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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Internationale Wirtschaftspolitik

Werden soll, gegeben und bekannt, so lassen sich schon für den einzuschlagenden
Weg Regeln aufstellen. Als die elementaren Tatsachen des internationalen
Verkehrs, der die Regelung durch die Politik notwendig macht, werden an¬
gegeben: die natürliche Zunahme der Bevölkerung, deren Ausbreitung über
das Land und ihre Verteilung in Dörfer und Städte; die internationalen
Wanderungen; die Erfindungen und Entdeckungen; die Industrialisierung ein¬
zelner Länder; die Verfeinerung und Spezialisierung der Produktion; der un¬
gleiche Fortschritt der Industrialisierung in den verschiednen Ländern; die Ver¬
vielfältigung der Bedürfnisse und die sich steigernde Sucht nach ihrer
Befriedigung; die wechselseitige Abhängigkeit in der Bedürfnisbefriedigung,
in die die Nationen mehr und mehr geraten; die dauernde Erlangung von
Produktionsüberschüssen, die zur Ausfuhr zwingt; die Entstehung von Kapital¬
überschüssen, die im Inlande keine Verwendung finden; die Entstehung und
Steigerung sowohl von Interessenkonflikten wie von Interessengemeinschaften
im internationalen Verkehr; die zunehmende Zahl und Bedeutung der Akte
internationaler Verständigung; die zunehmende Internationalisierung auf
allen Gebieten des Verkehrs. Neben diesen Grundtatsachen noch besondre
Ursachen der Entwicklung der internationalen Wirtschaftspolitik abzuhandeln,
wie Kobatsch tut, erscheint eigentlich überflüssig, doch kann man es gelten
lassen, wenn er drei von den aufgezählten "Tatsachen": die Bevölkerungs¬
überschüsse, die Produktionsüberschüsse und die Kapitalüberschüsse als Haupt¬
ursachen oder "Faktoren" der Entwicklung hervorhebt. Unter den Mitteln
der Entwicklung, von denen er spricht, stehen natürlich die Verkehrsmittel obenan.
Wie mächtig deren Vervollkommnung auf den Güteraustausch und damit
auf die gesamte nationale und internationale Wirtschaft einwirkt, macht er an
einer Angabe über die Verbilligung des Getreidetransports (nach Alexander von
Peez) anschaulich. Wenn angenommen wird, daß der Doppelzentner Weizen
12 Mark Transportkosten zu tragen vermag, so konnte der Weizen auf den
alten, schlechten Straßen 100 Kilometer weit verfrachtet werden, auf der Eisen¬
bahn nach dem alten Tarif 1500 Kilometer; nach dem jetzigen amerikanischen
Tarif kann man ihn 4500 und zur See -- immer für 12 Mark für den Doppel¬
zentner -- 25000 Kilometer weit verschicken. (Bekanntlich hat Thüren in seinem
"Isolierten Staat" die Transportmöglichkeit als das behandelt, was innerhalb
eines Landes sowohl die Wirtschaftsform wie die soziale Gliederung bestimmt.)

Die Entwicklungsstufen des internationalen Verkehrs charakterisiert Kobatsch
durch ihre Benennung. Mit dem Worte Prühistorismus faßt er den prä¬
historischen Verkehr und den nur unvollkommen bekannten des frühern Alter¬
tums zusammen, der sich auf Tauschhandel mit Küstenfahrt und Karawanen¬
reisen beschränkte. Es folgt der "Monetarismus" des mittlern und spätern
Altertums und des Mittelalters. Die damalige Volkswirtschaft ist bekanntlich
vorwiegend Naturalwirtschaft gewesen, aber da im internationalen Güteraus¬
tausch die Waren mit Bargeld, im spätern Mittelalter allerdings auch schon
mit Wechseln, deren Valuta jedoch schließlich dem Empfangsberechtigten in bar


Internationale Wirtschaftspolitik

Werden soll, gegeben und bekannt, so lassen sich schon für den einzuschlagenden
Weg Regeln aufstellen. Als die elementaren Tatsachen des internationalen
Verkehrs, der die Regelung durch die Politik notwendig macht, werden an¬
gegeben: die natürliche Zunahme der Bevölkerung, deren Ausbreitung über
das Land und ihre Verteilung in Dörfer und Städte; die internationalen
Wanderungen; die Erfindungen und Entdeckungen; die Industrialisierung ein¬
zelner Länder; die Verfeinerung und Spezialisierung der Produktion; der un¬
gleiche Fortschritt der Industrialisierung in den verschiednen Ländern; die Ver¬
vielfältigung der Bedürfnisse und die sich steigernde Sucht nach ihrer
Befriedigung; die wechselseitige Abhängigkeit in der Bedürfnisbefriedigung,
in die die Nationen mehr und mehr geraten; die dauernde Erlangung von
Produktionsüberschüssen, die zur Ausfuhr zwingt; die Entstehung von Kapital¬
überschüssen, die im Inlande keine Verwendung finden; die Entstehung und
Steigerung sowohl von Interessenkonflikten wie von Interessengemeinschaften
im internationalen Verkehr; die zunehmende Zahl und Bedeutung der Akte
internationaler Verständigung; die zunehmende Internationalisierung auf
allen Gebieten des Verkehrs. Neben diesen Grundtatsachen noch besondre
Ursachen der Entwicklung der internationalen Wirtschaftspolitik abzuhandeln,
wie Kobatsch tut, erscheint eigentlich überflüssig, doch kann man es gelten
lassen, wenn er drei von den aufgezählten „Tatsachen": die Bevölkerungs¬
überschüsse, die Produktionsüberschüsse und die Kapitalüberschüsse als Haupt¬
ursachen oder „Faktoren" der Entwicklung hervorhebt. Unter den Mitteln
der Entwicklung, von denen er spricht, stehen natürlich die Verkehrsmittel obenan.
Wie mächtig deren Vervollkommnung auf den Güteraustausch und damit
auf die gesamte nationale und internationale Wirtschaft einwirkt, macht er an
einer Angabe über die Verbilligung des Getreidetransports (nach Alexander von
Peez) anschaulich. Wenn angenommen wird, daß der Doppelzentner Weizen
12 Mark Transportkosten zu tragen vermag, so konnte der Weizen auf den
alten, schlechten Straßen 100 Kilometer weit verfrachtet werden, auf der Eisen¬
bahn nach dem alten Tarif 1500 Kilometer; nach dem jetzigen amerikanischen
Tarif kann man ihn 4500 und zur See — immer für 12 Mark für den Doppel¬
zentner — 25000 Kilometer weit verschicken. (Bekanntlich hat Thüren in seinem
„Isolierten Staat" die Transportmöglichkeit als das behandelt, was innerhalb
eines Landes sowohl die Wirtschaftsform wie die soziale Gliederung bestimmt.)

Die Entwicklungsstufen des internationalen Verkehrs charakterisiert Kobatsch
durch ihre Benennung. Mit dem Worte Prühistorismus faßt er den prä¬
historischen Verkehr und den nur unvollkommen bekannten des frühern Alter¬
tums zusammen, der sich auf Tauschhandel mit Küstenfahrt und Karawanen¬
reisen beschränkte. Es folgt der „Monetarismus" des mittlern und spätern
Altertums und des Mittelalters. Die damalige Volkswirtschaft ist bekanntlich
vorwiegend Naturalwirtschaft gewesen, aber da im internationalen Güteraus¬
tausch die Waren mit Bargeld, im spätern Mittelalter allerdings auch schon
mit Wechseln, deren Valuta jedoch schließlich dem Empfangsberechtigten in bar


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[0229] Internationale Wirtschaftspolitik Werden soll, gegeben und bekannt, so lassen sich schon für den einzuschlagenden Weg Regeln aufstellen. Als die elementaren Tatsachen des internationalen Verkehrs, der die Regelung durch die Politik notwendig macht, werden an¬ gegeben: die natürliche Zunahme der Bevölkerung, deren Ausbreitung über das Land und ihre Verteilung in Dörfer und Städte; die internationalen Wanderungen; die Erfindungen und Entdeckungen; die Industrialisierung ein¬ zelner Länder; die Verfeinerung und Spezialisierung der Produktion; der un¬ gleiche Fortschritt der Industrialisierung in den verschiednen Ländern; die Ver¬ vielfältigung der Bedürfnisse und die sich steigernde Sucht nach ihrer Befriedigung; die wechselseitige Abhängigkeit in der Bedürfnisbefriedigung, in die die Nationen mehr und mehr geraten; die dauernde Erlangung von Produktionsüberschüssen, die zur Ausfuhr zwingt; die Entstehung von Kapital¬ überschüssen, die im Inlande keine Verwendung finden; die Entstehung und Steigerung sowohl von Interessenkonflikten wie von Interessengemeinschaften im internationalen Verkehr; die zunehmende Zahl und Bedeutung der Akte internationaler Verständigung; die zunehmende Internationalisierung auf allen Gebieten des Verkehrs. Neben diesen Grundtatsachen noch besondre Ursachen der Entwicklung der internationalen Wirtschaftspolitik abzuhandeln, wie Kobatsch tut, erscheint eigentlich überflüssig, doch kann man es gelten lassen, wenn er drei von den aufgezählten „Tatsachen": die Bevölkerungs¬ überschüsse, die Produktionsüberschüsse und die Kapitalüberschüsse als Haupt¬ ursachen oder „Faktoren" der Entwicklung hervorhebt. Unter den Mitteln der Entwicklung, von denen er spricht, stehen natürlich die Verkehrsmittel obenan. Wie mächtig deren Vervollkommnung auf den Güteraustausch und damit auf die gesamte nationale und internationale Wirtschaft einwirkt, macht er an einer Angabe über die Verbilligung des Getreidetransports (nach Alexander von Peez) anschaulich. Wenn angenommen wird, daß der Doppelzentner Weizen 12 Mark Transportkosten zu tragen vermag, so konnte der Weizen auf den alten, schlechten Straßen 100 Kilometer weit verfrachtet werden, auf der Eisen¬ bahn nach dem alten Tarif 1500 Kilometer; nach dem jetzigen amerikanischen Tarif kann man ihn 4500 und zur See — immer für 12 Mark für den Doppel¬ zentner — 25000 Kilometer weit verschicken. (Bekanntlich hat Thüren in seinem „Isolierten Staat" die Transportmöglichkeit als das behandelt, was innerhalb eines Landes sowohl die Wirtschaftsform wie die soziale Gliederung bestimmt.) Die Entwicklungsstufen des internationalen Verkehrs charakterisiert Kobatsch durch ihre Benennung. Mit dem Worte Prühistorismus faßt er den prä¬ historischen Verkehr und den nur unvollkommen bekannten des frühern Alter¬ tums zusammen, der sich auf Tauschhandel mit Küstenfahrt und Karawanen¬ reisen beschränkte. Es folgt der „Monetarismus" des mittlern und spätern Altertums und des Mittelalters. Die damalige Volkswirtschaft ist bekanntlich vorwiegend Naturalwirtschaft gewesen, aber da im internationalen Güteraus¬ tausch die Waren mit Bargeld, im spätern Mittelalter allerdings auch schon mit Wechseln, deren Valuta jedoch schließlich dem Empfangsberechtigten in bar

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/229>, abgerufen am 22.07.2024.