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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Deutschland und der Vatikan

dem Reichstage am 30. November 1881, ist von jeher nicht bloß eine geistliche
und kirchliche, sondern anch eine politische Macht gewesen. Und so energisch
auch Fürst Bismarck in Sachen der neuen Besetzung der eine Reihe von
Jahren valant gelassenen preußischen Gesandtschaft beim Papste") im Reichs¬
tage dafür eintrat, daß die Gesandtschaft den Standpunkt der weltlichen Ge¬
walt zu den konfessionellen Fragen und zu den besondern Interessen der
katholischen Untertanen in Rom direkt zur Geltung bringen wolle und solle,
so wenig schloß er dabei aus, daß mit einer solchen Gesandtschaft so ipso die
Unabhängigkeit und vielseitig bedeutsame effektive Macht des Papstes sx oKeio
anerkannt werde. Mit andern Worten: Fürst Bismarck erklärte zwar, daß er
die Institution der katholischen Kirche in Deutschland mitsamt der päpstlichen
Spitze, die zu ihr gehört, für eine einheimische und damit dem Staatsregiment
nicht entzogne Institution halte; aber er sagte dennoch ganz ausdrücklich ("Ge¬
danken und Erinnerungen", 2. Bd., 24. Kap., 4. Abschn.), daß die römische Kurie
eine unabhängige politische Macht ist mit gewissen Einflüssen von internationaler
Bedeutung und gewissen uneliminierbaren innerpolitisch zu beachtenden Be¬
strebungen. Es liegt auf der Hand, daß die Lösung des hier gegebnen
Widerspruchs nicht logischer, sondern nur praktisch-utilitärer Natur sein konnte.
In diesem Sinne erhielt der preußische Gesandte beim Vatikan Instruktionen,
die sein ganzes Auftreten beim päpstlichen Stuhle durchaus gemäß den Ge¬
pflogenheiten der bei Souveränen akkreditierten Gesandten regelten. Und in
eben diesem Sinne erwog Fürst Bismarck die Einrichtung einer päpstlichen
Nuntiatur in Berlin: die katholische Abteilung des Kultusministeriums, die sich
allmählich aus einer Einrichtung zur Vertretung der Rechte der katholischen
Preußen unabhängig von Rom sowie nötigenfalls gegen Rom zu einer die
römischen Interessen und Anweisungen inmitten der preußischen Bureaukratie
vertretenden Behörde gemausert hatte, hatte er abgeschafft; er zog ihr einen
Nuntius vor, weil dieser außer einer relativen Unbefangenheit gegen polnische
und andre Sonderinteressen noch das Bestreben mitbringen würde, die guten
Beziehungen des Hofes, an dem er beglaubigt ist, zu seinem eignen Souverän
zu erhalten und zu pflegen, und weil die preußische Regierung ihm gegenüber
als dem Vertreter wohl umschriebner Positionen alle diplomatische Vorsicht
walten lassen könnte, wie er seinerseits seinen Souverän ohne Zwischeninstanzen
und somit ohne verfälschende Strahlenbrechung informieren würde. Daß dennoch
kein Nuntius nach Berlin kam, erklärt uns Bismarck selbst ("Gedanken und
Erinnerungen", II, S. 129) daraus, daß es ihm nicht gelang, "die übrigens
mehr äußerliche und formelle Abneigung des Kaisers gegen einen Nuntius in
Berlin zu überwinden", und er überließ es darum der geschichtlichen Entwicklung,
ob man nicht schließlich doch aus den Nuntius zurückkommen werde.



Daß sie von Preußen auf den Norddeutschen Bund und von diesem auf das Deutsche
Reich übergegangen gewesen war, darf außer Betracht bleiben, wenngleich es unter dem ver¬
fassungsrechtlichen und politischen Gesichtspunkte nicht bedeutungslos ist.
Deutschland und der Vatikan

dem Reichstage am 30. November 1881, ist von jeher nicht bloß eine geistliche
und kirchliche, sondern anch eine politische Macht gewesen. Und so energisch
auch Fürst Bismarck in Sachen der neuen Besetzung der eine Reihe von
Jahren valant gelassenen preußischen Gesandtschaft beim Papste") im Reichs¬
tage dafür eintrat, daß die Gesandtschaft den Standpunkt der weltlichen Ge¬
walt zu den konfessionellen Fragen und zu den besondern Interessen der
katholischen Untertanen in Rom direkt zur Geltung bringen wolle und solle,
so wenig schloß er dabei aus, daß mit einer solchen Gesandtschaft so ipso die
Unabhängigkeit und vielseitig bedeutsame effektive Macht des Papstes sx oKeio
anerkannt werde. Mit andern Worten: Fürst Bismarck erklärte zwar, daß er
die Institution der katholischen Kirche in Deutschland mitsamt der päpstlichen
Spitze, die zu ihr gehört, für eine einheimische und damit dem Staatsregiment
nicht entzogne Institution halte; aber er sagte dennoch ganz ausdrücklich („Ge¬
danken und Erinnerungen", 2. Bd., 24. Kap., 4. Abschn.), daß die römische Kurie
eine unabhängige politische Macht ist mit gewissen Einflüssen von internationaler
Bedeutung und gewissen uneliminierbaren innerpolitisch zu beachtenden Be¬
strebungen. Es liegt auf der Hand, daß die Lösung des hier gegebnen
Widerspruchs nicht logischer, sondern nur praktisch-utilitärer Natur sein konnte.
In diesem Sinne erhielt der preußische Gesandte beim Vatikan Instruktionen,
die sein ganzes Auftreten beim päpstlichen Stuhle durchaus gemäß den Ge¬
pflogenheiten der bei Souveränen akkreditierten Gesandten regelten. Und in
eben diesem Sinne erwog Fürst Bismarck die Einrichtung einer päpstlichen
Nuntiatur in Berlin: die katholische Abteilung des Kultusministeriums, die sich
allmählich aus einer Einrichtung zur Vertretung der Rechte der katholischen
Preußen unabhängig von Rom sowie nötigenfalls gegen Rom zu einer die
römischen Interessen und Anweisungen inmitten der preußischen Bureaukratie
vertretenden Behörde gemausert hatte, hatte er abgeschafft; er zog ihr einen
Nuntius vor, weil dieser außer einer relativen Unbefangenheit gegen polnische
und andre Sonderinteressen noch das Bestreben mitbringen würde, die guten
Beziehungen des Hofes, an dem er beglaubigt ist, zu seinem eignen Souverän
zu erhalten und zu pflegen, und weil die preußische Regierung ihm gegenüber
als dem Vertreter wohl umschriebner Positionen alle diplomatische Vorsicht
walten lassen könnte, wie er seinerseits seinen Souverän ohne Zwischeninstanzen
und somit ohne verfälschende Strahlenbrechung informieren würde. Daß dennoch
kein Nuntius nach Berlin kam, erklärt uns Bismarck selbst („Gedanken und
Erinnerungen", II, S. 129) daraus, daß es ihm nicht gelang, „die übrigens
mehr äußerliche und formelle Abneigung des Kaisers gegen einen Nuntius in
Berlin zu überwinden", und er überließ es darum der geschichtlichen Entwicklung,
ob man nicht schließlich doch aus den Nuntius zurückkommen werde.



Daß sie von Preußen auf den Norddeutschen Bund und von diesem auf das Deutsche
Reich übergegangen gewesen war, darf außer Betracht bleiben, wenngleich es unter dem ver¬
fassungsrechtlichen und politischen Gesichtspunkte nicht bedeutungslos ist.
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[0162] Deutschland und der Vatikan dem Reichstage am 30. November 1881, ist von jeher nicht bloß eine geistliche und kirchliche, sondern anch eine politische Macht gewesen. Und so energisch auch Fürst Bismarck in Sachen der neuen Besetzung der eine Reihe von Jahren valant gelassenen preußischen Gesandtschaft beim Papste") im Reichs¬ tage dafür eintrat, daß die Gesandtschaft den Standpunkt der weltlichen Ge¬ walt zu den konfessionellen Fragen und zu den besondern Interessen der katholischen Untertanen in Rom direkt zur Geltung bringen wolle und solle, so wenig schloß er dabei aus, daß mit einer solchen Gesandtschaft so ipso die Unabhängigkeit und vielseitig bedeutsame effektive Macht des Papstes sx oKeio anerkannt werde. Mit andern Worten: Fürst Bismarck erklärte zwar, daß er die Institution der katholischen Kirche in Deutschland mitsamt der päpstlichen Spitze, die zu ihr gehört, für eine einheimische und damit dem Staatsregiment nicht entzogne Institution halte; aber er sagte dennoch ganz ausdrücklich („Ge¬ danken und Erinnerungen", 2. Bd., 24. Kap., 4. Abschn.), daß die römische Kurie eine unabhängige politische Macht ist mit gewissen Einflüssen von internationaler Bedeutung und gewissen uneliminierbaren innerpolitisch zu beachtenden Be¬ strebungen. Es liegt auf der Hand, daß die Lösung des hier gegebnen Widerspruchs nicht logischer, sondern nur praktisch-utilitärer Natur sein konnte. In diesem Sinne erhielt der preußische Gesandte beim Vatikan Instruktionen, die sein ganzes Auftreten beim päpstlichen Stuhle durchaus gemäß den Ge¬ pflogenheiten der bei Souveränen akkreditierten Gesandten regelten. Und in eben diesem Sinne erwog Fürst Bismarck die Einrichtung einer päpstlichen Nuntiatur in Berlin: die katholische Abteilung des Kultusministeriums, die sich allmählich aus einer Einrichtung zur Vertretung der Rechte der katholischen Preußen unabhängig von Rom sowie nötigenfalls gegen Rom zu einer die römischen Interessen und Anweisungen inmitten der preußischen Bureaukratie vertretenden Behörde gemausert hatte, hatte er abgeschafft; er zog ihr einen Nuntius vor, weil dieser außer einer relativen Unbefangenheit gegen polnische und andre Sonderinteressen noch das Bestreben mitbringen würde, die guten Beziehungen des Hofes, an dem er beglaubigt ist, zu seinem eignen Souverän zu erhalten und zu pflegen, und weil die preußische Regierung ihm gegenüber als dem Vertreter wohl umschriebner Positionen alle diplomatische Vorsicht walten lassen könnte, wie er seinerseits seinen Souverän ohne Zwischeninstanzen und somit ohne verfälschende Strahlenbrechung informieren würde. Daß dennoch kein Nuntius nach Berlin kam, erklärt uns Bismarck selbst („Gedanken und Erinnerungen", II, S. 129) daraus, daß es ihm nicht gelang, „die übrigens mehr äußerliche und formelle Abneigung des Kaisers gegen einen Nuntius in Berlin zu überwinden", und er überließ es darum der geschichtlichen Entwicklung, ob man nicht schließlich doch aus den Nuntius zurückkommen werde. Daß sie von Preußen auf den Norddeutschen Bund und von diesem auf das Deutsche Reich übergegangen gewesen war, darf außer Betracht bleiben, wenngleich es unter dem ver¬ fassungsrechtlichen und politischen Gesichtspunkte nicht bedeutungslos ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/162>, abgerufen am 24.08.2024.