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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Oberlehrer Hau?

Wenig von dem Bildungshaß zu spüren, den bisher nur das klassische Altertum
allein zu tragen hatte, der nun also auch bereits auf die Renaissance über¬
greift? Jedem das Seine! Nur sollen sie dann den Namen Jakob Burckhardts
nicht unnützlich führen. Denn der steht auf der Seite der "kunstgeschichtlichen
Verbildung".

Es melden sich übrigens auch in der ernsthaften Beschäftigung mit der
Kunst allerlei Gegensätze und Absagen an. Für Burckhardt stand die italienische
Renaissance mit ihrer deutlichen Ausgestaltung aller Gattungen und Unter¬
abteilungen im Mittelpunkt aller Kunst. Viele unsrer jetzigen Architekten sprechen
den großen Italienern die Erfindung ab und möchten diese in die spätrömische
und die romanische Zeit zurückverlegen. Andre treten wieder mit neuen Argu¬
menten für die deutsche Renaissance und sogar für die lange verkannte Schnörkel¬
kunst der spätesten Gotik ein, um "das Gespenst der Burckhardtschen Renaissance-
auffafsung" zu verscheuchen. Solche Reaktionen ruft jede bedeutende Erscheinung
hervor, und sie haben, weil der Streit der Vater aller Dinge ist, ihr Recht,
solange man ihr auch das ihrige läßt und sie nicht aus trüger Unwissenheit
verkennt und entstellt. Das aber geht bei Jakob Burckhardt am allerwenigsten.
Denn von keinem zweiten Kunsthistoriker haben wir ein so vollständiges, klares
L A. P. ehrgebäude, wie es in seinen Schriften vor aller Augen steht.




Oberlehrer Haut
R Lernt Lie oman von
(Fortsetzung)

muy ging lautlos durch die Haustür und schloß hinter sich ab. Sie
hatte den Fuß auf der untern Stufe und war im Begriff, hinaus-
zugehn in ihr Schlafzimmer, als sich die Tür zum Wohnzimmer
auftat.

Aber Mutter! Bist du noch auf?

Die Uhr ist zwei, Kind!

Frau Haut hatte sich ungezogen. Sie trug die schwarze Trikottaille. Sie sah
unglücklich und leidend aus.

Ja, ich habe auf dich gewartet, mein Kind.

Es ist so wunderbar schön draußen, Mutter.

Ich muß mit dir reden, mein Kind. Komm herein!

Berry ging ein wenig verlegen hinter der Mutter drein ins Zimmer und
trat an den kleinen Tisch am Fenster. Ein schmaler Sonnenstreifen fiel auf die
Wand. Frau Haut setzte sich hin und wies Berry einen Platz ihr gegenüber an.

Auf dem Tische vor Frau Haut lag die Bibel aufgeschlagen. Sie legte die
magere Hand auf das Buch, saß eine Weile mit weit geöffneten Augen da und
sah zum Fenster hinaus. Dann seufzte sie tief auf, trocknete ihre Augen und ließ
den Blick zu Berry hinüberschweifen.


Oberlehrer Hau?

Wenig von dem Bildungshaß zu spüren, den bisher nur das klassische Altertum
allein zu tragen hatte, der nun also auch bereits auf die Renaissance über¬
greift? Jedem das Seine! Nur sollen sie dann den Namen Jakob Burckhardts
nicht unnützlich führen. Denn der steht auf der Seite der „kunstgeschichtlichen
Verbildung".

Es melden sich übrigens auch in der ernsthaften Beschäftigung mit der
Kunst allerlei Gegensätze und Absagen an. Für Burckhardt stand die italienische
Renaissance mit ihrer deutlichen Ausgestaltung aller Gattungen und Unter¬
abteilungen im Mittelpunkt aller Kunst. Viele unsrer jetzigen Architekten sprechen
den großen Italienern die Erfindung ab und möchten diese in die spätrömische
und die romanische Zeit zurückverlegen. Andre treten wieder mit neuen Argu¬
menten für die deutsche Renaissance und sogar für die lange verkannte Schnörkel¬
kunst der spätesten Gotik ein, um „das Gespenst der Burckhardtschen Renaissance-
auffafsung" zu verscheuchen. Solche Reaktionen ruft jede bedeutende Erscheinung
hervor, und sie haben, weil der Streit der Vater aller Dinge ist, ihr Recht,
solange man ihr auch das ihrige läßt und sie nicht aus trüger Unwissenheit
verkennt und entstellt. Das aber geht bei Jakob Burckhardt am allerwenigsten.
Denn von keinem zweiten Kunsthistoriker haben wir ein so vollständiges, klares
L A. P. ehrgebäude, wie es in seinen Schriften vor aller Augen steht.




Oberlehrer Haut
R Lernt Lie oman von
(Fortsetzung)

muy ging lautlos durch die Haustür und schloß hinter sich ab. Sie
hatte den Fuß auf der untern Stufe und war im Begriff, hinaus-
zugehn in ihr Schlafzimmer, als sich die Tür zum Wohnzimmer
auftat.

Aber Mutter! Bist du noch auf?

Die Uhr ist zwei, Kind!

Frau Haut hatte sich ungezogen. Sie trug die schwarze Trikottaille. Sie sah
unglücklich und leidend aus.

Ja, ich habe auf dich gewartet, mein Kind.

Es ist so wunderbar schön draußen, Mutter.

Ich muß mit dir reden, mein Kind. Komm herein!

Berry ging ein wenig verlegen hinter der Mutter drein ins Zimmer und
trat an den kleinen Tisch am Fenster. Ein schmaler Sonnenstreifen fiel auf die
Wand. Frau Haut setzte sich hin und wies Berry einen Platz ihr gegenüber an.

Auf dem Tische vor Frau Haut lag die Bibel aufgeschlagen. Sie legte die
magere Hand auf das Buch, saß eine Weile mit weit geöffneten Augen da und
sah zum Fenster hinaus. Dann seufzte sie tief auf, trocknete ihre Augen und ließ
den Blick zu Berry hinüberschweifen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/91>, abgerufen am 22.07.2024.