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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Line Denkschrift aus dem Jahre 1,350

Die Novembertage des vorigen Jahres haben derartige Aussichten und
Erwartungen von einer augenblicklichen Erfüllung verdrängt, allein das Ver¬
trauen auf einen neuen und baldigen Umschwung ist noch wach, und die Unter¬
haltung dieses Gedankens macht eben den prinzlichen Aufenthalt in Koblenz
für eine Befestigung des jetzigen Regicrungssystems so bedenklich.

Der Regierungspolitik gegenüber ist in Koblenz ein Zentralpunkt für ein
in Opposition mit der Regierung stehendes System gebildet. Denn selbst bei
der Gewißheit, daß Seine Königliche Hoheit der Prinz zu loyal ist, um eine
Opposition gegen seinen Königlichen Herrn und Bruder zu fördern oder auch
nur zu dulden, falls er sich deren Tragweite und Gefährlichkeit klar bewußt
würde, so läßt sich doch nicht verkennen, daß Er eben durch seine Persönlichkeit
und Stellung vielfach eine regierungsfeindliche Richtung verstärkt hat, welche von
der Prinzessin mit vollem Bewußtsein und in der Absicht eingeschlagen ist, für
ihren Gemahl und sich ein höheres Ansehn und eine größere politische Bedeu¬
tung, als jetzt eingenommen wird, zu erlangen. Die öfteren, wie man sagt von
anderen untergelegten Reden des Prinzen über Preußens Ehre und Patriotismus
haben zu dem bereits laut ausgesprochenen Schlüsse geführt, daß nur der Prinz
den richtigen Begriff von Preußens Ehre und deren Wahrung habe. Der Prinz
wird als der wahre Höhepunkt des preußischen Glücks, als der Liebling des
Heeres, als die Bewunderung der Nation hingestellt. In rheinischen Lokal¬
blättern und soweit tunlich an geeigneter Stelle mündlich wird die Nachricht
oft wiederholt, Seine Majestät der König hege die Absicht, die Negierung nieder¬
zulegen. Mit dieser Unwahrheit ist bereits zweierlei erreicht: die Sympathien
für den regierenden Allerhöchsten Herrn zu schwächen, für den präsumtiven Nach¬
folger dagegen zu steigern. Um dem Gerüchte einen leichteren und zusagenderen
Eingang zu verschaffen, wird hervorgehoben, daß Seine Majestät der König,
durch äußere Umstände zu der gegenwärtigen Politik genötigt, deren UnHaltbar¬
keit einsehe, verstimmt und verdrießlich über die Nichterfüllung seiner eigensten
Wünsche und Gedanken, aber durch eingegangene Verbindlichkeiten mit den
östlichen Mächten selbst außerstande, das frühere System wieder aufzunehmen,
solches von dem Thronfolger hoffe. Es ist ferner versucht und geglückt, in die
Offizierkorps eine Spaltung zu bringen durch den formulierten Unterschied
zwischen den Offizieren, welche dem rechtmäßigen Kriegsherrn anhängen, und
denen, welche einer liberalen Richtung zugetan sind, die man durch den Namen
des Prinzen zu heben sucht. Die wegen des hergestellten Friedens fehl¬
geschlagenen Aussichten auf Avancement hatten unverkennbar eine große Mi߬
stimmung in der Armee hervorgerufen, welche von neuem hervorgetreten ist, als
auch im März und am 31. Mai dieses Jahres die vielfach unterstützten Hoff¬
nungen unerfüllt blieben.

Durch solche Umstände ist die Unzufriedenheit mit dem Bestehenden und
die Hoffnung auf eine angebliche Besserung durch den Prinzen genährt, von
dem man ein der allgemeinen Stimmung mehr nachgiebiges System mit günstigeren


Line Denkschrift aus dem Jahre 1,350

Die Novembertage des vorigen Jahres haben derartige Aussichten und
Erwartungen von einer augenblicklichen Erfüllung verdrängt, allein das Ver¬
trauen auf einen neuen und baldigen Umschwung ist noch wach, und die Unter¬
haltung dieses Gedankens macht eben den prinzlichen Aufenthalt in Koblenz
für eine Befestigung des jetzigen Regicrungssystems so bedenklich.

Der Regierungspolitik gegenüber ist in Koblenz ein Zentralpunkt für ein
in Opposition mit der Regierung stehendes System gebildet. Denn selbst bei
der Gewißheit, daß Seine Königliche Hoheit der Prinz zu loyal ist, um eine
Opposition gegen seinen Königlichen Herrn und Bruder zu fördern oder auch
nur zu dulden, falls er sich deren Tragweite und Gefährlichkeit klar bewußt
würde, so läßt sich doch nicht verkennen, daß Er eben durch seine Persönlichkeit
und Stellung vielfach eine regierungsfeindliche Richtung verstärkt hat, welche von
der Prinzessin mit vollem Bewußtsein und in der Absicht eingeschlagen ist, für
ihren Gemahl und sich ein höheres Ansehn und eine größere politische Bedeu¬
tung, als jetzt eingenommen wird, zu erlangen. Die öfteren, wie man sagt von
anderen untergelegten Reden des Prinzen über Preußens Ehre und Patriotismus
haben zu dem bereits laut ausgesprochenen Schlüsse geführt, daß nur der Prinz
den richtigen Begriff von Preußens Ehre und deren Wahrung habe. Der Prinz
wird als der wahre Höhepunkt des preußischen Glücks, als der Liebling des
Heeres, als die Bewunderung der Nation hingestellt. In rheinischen Lokal¬
blättern und soweit tunlich an geeigneter Stelle mündlich wird die Nachricht
oft wiederholt, Seine Majestät der König hege die Absicht, die Negierung nieder¬
zulegen. Mit dieser Unwahrheit ist bereits zweierlei erreicht: die Sympathien
für den regierenden Allerhöchsten Herrn zu schwächen, für den präsumtiven Nach¬
folger dagegen zu steigern. Um dem Gerüchte einen leichteren und zusagenderen
Eingang zu verschaffen, wird hervorgehoben, daß Seine Majestät der König,
durch äußere Umstände zu der gegenwärtigen Politik genötigt, deren UnHaltbar¬
keit einsehe, verstimmt und verdrießlich über die Nichterfüllung seiner eigensten
Wünsche und Gedanken, aber durch eingegangene Verbindlichkeiten mit den
östlichen Mächten selbst außerstande, das frühere System wieder aufzunehmen,
solches von dem Thronfolger hoffe. Es ist ferner versucht und geglückt, in die
Offizierkorps eine Spaltung zu bringen durch den formulierten Unterschied
zwischen den Offizieren, welche dem rechtmäßigen Kriegsherrn anhängen, und
denen, welche einer liberalen Richtung zugetan sind, die man durch den Namen
des Prinzen zu heben sucht. Die wegen des hergestellten Friedens fehl¬
geschlagenen Aussichten auf Avancement hatten unverkennbar eine große Mi߬
stimmung in der Armee hervorgerufen, welche von neuem hervorgetreten ist, als
auch im März und am 31. Mai dieses Jahres die vielfach unterstützten Hoff¬
nungen unerfüllt blieben.

Durch solche Umstände ist die Unzufriedenheit mit dem Bestehenden und
die Hoffnung auf eine angebliche Besserung durch den Prinzen genährt, von
dem man ein der allgemeinen Stimmung mehr nachgiebiges System mit günstigeren


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[0221] Line Denkschrift aus dem Jahre 1,350 Die Novembertage des vorigen Jahres haben derartige Aussichten und Erwartungen von einer augenblicklichen Erfüllung verdrängt, allein das Ver¬ trauen auf einen neuen und baldigen Umschwung ist noch wach, und die Unter¬ haltung dieses Gedankens macht eben den prinzlichen Aufenthalt in Koblenz für eine Befestigung des jetzigen Regicrungssystems so bedenklich. Der Regierungspolitik gegenüber ist in Koblenz ein Zentralpunkt für ein in Opposition mit der Regierung stehendes System gebildet. Denn selbst bei der Gewißheit, daß Seine Königliche Hoheit der Prinz zu loyal ist, um eine Opposition gegen seinen Königlichen Herrn und Bruder zu fördern oder auch nur zu dulden, falls er sich deren Tragweite und Gefährlichkeit klar bewußt würde, so läßt sich doch nicht verkennen, daß Er eben durch seine Persönlichkeit und Stellung vielfach eine regierungsfeindliche Richtung verstärkt hat, welche von der Prinzessin mit vollem Bewußtsein und in der Absicht eingeschlagen ist, für ihren Gemahl und sich ein höheres Ansehn und eine größere politische Bedeu¬ tung, als jetzt eingenommen wird, zu erlangen. Die öfteren, wie man sagt von anderen untergelegten Reden des Prinzen über Preußens Ehre und Patriotismus haben zu dem bereits laut ausgesprochenen Schlüsse geführt, daß nur der Prinz den richtigen Begriff von Preußens Ehre und deren Wahrung habe. Der Prinz wird als der wahre Höhepunkt des preußischen Glücks, als der Liebling des Heeres, als die Bewunderung der Nation hingestellt. In rheinischen Lokal¬ blättern und soweit tunlich an geeigneter Stelle mündlich wird die Nachricht oft wiederholt, Seine Majestät der König hege die Absicht, die Negierung nieder¬ zulegen. Mit dieser Unwahrheit ist bereits zweierlei erreicht: die Sympathien für den regierenden Allerhöchsten Herrn zu schwächen, für den präsumtiven Nach¬ folger dagegen zu steigern. Um dem Gerüchte einen leichteren und zusagenderen Eingang zu verschaffen, wird hervorgehoben, daß Seine Majestät der König, durch äußere Umstände zu der gegenwärtigen Politik genötigt, deren UnHaltbar¬ keit einsehe, verstimmt und verdrießlich über die Nichterfüllung seiner eigensten Wünsche und Gedanken, aber durch eingegangene Verbindlichkeiten mit den östlichen Mächten selbst außerstande, das frühere System wieder aufzunehmen, solches von dem Thronfolger hoffe. Es ist ferner versucht und geglückt, in die Offizierkorps eine Spaltung zu bringen durch den formulierten Unterschied zwischen den Offizieren, welche dem rechtmäßigen Kriegsherrn anhängen, und denen, welche einer liberalen Richtung zugetan sind, die man durch den Namen des Prinzen zu heben sucht. Die wegen des hergestellten Friedens fehl¬ geschlagenen Aussichten auf Avancement hatten unverkennbar eine große Mi߬ stimmung in der Armee hervorgerufen, welche von neuem hervorgetreten ist, als auch im März und am 31. Mai dieses Jahres die vielfach unterstützten Hoff¬ nungen unerfüllt blieben. Durch solche Umstände ist die Unzufriedenheit mit dem Bestehenden und die Hoffnung auf eine angebliche Besserung durch den Prinzen genährt, von dem man ein der allgemeinen Stimmung mehr nachgiebiges System mit günstigeren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/221>, abgerufen am 24.08.2024.