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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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sozialdemokratische Agitation und Landbevölkerung

ganz zu schweigen, Hilfe bei den vorgesetzten Behörden! Der Kenner lächelt.
Auf dem Lande ist man so gut wie hilflos. Der Ortsschulinspektor -- um
allen Mißdeutungen vorzubeugen, mein bester Freund --sagt sich sehr richtig:
Du bist zunächst Seelsorger, du darfst dich nicht allzusehr in diese bösen
Sachen mischen, es schadet dem kirchlichen Frieden. Deshalb stetes Beschränken
auf "moralische Beschämung", die natürlich bei den hartgesottnen Sündern
zwecklos ist. Die Stadt mit ihrer vorzüglichen städtischen Polizei ist ganz
anders in der Lage, durchzugreifen und die Autorität der Schule und somit
auch die des Gemeinwesens zu schützen. Der ländliche Schuldiener -- davor
Gott mich behüte!

Die Ursache für die gesteigerte Autoritätslosigkeit ist die Agitation und
Organisation der Sozialdemokratie. Ihre Seele ist eine nicht vorwürtsgekommne,
genußsüchtige Handwerkerfamilie, insbesondre der Alte und sein Sohn. Wohl
bekannte sich der Alte im stillen schon lange zur sozialdemokratischen Partei,
verteilte auch wohl sozialdemokratische Flugblätter, freilich ohne eigentlichen Er¬
folg. Aber durch seinen Sohn, der in der Großstadt die Methode der Organisation
kennen gelernt hatte, sind nun die vereinzelten sozialdemokratischen Anhänger
sorgfältig geeint und vor allem neue Mitglieder gewonnen worden, namentlich
unter den Knechten.

Sonntag früh schneidet er den Knechten die Haare und rasiert sie. Bei
dieser Gelegenheit werden die Hetzversuche unternommen. "Wieviel Lohn kriegst
du denn eigentlich bei____?" "90 Taler." "Du dummer Kerl, für die Schufterei,
den Plant mußt du 150 Taler verlangen. Als Maurer verdienst du 5 Mark" usw.
Nach bekannter Methode werden die reichen Naturalleistungen bei dem länd¬
lichen Lohnsystem überhaupt nicht in Rechnung gestellt. Ebenso werden hier
die Behandlung durch die Dienstherren, die heutzutage wirklich nicht mehr schlecht
ist, ferner die Kost, die Geschenke usw. einer aufsetzenden Kritik unterzogen.

Diesem edeln Paar, Vater und Sohn, die beide offenbar im Dienste des
sozialdemokratischen Generalstabs stehn, ist es nun leider gelungen, die Hetz¬
versuche auf eine breitere, bleibendere Basis zu stellen durch einen Verein "Rad¬
fahrerverein zum Stern von .... und Umgegend". Diesem Vereine gehören
sämtliche Knechte an, vom naseweisen Kleinknechte bis zum "Ausgehobnen" (zum
Militär). Sie halten streng zusammen und erklären sich bei jeder Gelegenheit
solidarisch. Mit ihnen sind verbunden ihre Schätze, die Mägde. Diese sozial¬
demokratische Zentralstelle pflegt mit besondrer Vorliebe das "Schichtmachen",
die Arbeitseinstellung, als moralisches Schreckmittel der Bauern, als Kraftprobe
der Organisation. Denn während früher kein Bauer einen Knecht anstellte,
den ein andrer Bauer weggejagt hatte, ist diese Form der Solidarität infolge
des drückenden Arbeitermangels längst entschwunden. Jetzt bekommt der fort¬
gejagte Knecht morgen einen Dienst, jeder Bauer nimmt ihn an. Sollte der
Weggejagte einmal wirklich nicht sofort Arbeit finden, so gewährt ihm die
Familie des Agitators Unterkunft.


sozialdemokratische Agitation und Landbevölkerung

ganz zu schweigen, Hilfe bei den vorgesetzten Behörden! Der Kenner lächelt.
Auf dem Lande ist man so gut wie hilflos. Der Ortsschulinspektor — um
allen Mißdeutungen vorzubeugen, mein bester Freund —sagt sich sehr richtig:
Du bist zunächst Seelsorger, du darfst dich nicht allzusehr in diese bösen
Sachen mischen, es schadet dem kirchlichen Frieden. Deshalb stetes Beschränken
auf „moralische Beschämung", die natürlich bei den hartgesottnen Sündern
zwecklos ist. Die Stadt mit ihrer vorzüglichen städtischen Polizei ist ganz
anders in der Lage, durchzugreifen und die Autorität der Schule und somit
auch die des Gemeinwesens zu schützen. Der ländliche Schuldiener — davor
Gott mich behüte!

Die Ursache für die gesteigerte Autoritätslosigkeit ist die Agitation und
Organisation der Sozialdemokratie. Ihre Seele ist eine nicht vorwürtsgekommne,
genußsüchtige Handwerkerfamilie, insbesondre der Alte und sein Sohn. Wohl
bekannte sich der Alte im stillen schon lange zur sozialdemokratischen Partei,
verteilte auch wohl sozialdemokratische Flugblätter, freilich ohne eigentlichen Er¬
folg. Aber durch seinen Sohn, der in der Großstadt die Methode der Organisation
kennen gelernt hatte, sind nun die vereinzelten sozialdemokratischen Anhänger
sorgfältig geeint und vor allem neue Mitglieder gewonnen worden, namentlich
unter den Knechten.

Sonntag früh schneidet er den Knechten die Haare und rasiert sie. Bei
dieser Gelegenheit werden die Hetzversuche unternommen. „Wieviel Lohn kriegst
du denn eigentlich bei____?" „90 Taler." „Du dummer Kerl, für die Schufterei,
den Plant mußt du 150 Taler verlangen. Als Maurer verdienst du 5 Mark" usw.
Nach bekannter Methode werden die reichen Naturalleistungen bei dem länd¬
lichen Lohnsystem überhaupt nicht in Rechnung gestellt. Ebenso werden hier
die Behandlung durch die Dienstherren, die heutzutage wirklich nicht mehr schlecht
ist, ferner die Kost, die Geschenke usw. einer aufsetzenden Kritik unterzogen.

Diesem edeln Paar, Vater und Sohn, die beide offenbar im Dienste des
sozialdemokratischen Generalstabs stehn, ist es nun leider gelungen, die Hetz¬
versuche auf eine breitere, bleibendere Basis zu stellen durch einen Verein „Rad¬
fahrerverein zum Stern von .... und Umgegend". Diesem Vereine gehören
sämtliche Knechte an, vom naseweisen Kleinknechte bis zum „Ausgehobnen" (zum
Militär). Sie halten streng zusammen und erklären sich bei jeder Gelegenheit
solidarisch. Mit ihnen sind verbunden ihre Schätze, die Mägde. Diese sozial¬
demokratische Zentralstelle pflegt mit besondrer Vorliebe das „Schichtmachen",
die Arbeitseinstellung, als moralisches Schreckmittel der Bauern, als Kraftprobe
der Organisation. Denn während früher kein Bauer einen Knecht anstellte,
den ein andrer Bauer weggejagt hatte, ist diese Form der Solidarität infolge
des drückenden Arbeitermangels längst entschwunden. Jetzt bekommt der fort¬
gejagte Knecht morgen einen Dienst, jeder Bauer nimmt ihn an. Sollte der
Weggejagte einmal wirklich nicht sofort Arbeit finden, so gewährt ihm die
Familie des Agitators Unterkunft.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/20>, abgerufen am 22.07.2024.