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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Deutschland und der Vatikan

braucht sich nicht erst in weitere Einzeluntersuchungen zu verlieren, wenn man
erkennen will, daß hier ein arges Mißverhältnis zuungunsten Deutschlands
besteht, das doch nicht weniger als zwanzig Millionen Katholiken aufzuweisen
hat, und dessen politische Bedeutung und diplomatische Erlebnisse ihm eine
numerisch ansehnliche Vertretung im Konklave um so wichtiger machen, als es
die Österreich, Frankreich und Spanien zuerkannten Ausschließungsbefugnisse
gegen einzelne o^rclillM x-ixg.in'1i nicht hat. Ich kann mir nicht denken, daß man
im Ernste irgendeinem der deutschen Bischöfe die Fähigkeit zum Kardinals¬
rang bestreiten könnte, die man den vielen Bischöfen kleiner und sehr kleiner
italienischer, französischer und spanischer Diözesen bald um ihres Bistums, bald
um ihrer Person willen zuerkennt. Daß im besondern die Geltung des Kardinals¬
hutes durch eine größere Berücksichtigung der Deutschen leiden könnte, wird
niemand befürchten, der die wahrhaft bescheidnen Kenntnisse, Leistungen und
Fähigkeiten vieler der die erdrückende Majorität des Kollegiums bildenden Kardi¬
näle romanischen Stammes genauer kennen zu lernen Gelegenheit gehabt hat.

Warum das tatsächliche Verhältnis so ist, kann man aus hundert Gründen
erklären. Zwingend scheint mir jedoch nur der eine, daß wir die Opportunist
noch nicht gefunden haben, vom Papste das uns Zukommende zu verlangen,
und daß der Papst ohne ein solches nachdrückliches Verlangen natürlich
abgeneigt ist, den Vorrang seiner Volks- und Rasseverwandten zu schmälern.
In dieser Hinsicht und ein wenig auch darüber hinaus kennzeichnend ist ja
der Stand und Wandel des Kurienkardinalats. So viel ich mich erinnere, gab es
außer dem Prinzen Hohenlohe, über dessen Merkmale und Rolle die Akten
noch nicht geschlossen sind, drei sozusagen reichsdcutsche Kurienkardinäle. Der
eine war Miecislaus Graf Ledochowski (1875 bis 1902) und der andre Paulus
Melchers (1885 bis 1895), beide nach schweren Konflikten mit der preußischen
Regierung aus ihren Diözesen Posen und Köln unfreiwillig entfernt. Der
dritte war Andreas Steinbilder (1894 bis 1907), ein Bayer, jedoch seit jungen
Jahren Mitglied des Jesuitenordens, der die Nationalität mißachtet und die
Staatsinteressen für nichts gelten läßt wegen der beanspruchten Universalität
und Superiorität der kirchlichen Interessen. Man tritt keinem dieser drei
Männer zu nahe, wenn man behauptet, daß sie sich an der Kurie für ihren
Heimatsstaat nicht sonderlich bemüht haben; aber man kann immerhin annehmen,
daß sie (mit Ausnahme von Ledochowski) gegen ihren Heimatsstaat als solchen
gerichtete Maßnahmen sicherlich zu verhindern gesucht oder abgeschwächt haben.
Wir haben manchmal geseufzt, daß uns wohler wäre, wenn wir keinen Kardinal
an der Kurie hätten, als daß wir diese haben; eine durchgreifende Erwägung
des Für und Wider ergibt jedoch noch immer etwas zu ihren Gunsten. Selbst
ein Steinhuber konnte sich den deutschen Interessen nicht ganz entziehn, da
sie ihm zum Beispiel das von ihm über die alte deutsche Nativualstiftung der
Anima ausgeübte Protektorat und die damit verbundne "geistliche" Beratung
der ihr direkt oder indirekt zugehörigen Deutschen immer von neuem nahe


Deutschland und der Vatikan

braucht sich nicht erst in weitere Einzeluntersuchungen zu verlieren, wenn man
erkennen will, daß hier ein arges Mißverhältnis zuungunsten Deutschlands
besteht, das doch nicht weniger als zwanzig Millionen Katholiken aufzuweisen
hat, und dessen politische Bedeutung und diplomatische Erlebnisse ihm eine
numerisch ansehnliche Vertretung im Konklave um so wichtiger machen, als es
die Österreich, Frankreich und Spanien zuerkannten Ausschließungsbefugnisse
gegen einzelne o^rclillM x-ixg.in'1i nicht hat. Ich kann mir nicht denken, daß man
im Ernste irgendeinem der deutschen Bischöfe die Fähigkeit zum Kardinals¬
rang bestreiten könnte, die man den vielen Bischöfen kleiner und sehr kleiner
italienischer, französischer und spanischer Diözesen bald um ihres Bistums, bald
um ihrer Person willen zuerkennt. Daß im besondern die Geltung des Kardinals¬
hutes durch eine größere Berücksichtigung der Deutschen leiden könnte, wird
niemand befürchten, der die wahrhaft bescheidnen Kenntnisse, Leistungen und
Fähigkeiten vieler der die erdrückende Majorität des Kollegiums bildenden Kardi¬
näle romanischen Stammes genauer kennen zu lernen Gelegenheit gehabt hat.

Warum das tatsächliche Verhältnis so ist, kann man aus hundert Gründen
erklären. Zwingend scheint mir jedoch nur der eine, daß wir die Opportunist
noch nicht gefunden haben, vom Papste das uns Zukommende zu verlangen,
und daß der Papst ohne ein solches nachdrückliches Verlangen natürlich
abgeneigt ist, den Vorrang seiner Volks- und Rasseverwandten zu schmälern.
In dieser Hinsicht und ein wenig auch darüber hinaus kennzeichnend ist ja
der Stand und Wandel des Kurienkardinalats. So viel ich mich erinnere, gab es
außer dem Prinzen Hohenlohe, über dessen Merkmale und Rolle die Akten
noch nicht geschlossen sind, drei sozusagen reichsdcutsche Kurienkardinäle. Der
eine war Miecislaus Graf Ledochowski (1875 bis 1902) und der andre Paulus
Melchers (1885 bis 1895), beide nach schweren Konflikten mit der preußischen
Regierung aus ihren Diözesen Posen und Köln unfreiwillig entfernt. Der
dritte war Andreas Steinbilder (1894 bis 1907), ein Bayer, jedoch seit jungen
Jahren Mitglied des Jesuitenordens, der die Nationalität mißachtet und die
Staatsinteressen für nichts gelten läßt wegen der beanspruchten Universalität
und Superiorität der kirchlichen Interessen. Man tritt keinem dieser drei
Männer zu nahe, wenn man behauptet, daß sie sich an der Kurie für ihren
Heimatsstaat nicht sonderlich bemüht haben; aber man kann immerhin annehmen,
daß sie (mit Ausnahme von Ledochowski) gegen ihren Heimatsstaat als solchen
gerichtete Maßnahmen sicherlich zu verhindern gesucht oder abgeschwächt haben.
Wir haben manchmal geseufzt, daß uns wohler wäre, wenn wir keinen Kardinal
an der Kurie hätten, als daß wir diese haben; eine durchgreifende Erwägung
des Für und Wider ergibt jedoch noch immer etwas zu ihren Gunsten. Selbst
ein Steinhuber konnte sich den deutschen Interessen nicht ganz entziehn, da
sie ihm zum Beispiel das von ihm über die alte deutsche Nativualstiftung der
Anima ausgeübte Protektorat und die damit verbundne „geistliche" Beratung
der ihr direkt oder indirekt zugehörigen Deutschen immer von neuem nahe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/164>, abgerufen am 22.07.2024.