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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Burckhardt? Cicerone und Kultur der Renaissance

den italienischen Quellen weiter verfolgt, und wie viele nehmen sich dazu
noch die Zeit?

Beinahe dasselbe gilt doch auch von dem flüssig und leicht geschriebnen
Cicerone. Burckhardt setzt auch da bei seinen Lesern recht viel voraus, nicht nur
Nachdenken, sondern auch Kenntnisse, ohne die seine schnellen und kurzen Urteile
nicht aufgenommen und verwertet werden können. So ist es allmählich bei uns
dahin gekommen, daß er auch solchen, die ihn von Rechts wegen kennen sollten,
und die seinen Namen herkömmlich im Munde führen, seinem innern Wesen
nach schon gar nicht mehr bekannt ist. Dafür ein leuchtendes Beispiel. Einer
unsrer staatlich geprüften und angestellten Kunstkenner, der seine in Scherif
"Tag" veröffentlichten Feuilletons unter dem sinnigen Titel "Aus stiller Werk¬
statt" als Buch herausgegeben hat, und dessen Name, wie es in der Ankündigung
heißt, "unter den feinsinnigen Ästheten M vielleicht Ästhetiker heißen. Der
Setzerlehrling) in Deutschland unter den ersten steht", leistet sich folgende Sätze:
"Erstände doch aus seinem Grabe Jakob Burckhardt und setzte fort, was er für
die Renaissance zu leisten begonnen hat! Dann gäbe es über dieses wundersame
Zeitalter ein Buch, das weder zu schwer noch langweilig wäre, sondern dem
Fachmann seine Grenzen und neue Gesichtspunkte wiese, den Laien aber in
den Stoff hineinrisse und ihm das Stoffliche vergeistigte durch die Enthüllung
seines ^wessen?) organischen Lebens und seiner Bedeutung." Nein, verehrter
Herr Kunstkenner, die Sache verhält sich genau umgekehrt, als wie Sie es sich
vorstellen. Wenn Jakob Burckhardt aus seinem Grabe auferstünde -- die
Wendung ist nicht gerade geschmackvoll, aber immerhin --, was er dann anstatt
der Faseleien, die Sie ihm zutrauen, schreiben würde, das könnten Sie haar¬
scharf aus einem Buche sehen, das Sie nicht zu kennen scheinen, es macht aber
auch nichts, denn Sie würden es vielleicht kaum verstehen -- es sind die aus
seinem Nachlasse 1898 herausgegebnen "Beiträge zur Kunstgeschichte von Ita¬
lien" in drei Abschnitten: Das Altarbild. Das Porträt in der Malerei. Die
Sammler.

Dieses keineswegs leicht zu lesende Buch gibt uns den ganzen Burckhardt,
man kann sagen in seiner Vollendung, wieder. Alles, was seine Seele erfüllte
und was er als grundlegend und hauptsächlich ansah in der Kunstbetrachtung,
seine ganze Methode, von der sich die heute beliebtesten Richtungen recht weit
entfernt haben, wird uns da an konkreten Beispielen in markigen Sätzen vor¬
geführt. Zunächst kam es ihm immer auf den Inhalt eines Kunstwerks an, er
wollte wissen, was der Gegenstand bedeute, was der Künstler durch seine besondre
Modifizierung damit habe ausdrücken wollen, und das ist natürlich schwerer,
als wenn man durch aufgeregtes Drumherumreden sogenannte künstlerische
Sensationen zu erwecken sucht. Er versenkte sich auch in die Seele der Künstler,
suchte ihre Absichten, ihr Wollen zu erraten, gewiß -- er hatte sogar eine so
hohe Vorstellung von dem Künstler und seinem überragenden Beruf, daß bei
ihm Wendungen beständig wiederkehren, wie: Wir andern, die wir nicht Künstler,


Burckhardt? Cicerone und Kultur der Renaissance

den italienischen Quellen weiter verfolgt, und wie viele nehmen sich dazu
noch die Zeit?

Beinahe dasselbe gilt doch auch von dem flüssig und leicht geschriebnen
Cicerone. Burckhardt setzt auch da bei seinen Lesern recht viel voraus, nicht nur
Nachdenken, sondern auch Kenntnisse, ohne die seine schnellen und kurzen Urteile
nicht aufgenommen und verwertet werden können. So ist es allmählich bei uns
dahin gekommen, daß er auch solchen, die ihn von Rechts wegen kennen sollten,
und die seinen Namen herkömmlich im Munde führen, seinem innern Wesen
nach schon gar nicht mehr bekannt ist. Dafür ein leuchtendes Beispiel. Einer
unsrer staatlich geprüften und angestellten Kunstkenner, der seine in Scherif
„Tag" veröffentlichten Feuilletons unter dem sinnigen Titel „Aus stiller Werk¬
statt" als Buch herausgegeben hat, und dessen Name, wie es in der Ankündigung
heißt, „unter den feinsinnigen Ästheten M vielleicht Ästhetiker heißen. Der
Setzerlehrling) in Deutschland unter den ersten steht", leistet sich folgende Sätze:
«Erstände doch aus seinem Grabe Jakob Burckhardt und setzte fort, was er für
die Renaissance zu leisten begonnen hat! Dann gäbe es über dieses wundersame
Zeitalter ein Buch, das weder zu schwer noch langweilig wäre, sondern dem
Fachmann seine Grenzen und neue Gesichtspunkte wiese, den Laien aber in
den Stoff hineinrisse und ihm das Stoffliche vergeistigte durch die Enthüllung
seines ^wessen?) organischen Lebens und seiner Bedeutung." Nein, verehrter
Herr Kunstkenner, die Sache verhält sich genau umgekehrt, als wie Sie es sich
vorstellen. Wenn Jakob Burckhardt aus seinem Grabe auferstünde — die
Wendung ist nicht gerade geschmackvoll, aber immerhin —, was er dann anstatt
der Faseleien, die Sie ihm zutrauen, schreiben würde, das könnten Sie haar¬
scharf aus einem Buche sehen, das Sie nicht zu kennen scheinen, es macht aber
auch nichts, denn Sie würden es vielleicht kaum verstehen — es sind die aus
seinem Nachlasse 1898 herausgegebnen „Beiträge zur Kunstgeschichte von Ita¬
lien" in drei Abschnitten: Das Altarbild. Das Porträt in der Malerei. Die
Sammler.

Dieses keineswegs leicht zu lesende Buch gibt uns den ganzen Burckhardt,
man kann sagen in seiner Vollendung, wieder. Alles, was seine Seele erfüllte
und was er als grundlegend und hauptsächlich ansah in der Kunstbetrachtung,
seine ganze Methode, von der sich die heute beliebtesten Richtungen recht weit
entfernt haben, wird uns da an konkreten Beispielen in markigen Sätzen vor¬
geführt. Zunächst kam es ihm immer auf den Inhalt eines Kunstwerks an, er
wollte wissen, was der Gegenstand bedeute, was der Künstler durch seine besondre
Modifizierung damit habe ausdrücken wollen, und das ist natürlich schwerer,
als wenn man durch aufgeregtes Drumherumreden sogenannte künstlerische
Sensationen zu erwecken sucht. Er versenkte sich auch in die Seele der Künstler,
suchte ihre Absichten, ihr Wollen zu erraten, gewiß — er hatte sogar eine so
hohe Vorstellung von dem Künstler und seinem überragenden Beruf, daß bei
ihm Wendungen beständig wiederkehren, wie: Wir andern, die wir nicht Künstler,


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[0089] Burckhardt? Cicerone und Kultur der Renaissance den italienischen Quellen weiter verfolgt, und wie viele nehmen sich dazu noch die Zeit? Beinahe dasselbe gilt doch auch von dem flüssig und leicht geschriebnen Cicerone. Burckhardt setzt auch da bei seinen Lesern recht viel voraus, nicht nur Nachdenken, sondern auch Kenntnisse, ohne die seine schnellen und kurzen Urteile nicht aufgenommen und verwertet werden können. So ist es allmählich bei uns dahin gekommen, daß er auch solchen, die ihn von Rechts wegen kennen sollten, und die seinen Namen herkömmlich im Munde führen, seinem innern Wesen nach schon gar nicht mehr bekannt ist. Dafür ein leuchtendes Beispiel. Einer unsrer staatlich geprüften und angestellten Kunstkenner, der seine in Scherif „Tag" veröffentlichten Feuilletons unter dem sinnigen Titel „Aus stiller Werk¬ statt" als Buch herausgegeben hat, und dessen Name, wie es in der Ankündigung heißt, „unter den feinsinnigen Ästheten M vielleicht Ästhetiker heißen. Der Setzerlehrling) in Deutschland unter den ersten steht", leistet sich folgende Sätze: «Erstände doch aus seinem Grabe Jakob Burckhardt und setzte fort, was er für die Renaissance zu leisten begonnen hat! Dann gäbe es über dieses wundersame Zeitalter ein Buch, das weder zu schwer noch langweilig wäre, sondern dem Fachmann seine Grenzen und neue Gesichtspunkte wiese, den Laien aber in den Stoff hineinrisse und ihm das Stoffliche vergeistigte durch die Enthüllung seines ^wessen?) organischen Lebens und seiner Bedeutung." Nein, verehrter Herr Kunstkenner, die Sache verhält sich genau umgekehrt, als wie Sie es sich vorstellen. Wenn Jakob Burckhardt aus seinem Grabe auferstünde — die Wendung ist nicht gerade geschmackvoll, aber immerhin —, was er dann anstatt der Faseleien, die Sie ihm zutrauen, schreiben würde, das könnten Sie haar¬ scharf aus einem Buche sehen, das Sie nicht zu kennen scheinen, es macht aber auch nichts, denn Sie würden es vielleicht kaum verstehen — es sind die aus seinem Nachlasse 1898 herausgegebnen „Beiträge zur Kunstgeschichte von Ita¬ lien" in drei Abschnitten: Das Altarbild. Das Porträt in der Malerei. Die Sammler. Dieses keineswegs leicht zu lesende Buch gibt uns den ganzen Burckhardt, man kann sagen in seiner Vollendung, wieder. Alles, was seine Seele erfüllte und was er als grundlegend und hauptsächlich ansah in der Kunstbetrachtung, seine ganze Methode, von der sich die heute beliebtesten Richtungen recht weit entfernt haben, wird uns da an konkreten Beispielen in markigen Sätzen vor¬ geführt. Zunächst kam es ihm immer auf den Inhalt eines Kunstwerks an, er wollte wissen, was der Gegenstand bedeute, was der Künstler durch seine besondre Modifizierung damit habe ausdrücken wollen, und das ist natürlich schwerer, als wenn man durch aufgeregtes Drumherumreden sogenannte künstlerische Sensationen zu erwecken sucht. Er versenkte sich auch in die Seele der Künstler, suchte ihre Absichten, ihr Wollen zu erraten, gewiß — er hatte sogar eine so hohe Vorstellung von dem Künstler und seinem überragenden Beruf, daß bei ihm Wendungen beständig wiederkehren, wie: Wir andern, die wir nicht Künstler,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/89>, abgerufen am 02.10.2024.