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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Über den Aanzleistil

Beispiel heißt: "Das Gericht schließt sich der Ansicht an, daß in dem vorge¬
legten Maschinenteil eine wesentliche, zur Erleichterung der Anwendung bei¬
tragende neue Erfindung ..." so schaut der Erfinder schon stolz um sich; hört
er aber dann: "nicht gemacht sei", so füllt er aus allen Wolken. Weshalb ihm
diese Enttäuschung bereiten?

Sogar grammatische Fehler verunzieren den Kanzleistil. Nur zwei Beispiele
seien angeführt: "Zur Steuerung des Notstandes" (wo es heißt: ich secure dem
Notstände) und "eine Reihe von Berichten sprechen sich dagegen aus" (eine Reihe
spricht. . .). An dieser Stelle ist auch der Schwund des Dativ-e zu erwähnen
("Dem Könige", nicht "dem König"). Die Meinungen hierüber sind geteilt.
Unsers Erachtens sollte man an dem Dativ-e grundsätzlich festhalten. Der
Formenreichtum der Sprache muß möglichst bewahrt werden. Entscheidend
bleibe aber das gute Sprachgefühl. Manchem wird der Dativ auf "e" bei
Wörtern, die mit "mis" und "tum" endigen, etwas schleppend erscheinen.

Keine Fehler, aber typische Unachtsamkeiten sind in folgenden Sätzen vor¬
gekommen: "Sie erhalten hierbei zehn Stück vom Deutschen Kriegs- und Militär¬
abreißkalender zur gefälligen Verteilung an die Mitglieder Ihrer Konferenz,
welche nach dem Willen des Gebers aufgehängt und gelegentlich . . . den Kindern
erklärt werden sollen" und: "Das Gericht hat die Identität des gepfändeten
Schweines mit dem Richter erster Instanz für erwiesen angenommen".

Soviel Zöpfe der Amtsstil aus seiner Vergangenheit auch schon an sich
trägt, er ist immer bereit, aus der Gegenwart Neues, aber Schlechtes hinzu¬
zulernen. So hat er sich schnell der Modewörter aus dem Kaufmanns- und
dem Zeitungsdeutsch bemächtigt, wie: großzügig, Jetztzeit, einsetzen, zwischen¬
zeitlich*), Aufmachung, auslösen, voll und ganz. Diese Wörter stehen im trauten
Vereine mit den nur dem Amtsstil eignen herrlichen Gebilden: diesseitig, dort-
seitig, nach dort, dasig, desfallsig, ebenmäßig und Wohlderselbe. Unsre besondre
Liebe ist der "p" oder gar "pp" Schulze. Die Krone aber bildet das qu.
("quästioniert"!), namentlich in der geschmackvollen Wendung: "ich habe die
qu. Akten nicht hinter mir", eine Wendung, mit der, wenn ein Aktenstück ver¬
loren gegangen ist, jeder Beamte so deutlich und klar zu verstehen gibt, daß
ihm diese Akten nicht vorliegen.

Zum Schlüsse noch die Bemerkung, daß die Interpunktion (Zeichensetzung)
ein notwendiges Übel der schriftlichen Darstellung ist. Leider bürgert sich,
namentlich bei der Schreibmaschinenschrift, immer mehr die Gewohnheit ein, sie
wegzulassen. Das ist eine Rücksichtslosigkeit gegen den, der verdammt ist, die
Schrift zu lesen.

Der Tintemnensch und der Baumeister sind zwei Gegensätze. "Letzterer"
ist zu beneiden; sein Werk steht allen vor Augen und trügt seinen Namen



Vgl. den amtlichen Tnschenfahrvlnn für die Direktionsbezirke Breslnu, Kaltowitz und
Posen, Umschlagsblatt.
Über den Aanzleistil

Beispiel heißt: „Das Gericht schließt sich der Ansicht an, daß in dem vorge¬
legten Maschinenteil eine wesentliche, zur Erleichterung der Anwendung bei¬
tragende neue Erfindung ..." so schaut der Erfinder schon stolz um sich; hört
er aber dann: „nicht gemacht sei", so füllt er aus allen Wolken. Weshalb ihm
diese Enttäuschung bereiten?

Sogar grammatische Fehler verunzieren den Kanzleistil. Nur zwei Beispiele
seien angeführt: „Zur Steuerung des Notstandes" (wo es heißt: ich secure dem
Notstände) und „eine Reihe von Berichten sprechen sich dagegen aus" (eine Reihe
spricht. . .). An dieser Stelle ist auch der Schwund des Dativ-e zu erwähnen
(„Dem Könige", nicht „dem König"). Die Meinungen hierüber sind geteilt.
Unsers Erachtens sollte man an dem Dativ-e grundsätzlich festhalten. Der
Formenreichtum der Sprache muß möglichst bewahrt werden. Entscheidend
bleibe aber das gute Sprachgefühl. Manchem wird der Dativ auf „e" bei
Wörtern, die mit „mis" und „tum" endigen, etwas schleppend erscheinen.

Keine Fehler, aber typische Unachtsamkeiten sind in folgenden Sätzen vor¬
gekommen: „Sie erhalten hierbei zehn Stück vom Deutschen Kriegs- und Militär¬
abreißkalender zur gefälligen Verteilung an die Mitglieder Ihrer Konferenz,
welche nach dem Willen des Gebers aufgehängt und gelegentlich . . . den Kindern
erklärt werden sollen" und: „Das Gericht hat die Identität des gepfändeten
Schweines mit dem Richter erster Instanz für erwiesen angenommen".

Soviel Zöpfe der Amtsstil aus seiner Vergangenheit auch schon an sich
trägt, er ist immer bereit, aus der Gegenwart Neues, aber Schlechtes hinzu¬
zulernen. So hat er sich schnell der Modewörter aus dem Kaufmanns- und
dem Zeitungsdeutsch bemächtigt, wie: großzügig, Jetztzeit, einsetzen, zwischen¬
zeitlich*), Aufmachung, auslösen, voll und ganz. Diese Wörter stehen im trauten
Vereine mit den nur dem Amtsstil eignen herrlichen Gebilden: diesseitig, dort-
seitig, nach dort, dasig, desfallsig, ebenmäßig und Wohlderselbe. Unsre besondre
Liebe ist der „p" oder gar „pp" Schulze. Die Krone aber bildet das qu.
(„quästioniert"!), namentlich in der geschmackvollen Wendung: „ich habe die
qu. Akten nicht hinter mir", eine Wendung, mit der, wenn ein Aktenstück ver¬
loren gegangen ist, jeder Beamte so deutlich und klar zu verstehen gibt, daß
ihm diese Akten nicht vorliegen.

Zum Schlüsse noch die Bemerkung, daß die Interpunktion (Zeichensetzung)
ein notwendiges Übel der schriftlichen Darstellung ist. Leider bürgert sich,
namentlich bei der Schreibmaschinenschrift, immer mehr die Gewohnheit ein, sie
wegzulassen. Das ist eine Rücksichtslosigkeit gegen den, der verdammt ist, die
Schrift zu lesen.

Der Tintemnensch und der Baumeister sind zwei Gegensätze. „Letzterer"
ist zu beneiden; sein Werk steht allen vor Augen und trügt seinen Namen



Vgl. den amtlichen Tnschenfahrvlnn für die Direktionsbezirke Breslnu, Kaltowitz und
Posen, Umschlagsblatt.
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[0286] Über den Aanzleistil Beispiel heißt: „Das Gericht schließt sich der Ansicht an, daß in dem vorge¬ legten Maschinenteil eine wesentliche, zur Erleichterung der Anwendung bei¬ tragende neue Erfindung ..." so schaut der Erfinder schon stolz um sich; hört er aber dann: „nicht gemacht sei", so füllt er aus allen Wolken. Weshalb ihm diese Enttäuschung bereiten? Sogar grammatische Fehler verunzieren den Kanzleistil. Nur zwei Beispiele seien angeführt: „Zur Steuerung des Notstandes" (wo es heißt: ich secure dem Notstände) und „eine Reihe von Berichten sprechen sich dagegen aus" (eine Reihe spricht. . .). An dieser Stelle ist auch der Schwund des Dativ-e zu erwähnen („Dem Könige", nicht „dem König"). Die Meinungen hierüber sind geteilt. Unsers Erachtens sollte man an dem Dativ-e grundsätzlich festhalten. Der Formenreichtum der Sprache muß möglichst bewahrt werden. Entscheidend bleibe aber das gute Sprachgefühl. Manchem wird der Dativ auf „e" bei Wörtern, die mit „mis" und „tum" endigen, etwas schleppend erscheinen. Keine Fehler, aber typische Unachtsamkeiten sind in folgenden Sätzen vor¬ gekommen: „Sie erhalten hierbei zehn Stück vom Deutschen Kriegs- und Militär¬ abreißkalender zur gefälligen Verteilung an die Mitglieder Ihrer Konferenz, welche nach dem Willen des Gebers aufgehängt und gelegentlich . . . den Kindern erklärt werden sollen" und: „Das Gericht hat die Identität des gepfändeten Schweines mit dem Richter erster Instanz für erwiesen angenommen". Soviel Zöpfe der Amtsstil aus seiner Vergangenheit auch schon an sich trägt, er ist immer bereit, aus der Gegenwart Neues, aber Schlechtes hinzu¬ zulernen. So hat er sich schnell der Modewörter aus dem Kaufmanns- und dem Zeitungsdeutsch bemächtigt, wie: großzügig, Jetztzeit, einsetzen, zwischen¬ zeitlich*), Aufmachung, auslösen, voll und ganz. Diese Wörter stehen im trauten Vereine mit den nur dem Amtsstil eignen herrlichen Gebilden: diesseitig, dort- seitig, nach dort, dasig, desfallsig, ebenmäßig und Wohlderselbe. Unsre besondre Liebe ist der „p" oder gar „pp" Schulze. Die Krone aber bildet das qu. („quästioniert"!), namentlich in der geschmackvollen Wendung: „ich habe die qu. Akten nicht hinter mir", eine Wendung, mit der, wenn ein Aktenstück ver¬ loren gegangen ist, jeder Beamte so deutlich und klar zu verstehen gibt, daß ihm diese Akten nicht vorliegen. Zum Schlüsse noch die Bemerkung, daß die Interpunktion (Zeichensetzung) ein notwendiges Übel der schriftlichen Darstellung ist. Leider bürgert sich, namentlich bei der Schreibmaschinenschrift, immer mehr die Gewohnheit ein, sie wegzulassen. Das ist eine Rücksichtslosigkeit gegen den, der verdammt ist, die Schrift zu lesen. Der Tintemnensch und der Baumeister sind zwei Gegensätze. „Letzterer" ist zu beneiden; sein Werk steht allen vor Augen und trügt seinen Namen Vgl. den amtlichen Tnschenfahrvlnn für die Direktionsbezirke Breslnu, Kaltowitz und Posen, Umschlagsblatt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/286>, abgerufen am 24.08.2024.