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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Thackeray

und Ruhm in alle Lande. Das Werk des Tintemnenschen wird nicht so
offenbar. Denn -- das kann man zu Ehren des Tinteumenschen sagen --
den meisten ist doch nicht das Schreiben Selbstzweck, sondern sie wollen durch
ihr Schreiben irgendeinen andern Zweck erreichen. So ist der Polizeiverwalter
nicht zufrieden, wenn er seine polizeiliche Verfügung schriftlich abgesetzt hat, erst
wem? zum Beispiel der Weg auch wirklich instandgcsetzt worden ist; so begnügt
sich der Vormundschaftsrichter nicht damit, ein gepfeffertes Schreiben an deu
Pflichtvergessenen Vormund zu Papier zu bringen; er beruhigt sich erst, wenn
der Vormund dem auch nachgekommen ist, und so fort. Und doch bleibt das Schrift¬
stück das einzig Sichtbare an dem Werke des Tintemnenschen. Darum gebietet ihm
schon die Rücksicht auf seine eigne Ehre und Reputation, dieses so einzurichten,
daß es auch begründeter Kritik standhält. Und darin sollte sich der Tintenmensch
an dem Baumeister ein Muster nehmen. Kein Baumeister richtet den Bau so
ein, daß mitten zwischen dem regelmäßigen Gefüge der Steine ein Stein un¬
motiviert hervorsteht, kein Baumeister wird eine Wand schief und krumm auf¬
bauen, denn er scheut die Kritik. Der Tintenmensch soll sich nicht sicher
glauben im Schutze und Staube seiner Akten. Daß leider noch oft mit der
Tinte recht schlecht "gebaut" wird, zu zeigen und damit zur Besserung anzu¬
regen, war der Zweck meiner Plauderei.




Thackeray
A. Hactmanil von

>el der Betrachtung einer Periode der Weltgeschichte im Zusammen¬
hang mit dem Charakter der Müuncr, in deren Leben und Schaffen
sich die Tendenzen und Bestrebungen ihres Zeitalters wie in
seinem Brennpunkt vereinigen, fallen zwei große Gruppen von
jcistern ins Auge: die eine, die der im eigentlichen Sinne
genialen, originellen Menschen, der himmelstürmenden Feuergeister, deren Ideen
von den Mitlebenden nur halb verstanden, oft angefeindet werden und erst
unter spätern, zu ihrem Verständnis heranreifenden Generationen voll erkannt
und gewürdigt werden. Dahin gehören Newton, Galilei, Rousseau. Ohne sie
und ihresgleichen fehlte es an Fortschritt und Bewegung, wäre die Ent¬
wicklung der Menschheit einer geistigen Erstarrung preisgegeben; sie allein
bilden das belebende, zeugende, neuschaffende Element im Völkerleben, und ist
ihr Auftreten auch notwendigerweise revolutionär, sind ihre Bestrebungen
mit den Gewohnheiten und den geheiligten Rechten der Gegenwart nicht zu
vereinbaren, so ist doch gerade der Kampf, den jene zu bestehn haben, eine


Thackeray

und Ruhm in alle Lande. Das Werk des Tintemnenschen wird nicht so
offenbar. Denn — das kann man zu Ehren des Tinteumenschen sagen —
den meisten ist doch nicht das Schreiben Selbstzweck, sondern sie wollen durch
ihr Schreiben irgendeinen andern Zweck erreichen. So ist der Polizeiverwalter
nicht zufrieden, wenn er seine polizeiliche Verfügung schriftlich abgesetzt hat, erst
wem? zum Beispiel der Weg auch wirklich instandgcsetzt worden ist; so begnügt
sich der Vormundschaftsrichter nicht damit, ein gepfeffertes Schreiben an deu
Pflichtvergessenen Vormund zu Papier zu bringen; er beruhigt sich erst, wenn
der Vormund dem auch nachgekommen ist, und so fort. Und doch bleibt das Schrift¬
stück das einzig Sichtbare an dem Werke des Tintemnenschen. Darum gebietet ihm
schon die Rücksicht auf seine eigne Ehre und Reputation, dieses so einzurichten,
daß es auch begründeter Kritik standhält. Und darin sollte sich der Tintenmensch
an dem Baumeister ein Muster nehmen. Kein Baumeister richtet den Bau so
ein, daß mitten zwischen dem regelmäßigen Gefüge der Steine ein Stein un¬
motiviert hervorsteht, kein Baumeister wird eine Wand schief und krumm auf¬
bauen, denn er scheut die Kritik. Der Tintenmensch soll sich nicht sicher
glauben im Schutze und Staube seiner Akten. Daß leider noch oft mit der
Tinte recht schlecht „gebaut" wird, zu zeigen und damit zur Besserung anzu¬
regen, war der Zweck meiner Plauderei.




Thackeray
A. Hactmanil von

>el der Betrachtung einer Periode der Weltgeschichte im Zusammen¬
hang mit dem Charakter der Müuncr, in deren Leben und Schaffen
sich die Tendenzen und Bestrebungen ihres Zeitalters wie in
seinem Brennpunkt vereinigen, fallen zwei große Gruppen von
jcistern ins Auge: die eine, die der im eigentlichen Sinne
genialen, originellen Menschen, der himmelstürmenden Feuergeister, deren Ideen
von den Mitlebenden nur halb verstanden, oft angefeindet werden und erst
unter spätern, zu ihrem Verständnis heranreifenden Generationen voll erkannt
und gewürdigt werden. Dahin gehören Newton, Galilei, Rousseau. Ohne sie
und ihresgleichen fehlte es an Fortschritt und Bewegung, wäre die Ent¬
wicklung der Menschheit einer geistigen Erstarrung preisgegeben; sie allein
bilden das belebende, zeugende, neuschaffende Element im Völkerleben, und ist
ihr Auftreten auch notwendigerweise revolutionär, sind ihre Bestrebungen
mit den Gewohnheiten und den geheiligten Rechten der Gegenwart nicht zu
vereinbaren, so ist doch gerade der Kampf, den jene zu bestehn haben, eine


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[0287] Thackeray und Ruhm in alle Lande. Das Werk des Tintemnenschen wird nicht so offenbar. Denn — das kann man zu Ehren des Tinteumenschen sagen — den meisten ist doch nicht das Schreiben Selbstzweck, sondern sie wollen durch ihr Schreiben irgendeinen andern Zweck erreichen. So ist der Polizeiverwalter nicht zufrieden, wenn er seine polizeiliche Verfügung schriftlich abgesetzt hat, erst wem? zum Beispiel der Weg auch wirklich instandgcsetzt worden ist; so begnügt sich der Vormundschaftsrichter nicht damit, ein gepfeffertes Schreiben an deu Pflichtvergessenen Vormund zu Papier zu bringen; er beruhigt sich erst, wenn der Vormund dem auch nachgekommen ist, und so fort. Und doch bleibt das Schrift¬ stück das einzig Sichtbare an dem Werke des Tintemnenschen. Darum gebietet ihm schon die Rücksicht auf seine eigne Ehre und Reputation, dieses so einzurichten, daß es auch begründeter Kritik standhält. Und darin sollte sich der Tintenmensch an dem Baumeister ein Muster nehmen. Kein Baumeister richtet den Bau so ein, daß mitten zwischen dem regelmäßigen Gefüge der Steine ein Stein un¬ motiviert hervorsteht, kein Baumeister wird eine Wand schief und krumm auf¬ bauen, denn er scheut die Kritik. Der Tintenmensch soll sich nicht sicher glauben im Schutze und Staube seiner Akten. Daß leider noch oft mit der Tinte recht schlecht „gebaut" wird, zu zeigen und damit zur Besserung anzu¬ regen, war der Zweck meiner Plauderei. Thackeray A. Hactmanil von >el der Betrachtung einer Periode der Weltgeschichte im Zusammen¬ hang mit dem Charakter der Müuncr, in deren Leben und Schaffen sich die Tendenzen und Bestrebungen ihres Zeitalters wie in seinem Brennpunkt vereinigen, fallen zwei große Gruppen von jcistern ins Auge: die eine, die der im eigentlichen Sinne genialen, originellen Menschen, der himmelstürmenden Feuergeister, deren Ideen von den Mitlebenden nur halb verstanden, oft angefeindet werden und erst unter spätern, zu ihrem Verständnis heranreifenden Generationen voll erkannt und gewürdigt werden. Dahin gehören Newton, Galilei, Rousseau. Ohne sie und ihresgleichen fehlte es an Fortschritt und Bewegung, wäre die Ent¬ wicklung der Menschheit einer geistigen Erstarrung preisgegeben; sie allein bilden das belebende, zeugende, neuschaffende Element im Völkerleben, und ist ihr Auftreten auch notwendigerweise revolutionär, sind ihre Bestrebungen mit den Gewohnheiten und den geheiligten Rechten der Gegenwart nicht zu vereinbaren, so ist doch gerade der Kampf, den jene zu bestehn haben, eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/287>, abgerufen am 22.07.2024.