Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.Internationale Wirtschaftspolitik Entwicklungsstufen ganz von selbst ergibt. Nur will er damit keineswegs In den Kapiteln über die Zollpolitik werden die Gründe und Argumen¬ Grenzboten I 1908 29
Internationale Wirtschaftspolitik Entwicklungsstufen ganz von selbst ergibt. Nur will er damit keineswegs In den Kapiteln über die Zollpolitik werden die Gründe und Argumen¬ Grenzboten I 1908 29
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0225" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/311306"/> <fw type="header" place="top"> Internationale Wirtschaftspolitik</fw><lb/> <p xml:id="ID_1054" prev="#ID_1053"> Entwicklungsstufen ganz von selbst ergibt. Nur will er damit keineswegs<lb/> irgendwelchen Doktrinarismus empfehlen und lehnt sogar das Wort Ideal<lb/> ab, wofern man darunter eine unverbrüchliche Norm für die Praxis verstehn<lb/> wollte. Er schreibt: „Man verstehe unter dem Begriffe »Interessengemein¬<lb/> schaft« öder die Entwicklung offenbar zustrebe) keine prästabilierten Harmonien<lb/> im Sinne Leibnizens, keine lig-rmoniss öoonoiniquss im Sinne Bastiats; über¬<lb/> haupt kein Programm, kein Ideal, kein Sein, sondern ein Werden; keinen<lb/> Zustand, sondern Entwicklung, den kurzgefaßten Ausdruck für zwei entwicklungs¬<lb/> geschichtliche Tatsachen: 1. Im wechselseitigen Verkehr der Nationalwirt¬<lb/> schaften gab es immer und gibt es neben zahlreichen, sich stetig vermehrenden<lb/> Gegensätzen auch zahlreiche, ebenso stetig wachsende Gemeinschaften der Inter¬<lb/> essen; 2. die Gemeinschaften wurden im Verlaufe der Geschichte zusehends<lb/> stärker als die Gegensätze. In dem Worte Interessengemeinschaft ist nicht das<lb/> zweite sondern das erste Wort zu betonen. Es soll nicht Gemeinschaft um<lb/> jeden Preis angestrebt werden, mit utopischer Begeisterung für weltverbrüdernde<lb/> Ideen; nein, in der trocknen, nur allzu realistischen Wirtschaftspolitik ent¬<lb/> scheidet die nüchterne Überlegung, das Interesse, der Nutzen. Nur wenn man<lb/> in zwei Nationalwirtschaften die Überzeugung gewinnt, daß irgendwelche<lb/> gegenseitige Verkehrsakte im Interesse beider besser einverständlich geregelt,<lb/> als im Kampfe entschieden werden, nur dann liegt wahre internationale<lb/> Interessengemeinschaft vor." Das letzte Kapitel des Abschnitts über den<lb/> Personenverkehr, „Einwanderungspolitik", schließt mit dem Ergebnis, das Ende<lb/> der Entwicklung könne kein andres sein als völlige Freiheit des Zutritts und<lb/> des Aufenthalts Fremder im Inlande und ihre Gleichstellung in wirtschaft¬<lb/> licher und persönlicher Hinsicht mit den nationalen, „wenigstens soweit die<lb/> Staaten in Betracht kommen, die unsrer Kulturgemeinschaft angehören. Aus¬<lb/> nahmen von diesem Grundsatze wird man nur gelten lassen, wenn es sich um<lb/> die Wehrpflicht, um politische Rechte und Pflichten, um Verbrecher und<lb/> — vielleicht — um -.politisch lästige« Ausländer handelt." So weit, scheint<lb/> es, sind wir wohl heute schon, da Nußland noch nicht im vollen Sinne des<lb/> Worts zu unsrer Kulturgemeinschaft oder, wie man jetzt gewöhnlich sagt, zum<lb/> europäisch-amerikanischen Kulturkreise gehört.</p><lb/> <p xml:id="ID_1055" next="#ID_1056"> In den Kapiteln über die Zollpolitik werden die Gründe und Argumen¬<lb/> tationen der Schutzzöllner und der Freihändler ausführlich dargelegt und<lb/> kritisiert. Es wird zugestanden, daß Schutzzölle an ihrem Ort und zu ihrer<lb/> Zeit notwendig sind, zugleich aber nachgewiesen, daß die Schutzzollpolitik ihrer<lb/> eignen Aufhebung zustrebt, und zwar auf verschiednen Wegen, u. a. dadurch,<lb/> daß sie die Entstehung von Trusts und Kartellen begünstigt, die aus einem<lb/> Lande ins andre übergreifen, ferner dadurch, daß die Fabrikanten des „ge¬<lb/> schützten" Landes, wo der Schutz die Preise der Fabrikate und damit die<lb/> Arbeitslöhne in die Höhe treibt, Filialen in den Ländern ihres Absatzmarktes<lb/> anlegen, wo die Arbeitslöhne niedrig sind, und von dort aus der Heimat</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I 1908 29</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0225]
Internationale Wirtschaftspolitik
Entwicklungsstufen ganz von selbst ergibt. Nur will er damit keineswegs
irgendwelchen Doktrinarismus empfehlen und lehnt sogar das Wort Ideal
ab, wofern man darunter eine unverbrüchliche Norm für die Praxis verstehn
wollte. Er schreibt: „Man verstehe unter dem Begriffe »Interessengemein¬
schaft« öder die Entwicklung offenbar zustrebe) keine prästabilierten Harmonien
im Sinne Leibnizens, keine lig-rmoniss öoonoiniquss im Sinne Bastiats; über¬
haupt kein Programm, kein Ideal, kein Sein, sondern ein Werden; keinen
Zustand, sondern Entwicklung, den kurzgefaßten Ausdruck für zwei entwicklungs¬
geschichtliche Tatsachen: 1. Im wechselseitigen Verkehr der Nationalwirt¬
schaften gab es immer und gibt es neben zahlreichen, sich stetig vermehrenden
Gegensätzen auch zahlreiche, ebenso stetig wachsende Gemeinschaften der Inter¬
essen; 2. die Gemeinschaften wurden im Verlaufe der Geschichte zusehends
stärker als die Gegensätze. In dem Worte Interessengemeinschaft ist nicht das
zweite sondern das erste Wort zu betonen. Es soll nicht Gemeinschaft um
jeden Preis angestrebt werden, mit utopischer Begeisterung für weltverbrüdernde
Ideen; nein, in der trocknen, nur allzu realistischen Wirtschaftspolitik ent¬
scheidet die nüchterne Überlegung, das Interesse, der Nutzen. Nur wenn man
in zwei Nationalwirtschaften die Überzeugung gewinnt, daß irgendwelche
gegenseitige Verkehrsakte im Interesse beider besser einverständlich geregelt,
als im Kampfe entschieden werden, nur dann liegt wahre internationale
Interessengemeinschaft vor." Das letzte Kapitel des Abschnitts über den
Personenverkehr, „Einwanderungspolitik", schließt mit dem Ergebnis, das Ende
der Entwicklung könne kein andres sein als völlige Freiheit des Zutritts und
des Aufenthalts Fremder im Inlande und ihre Gleichstellung in wirtschaft¬
licher und persönlicher Hinsicht mit den nationalen, „wenigstens soweit die
Staaten in Betracht kommen, die unsrer Kulturgemeinschaft angehören. Aus¬
nahmen von diesem Grundsatze wird man nur gelten lassen, wenn es sich um
die Wehrpflicht, um politische Rechte und Pflichten, um Verbrecher und
— vielleicht — um -.politisch lästige« Ausländer handelt." So weit, scheint
es, sind wir wohl heute schon, da Nußland noch nicht im vollen Sinne des
Worts zu unsrer Kulturgemeinschaft oder, wie man jetzt gewöhnlich sagt, zum
europäisch-amerikanischen Kulturkreise gehört.
In den Kapiteln über die Zollpolitik werden die Gründe und Argumen¬
tationen der Schutzzöllner und der Freihändler ausführlich dargelegt und
kritisiert. Es wird zugestanden, daß Schutzzölle an ihrem Ort und zu ihrer
Zeit notwendig sind, zugleich aber nachgewiesen, daß die Schutzzollpolitik ihrer
eignen Aufhebung zustrebt, und zwar auf verschiednen Wegen, u. a. dadurch,
daß sie die Entstehung von Trusts und Kartellen begünstigt, die aus einem
Lande ins andre übergreifen, ferner dadurch, daß die Fabrikanten des „ge¬
schützten" Landes, wo der Schutz die Preise der Fabrikate und damit die
Arbeitslöhne in die Höhe treibt, Filialen in den Ländern ihres Absatzmarktes
anlegen, wo die Arbeitslöhne niedrig sind, und von dort aus der Heimat
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