruck, wo solche Übergänge bestehn; diese Übergänge
sichern die Verbindung einer in Westpolen stehenden russischen Armee, was im
Hinblick auf die Möglichkeit von Umgehungen der Weichselbarriere über Ost¬
preußen oder Mittel- und Ostgalizien von Wichtigkeit ist. Befestigt sind
Jwangorod, Warschau und Rooo Georgiewsk.

Jwangorod liegt an der Mündung des^Wieprz in die Weichsel, Hinder¬
nisse, die beide innerhalb der Festung permanent überbrückt sind; die Wieprz-
brücken bei Bobrowniti, 3,5 Kilometer, und bei Sarny, 8 Kilometer vom Gürtel
entfernt, stehn unter dessen Einwirkung. Jwangorod ist Lagerfestung und doppelter
Brückenkopf, Stützpunkt für die Weichsel- und Wieprzvcrteidigung, sperrt drei
Bahnen, mehrere Straßen und die Weichselschiffahrt. Die Stadt hat nur geringe
Bedeutung. Jwangorod ist eine cmsgesprochne Militärfestung. Das noyau
liegt rechts der Weichsel und besteht aus einer altartigen, gegen indirekten Schuß
nicht gedeckten bastionierteu Umfassung mit einer Reihe von Außen- und Vor¬
werken am rechten Weichsel- und Wieprzufer und dem diese am linken Weichsel¬
ufer ergänzenden Fort Gorczcckow, die in ihrer Gesamtheit eine den modernen
Anforderungen allerdings nicht entsprechende Brückensicherung vorstellen.

Der Gürtel umgibt die Stadt auf einem Umfange von 20 Kilometern,
ist von den Brücken 2,2 bis 3,8 Kilometer entfernt, die Giirtelforts nnter-


nach Ostpreußen und die nach Mittel- und Ostgalizien führenden leistungs¬
fähigen Verbindungen des Gegners bedroht werden können und sich günstige
Operationsrichtungen ableiten lassen, ist andrerseits aber auch von beiden
Flanken her umfaßt, vom Hinterkante durch mehrere Strombarriereu, darunter
von der der Weichsel getrennt und steht mit diesem nur durch wenige feste
Brücken und Kommunikationen im Zusammenhange. Der Maugel an aus-
gesprochnen Grenzhindernissen hob die Weichselbarriere von der Grenze bis Plock
zu einer natürlichen Verteidigungslinie. Die Weichsel ist abwärts von der
österreichischen Grenze durch Wassermasse, Ufer- und Talbeschaffenhcit jederzeit
ein mächtiges Hindernis, sie ist bis Warschau 300 bis 900 Meter breit und
2 bis 7 Meter tief, abwärts vou Warschau 400 bis 1100 Meter breit und
2 bis 9 Meter tief, die Talsohle 3 bis 20 Kilometer breit und mit zahllosen
versumpften Wasseradern, toten Armen, Tümpeln, Gräben, Weichland, nassen
Wiesen, großen Waldkomplexen und dichtem Weidegcbüsch bedeckt, wodurch der
Anmarsch zur Übergangsstelle, der Brückenschlag, die Heranschaffung des Mate¬
rials, der Übergang selbst sehr erschwert werden; Kriegsbrücken sind infolge
des sich oft plötzlich ändernden Wasserstandes von zu geringer Sicherheit, es
müssen vielmehr schwere Brücken erbaut werden. Von sehr bedeutendem Werte
sind somit die schon bestehenden Übergänge permanenten Charakters; im Feld¬
zuge 1331 konnten die Russen eben aus Maugel an festen Übergängen über das
große Stromhindernis von ihrer Übermacht nicht den Gebrauch macheu, der
den Feldzug um Monate früher beendet Hütte. Die Erkenntnis der Bedeutung
permanenter Übergänge über die Weichsel kommt auch in der Befestigung jener
Örtlichkeiten zum Ausdruck, wo solche Übergänge bestehn; diese Übergänge
sichern die Verbindung einer in Westpolen stehenden russischen Armee, was im
Hinblick auf die Möglichkeit von Umgehungen der Weichselbarriere über Ost¬
preußen oder Mittel- und Ostgalizien von Wichtigkeit ist. Befestigt sind
Jwangorod, Warschau und Rooo Georgiewsk.

Jwangorod liegt an der Mündung des^Wieprz in die Weichsel, Hinder¬
nisse, die beide innerhalb der Festung permanent überbrückt sind; die Wieprz-
brücken bei Bobrowniti, 3,5 Kilometer, und bei Sarny, 8 Kilometer vom Gürtel
entfernt, stehn unter dessen Einwirkung. Jwangorod ist Lagerfestung und doppelter
Brückenkopf, Stützpunkt für die Weichsel- und Wieprzvcrteidigung, sperrt drei
Bahnen, mehrere Straßen und die Weichselschiffahrt. Die Stadt hat nur geringe
Bedeutung. Jwangorod ist eine cmsgesprochne Militärfestung. Das noyau
liegt rechts der Weichsel und besteht aus einer altartigen, gegen indirekten Schuß
nicht gedeckten bastionierteu Umfassung mit einer Reihe von Außen- und Vor¬
werken am rechten Weichsel- und Wieprzufer und dem diese am linken Weichsel¬
ufer ergänzenden Fort Gorczcckow, die in ihrer Gesamtheit eine den modernen
Anforderungen allerdings nicht entsprechende Brückensicherung vorstellen.

Der Gürtel umgibt die Stadt auf einem Umfange von 20 Kilometern,
ist von den Brücken 2,2 bis 3,8 Kilometer entfernt, die Giirtelforts nnter-


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[0310] nach Ostpreußen und die nach Mittel- und Ostgalizien führenden leistungs¬ fähigen Verbindungen des Gegners bedroht werden können und sich günstige Operationsrichtungen ableiten lassen, ist andrerseits aber auch von beiden Flanken her umfaßt, vom Hinterkante durch mehrere Strombarriereu, darunter von der der Weichsel getrennt und steht mit diesem nur durch wenige feste Brücken und Kommunikationen im Zusammenhange. Der Maugel an aus- gesprochnen Grenzhindernissen hob die Weichselbarriere von der Grenze bis Plock zu einer natürlichen Verteidigungslinie. Die Weichsel ist abwärts von der österreichischen Grenze durch Wassermasse, Ufer- und Talbeschaffenhcit jederzeit ein mächtiges Hindernis, sie ist bis Warschau 300 bis 900 Meter breit und 2 bis 7 Meter tief, abwärts vou Warschau 400 bis 1100 Meter breit und 2 bis 9 Meter tief, die Talsohle 3 bis 20 Kilometer breit und mit zahllosen versumpften Wasseradern, toten Armen, Tümpeln, Gräben, Weichland, nassen Wiesen, großen Waldkomplexen und dichtem Weidegcbüsch bedeckt, wodurch der Anmarsch zur Übergangsstelle, der Brückenschlag, die Heranschaffung des Mate¬ rials, der Übergang selbst sehr erschwert werden; Kriegsbrücken sind infolge des sich oft plötzlich ändernden Wasserstandes von zu geringer Sicherheit, es müssen vielmehr schwere Brücken erbaut werden. Von sehr bedeutendem Werte sind somit die schon bestehenden Übergänge permanenten Charakters; im Feld¬ zuge 1331 konnten die Russen eben aus Maugel an festen Übergängen über das große Stromhindernis von ihrer Übermacht nicht den Gebrauch macheu, der den Feldzug um Monate früher beendet Hütte. Die Erkenntnis der Bedeutung permanenter Übergänge über die Weichsel kommt auch in der Befestigung jener Örtlichkeiten zum Ausdruck, wo solche Übergänge bestehn; diese Übergänge sichern die Verbindung einer in Westpolen stehenden russischen Armee, was im Hinblick auf die Möglichkeit von Umgehungen der Weichselbarriere über Ost¬ preußen oder Mittel- und Ostgalizien von Wichtigkeit ist. Befestigt sind Jwangorod, Warschau und Rooo Georgiewsk. Jwangorod liegt an der Mündung des^Wieprz in die Weichsel, Hinder¬ nisse, die beide innerhalb der Festung permanent überbrückt sind; die Wieprz- brücken bei Bobrowniti, 3,5 Kilometer, und bei Sarny, 8 Kilometer vom Gürtel entfernt, stehn unter dessen Einwirkung. Jwangorod ist Lagerfestung und doppelter Brückenkopf, Stützpunkt für die Weichsel- und Wieprzvcrteidigung, sperrt drei Bahnen, mehrere Straßen und die Weichselschiffahrt. Die Stadt hat nur geringe Bedeutung. Jwangorod ist eine cmsgesprochne Militärfestung. Das noyau liegt rechts der Weichsel und besteht aus einer altartigen, gegen indirekten Schuß nicht gedeckten bastionierteu Umfassung mit einer Reihe von Außen- und Vor¬ werken am rechten Weichsel- und Wieprzufer und dem diese am linken Weichsel¬ ufer ergänzenden Fort Gorczcckow, die in ihrer Gesamtheit eine den modernen Anforderungen allerdings nicht entsprechende Brückensicherung vorstellen. Der Gürtel umgibt die Stadt auf einem Umfange von 20 Kilometern, ist von den Brücken 2,2 bis 3,8 Kilometer entfernt, die Giirtelforts nnter-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/310>, abgerufen am 24.08.2024.