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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Der ägyptische Sudan

Die Aufgaben, die der Regierung im ägyptischen Sudan zufallen, sind
zwar von denen, an deren Lösung in Ägypten gearbeitet wird, nicht sehr
wesentlich verschieden, immerhin aber, entsprechend der verschiednen Ent¬
wicklungsstufe, auf der die beiden Länder stehn, im Sudan bedeutend ein¬
facher als in Ägypten. Denn während dieses Land schon die Hälfte und
vielleicht sogar mehr als die Hälfte auf dem Wege zur westlichen Zivilisation
zurückgelegt hat, kann man sogar von dem am weitesten in der Entwicklung
vorgeschrittnen Teile des Sudans kaum behaupten, daß er sich aus dem
Zustande der Barbarei herausgearbeitet habe. Noch für eine ganze künftige
Generation wird wohl kaum die Frage, wie westliche Zivilisation auf
orientalisches Wesen am besten zu übertragen sei, als solche im ganzen hier
aufgeworfen werden können. Die Politik spielt eine unbedeutende Rolle und
dreht sich höchstens um ganz einfache Fragen. Die ernsteste Frage ist wohl
die, auf welche Weise die Sklaverei vollständig aufgehoben werden kann, ohne
daß dadurch bedeutende Unruhen hervorgerufen werden. Vorübergehend kann
das Auftreten eines religiösen Fanatikers die Ruhe stören, bei zweckentsprechenden
Gegenmaßregeln wird es jedoch nicht leicht eine entscheidende Rolle spielen.
Und wenn in Ägypten die Frage nach einer nationalen Regierung im Vorder¬
grunde steht, kann diese im Sudan nicht aufgeworfen werden; hier handelt es
sich nur um eine gute Regierung.

Als Generalgouvemeur steht, dem britischen Agenten und Generalkonsul für
Ägypten unterstellt, Generalmajor Sir F. Reginald Wingate, zugleich Sirdar der
ägyptischen Armee, an der Spitze des Sudans. Ihm und seiner Verwaltungs¬
tätigkeit zollt Lord Cromer in seinem Bericht stets die größte Anerkennung.

Der ägyptische Sudan umfaßt ein Gebiet von 2460500 Quadratkilometern,
das heißt, er ist mehr als zweimal so groß als Frankreich und Deutschland
zusammen. Von diesem ungeheuern Gebiet sind nur gegen 4080 Quadrat¬
kilometer bebaut; der übrige Teil besteht aus Wüste, Sumpfland und Urwald.
Das bebaute Gebiet hat sich in der Zeit von 1905 auf 1906 von 285191 Hektar
auf 408096 Hektar, also um 122905 Hektar vergrößert. Diese auffallende
Zunahme hat ihre Ursache in den starken Regenfällen des abgelaufnen Jahres
in den meisten Teilen des Sudans. Übrigens hat sich auch das Land unter
künstlicher Bewässerung in befriedigender Weise, nämlich um 3641 Hektar
vermehrt. Die Zahl der Pumpen ist von 18 auf 23, die der Schöpfräder
(Sakijes) von 9744 auf 10303 und die der Ziehbrunnen (Schadufs) von
2369 auf 2623 gestiegen.

Die Bevölkerung ist vermutlich im Zunehmen begriffen; da jedoch keine
Zählung stattgefunden hat, ist es unmöglich, genaue Zahlen anzugeben. So¬
weit sich feststellen läßt, belüuft sie sich im ganzen noch auf wenig unter zwei
Millionen Menschen. Die Zahl der im Sudan dauernd sich aufhaltenden
Fremden ist wohl ziemlich genau; sie belief sich nach den letzten Aufstellungen
auf 3104 Europäer und 9815 Abessinier, Ägypter und Inder, insgesamt also


Grenzboten I 1903 22
Der ägyptische Sudan

Die Aufgaben, die der Regierung im ägyptischen Sudan zufallen, sind
zwar von denen, an deren Lösung in Ägypten gearbeitet wird, nicht sehr
wesentlich verschieden, immerhin aber, entsprechend der verschiednen Ent¬
wicklungsstufe, auf der die beiden Länder stehn, im Sudan bedeutend ein¬
facher als in Ägypten. Denn während dieses Land schon die Hälfte und
vielleicht sogar mehr als die Hälfte auf dem Wege zur westlichen Zivilisation
zurückgelegt hat, kann man sogar von dem am weitesten in der Entwicklung
vorgeschrittnen Teile des Sudans kaum behaupten, daß er sich aus dem
Zustande der Barbarei herausgearbeitet habe. Noch für eine ganze künftige
Generation wird wohl kaum die Frage, wie westliche Zivilisation auf
orientalisches Wesen am besten zu übertragen sei, als solche im ganzen hier
aufgeworfen werden können. Die Politik spielt eine unbedeutende Rolle und
dreht sich höchstens um ganz einfache Fragen. Die ernsteste Frage ist wohl
die, auf welche Weise die Sklaverei vollständig aufgehoben werden kann, ohne
daß dadurch bedeutende Unruhen hervorgerufen werden. Vorübergehend kann
das Auftreten eines religiösen Fanatikers die Ruhe stören, bei zweckentsprechenden
Gegenmaßregeln wird es jedoch nicht leicht eine entscheidende Rolle spielen.
Und wenn in Ägypten die Frage nach einer nationalen Regierung im Vorder¬
grunde steht, kann diese im Sudan nicht aufgeworfen werden; hier handelt es
sich nur um eine gute Regierung.

Als Generalgouvemeur steht, dem britischen Agenten und Generalkonsul für
Ägypten unterstellt, Generalmajor Sir F. Reginald Wingate, zugleich Sirdar der
ägyptischen Armee, an der Spitze des Sudans. Ihm und seiner Verwaltungs¬
tätigkeit zollt Lord Cromer in seinem Bericht stets die größte Anerkennung.

Der ägyptische Sudan umfaßt ein Gebiet von 2460500 Quadratkilometern,
das heißt, er ist mehr als zweimal so groß als Frankreich und Deutschland
zusammen. Von diesem ungeheuern Gebiet sind nur gegen 4080 Quadrat¬
kilometer bebaut; der übrige Teil besteht aus Wüste, Sumpfland und Urwald.
Das bebaute Gebiet hat sich in der Zeit von 1905 auf 1906 von 285191 Hektar
auf 408096 Hektar, also um 122905 Hektar vergrößert. Diese auffallende
Zunahme hat ihre Ursache in den starken Regenfällen des abgelaufnen Jahres
in den meisten Teilen des Sudans. Übrigens hat sich auch das Land unter
künstlicher Bewässerung in befriedigender Weise, nämlich um 3641 Hektar
vermehrt. Die Zahl der Pumpen ist von 18 auf 23, die der Schöpfräder
(Sakijes) von 9744 auf 10303 und die der Ziehbrunnen (Schadufs) von
2369 auf 2623 gestiegen.

Die Bevölkerung ist vermutlich im Zunehmen begriffen; da jedoch keine
Zählung stattgefunden hat, ist es unmöglich, genaue Zahlen anzugeben. So¬
weit sich feststellen läßt, belüuft sie sich im ganzen noch auf wenig unter zwei
Millionen Menschen. Die Zahl der im Sudan dauernd sich aufhaltenden
Fremden ist wohl ziemlich genau; sie belief sich nach den letzten Aufstellungen
auf 3104 Europäer und 9815 Abessinier, Ägypter und Inder, insgesamt also


Grenzboten I 1903 22
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[0169] Der ägyptische Sudan Die Aufgaben, die der Regierung im ägyptischen Sudan zufallen, sind zwar von denen, an deren Lösung in Ägypten gearbeitet wird, nicht sehr wesentlich verschieden, immerhin aber, entsprechend der verschiednen Ent¬ wicklungsstufe, auf der die beiden Länder stehn, im Sudan bedeutend ein¬ facher als in Ägypten. Denn während dieses Land schon die Hälfte und vielleicht sogar mehr als die Hälfte auf dem Wege zur westlichen Zivilisation zurückgelegt hat, kann man sogar von dem am weitesten in der Entwicklung vorgeschrittnen Teile des Sudans kaum behaupten, daß er sich aus dem Zustande der Barbarei herausgearbeitet habe. Noch für eine ganze künftige Generation wird wohl kaum die Frage, wie westliche Zivilisation auf orientalisches Wesen am besten zu übertragen sei, als solche im ganzen hier aufgeworfen werden können. Die Politik spielt eine unbedeutende Rolle und dreht sich höchstens um ganz einfache Fragen. Die ernsteste Frage ist wohl die, auf welche Weise die Sklaverei vollständig aufgehoben werden kann, ohne daß dadurch bedeutende Unruhen hervorgerufen werden. Vorübergehend kann das Auftreten eines religiösen Fanatikers die Ruhe stören, bei zweckentsprechenden Gegenmaßregeln wird es jedoch nicht leicht eine entscheidende Rolle spielen. Und wenn in Ägypten die Frage nach einer nationalen Regierung im Vorder¬ grunde steht, kann diese im Sudan nicht aufgeworfen werden; hier handelt es sich nur um eine gute Regierung. Als Generalgouvemeur steht, dem britischen Agenten und Generalkonsul für Ägypten unterstellt, Generalmajor Sir F. Reginald Wingate, zugleich Sirdar der ägyptischen Armee, an der Spitze des Sudans. Ihm und seiner Verwaltungs¬ tätigkeit zollt Lord Cromer in seinem Bericht stets die größte Anerkennung. Der ägyptische Sudan umfaßt ein Gebiet von 2460500 Quadratkilometern, das heißt, er ist mehr als zweimal so groß als Frankreich und Deutschland zusammen. Von diesem ungeheuern Gebiet sind nur gegen 4080 Quadrat¬ kilometer bebaut; der übrige Teil besteht aus Wüste, Sumpfland und Urwald. Das bebaute Gebiet hat sich in der Zeit von 1905 auf 1906 von 285191 Hektar auf 408096 Hektar, also um 122905 Hektar vergrößert. Diese auffallende Zunahme hat ihre Ursache in den starken Regenfällen des abgelaufnen Jahres in den meisten Teilen des Sudans. Übrigens hat sich auch das Land unter künstlicher Bewässerung in befriedigender Weise, nämlich um 3641 Hektar vermehrt. Die Zahl der Pumpen ist von 18 auf 23, die der Schöpfräder (Sakijes) von 9744 auf 10303 und die der Ziehbrunnen (Schadufs) von 2369 auf 2623 gestiegen. Die Bevölkerung ist vermutlich im Zunehmen begriffen; da jedoch keine Zählung stattgefunden hat, ist es unmöglich, genaue Zahlen anzugeben. So¬ weit sich feststellen läßt, belüuft sie sich im ganzen noch auf wenig unter zwei Millionen Menschen. Die Zahl der im Sudan dauernd sich aufhaltenden Fremden ist wohl ziemlich genau; sie belief sich nach den letzten Aufstellungen auf 3104 Europäer und 9815 Abessinier, Ägypter und Inder, insgesamt also Grenzboten I 1903 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/169>, abgerufen am 22.07.2024.