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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Burckhardts Licerone und Kultur der Renaissance

kennen andrerseits seine Abneigung gegen das Herausgeben; er wollte nicht
Knecht der Buchhändler sein, pflegte er zu sagen. Nun hatte er dieses von der
ersten bis zur letzten Seite originelle Buch in die Welt hinausgehen lassen als
einen "Versuch", in dem Gefühl, daß es etwas ganz Neues war, auch in der
Formulierung der Gedanken, der meist aphoristisch und blitzartig andeutenden,
höchst persönlichen Vortragsweise, womit er einen ungeheuern, aus den Tiefen
seines umfassenden Wissens geholten Stoff in sichern, breit hingesetzten Pinsel¬
strichen skizziert hatte. Was sollte er in einer neuen Auflage daran ändern
oder hinzufügen, was weiter ausführen und dadurch die Frische und das Leben
des ersten Entwurfs sich verderben? Ein andrer hätte aus jedem Kapitel ein
kleines Buch machen können. So, denke ich, mußte es kommen, wie es ge¬
kommen ist, und wie es am besten war, und wir müssen Geiger dafür dankbar
sein, daß er nicht mehr daran änderte, als absolut notwendig war.

Geiger hat in einem Nachworte zur zehnten Auflage noch eine sehr lesens¬
werte Geschichte des Burckhardtschen Buches seit dessen Erscheinen gegeben,
er ist den äußern Spuren des Eindrucks nachgegangen, den das Buch auf die
Zeitgenossen gemacht haben möge, und findet es bemerkenswert, daß sich nur
eine einzige ausführliche Rezension nachweisen läßt, von Moritz Carriere -- von
der man freilich sagen kann: Du gleichst dem Geist, den du begreifst. Der
Verfasser vieler langatmiger und längst vergessener Bücher vermißt in selbst¬
gefälligen Tadel bei Burckhardt die italienische Philosophie, nach der wohl außer
ihm selbst kaum jemand verlangt haben wird. Übrigens ist die von Geiger
hervorgehobne Tatsache für den, der die Zeit noch mit erlebt hat, nicht ver¬
wunderlich. Eine wirkliche Rezension über ein so ungewöhnliches Buch zu
schreiben, war keine leichte Sache. Rumohr war tot. Schnaase, Springer und
Hettner, einige Jahre später auch Alfred Woltmann, hätten es wohl gekonnt,
vielleicht auch noch zwei oder drei andre, die ich nicht nenne, alle aber
hatten damals mit ihren eignen Arbeiten vollauf zu tun, und selbständige,
fördernde Rezensionen wissenschaftlicher Werke werden doch auch heute eigentlich
nur von solchen geschrieben, die sich mit denselben Gegenständen beschäftigen,
und die außerdem Zeit dazu haben; eine empfehlende Gefälligkeitsanzeige aber
war gegenüber einem Manne von Burckhardts Ansehen schon nicht mehr an¬
gebracht. Welche einzig hohe Wertschätzung gerade dieses Werk Burckhardts von
Anfang an in Deutschland erfahren hat, sieht man aus der gleichzeitigen kunst¬
geschichtlichen Literatur, und die Ältern werden mir aus ihrer Erfahrung be¬
stätigen können, daß es in der mündlichen Überlieferung für klassisch galt. Eins
freilich darf dabei nicht übergangen werden, daß es auch schon damals viel
mehr Leute gab, die es stehen hatten und für Einzelheiten zum Nachschlagen
benutzten, als die es kannten, weil sie es ganz gelesen hatten, und es ist keine
gewagte Behauptung, daß seither jene Mehrheit diese Minderheit um das
Vielfache überflügelt hat. Das liegt eben daran, daß es ein sehr schweres Buch
ist, das nur der verstehn kann, der Burckhardts Leitsätze und Andeutungen in


Burckhardts Licerone und Kultur der Renaissance

kennen andrerseits seine Abneigung gegen das Herausgeben; er wollte nicht
Knecht der Buchhändler sein, pflegte er zu sagen. Nun hatte er dieses von der
ersten bis zur letzten Seite originelle Buch in die Welt hinausgehen lassen als
einen „Versuch", in dem Gefühl, daß es etwas ganz Neues war, auch in der
Formulierung der Gedanken, der meist aphoristisch und blitzartig andeutenden,
höchst persönlichen Vortragsweise, womit er einen ungeheuern, aus den Tiefen
seines umfassenden Wissens geholten Stoff in sichern, breit hingesetzten Pinsel¬
strichen skizziert hatte. Was sollte er in einer neuen Auflage daran ändern
oder hinzufügen, was weiter ausführen und dadurch die Frische und das Leben
des ersten Entwurfs sich verderben? Ein andrer hätte aus jedem Kapitel ein
kleines Buch machen können. So, denke ich, mußte es kommen, wie es ge¬
kommen ist, und wie es am besten war, und wir müssen Geiger dafür dankbar
sein, daß er nicht mehr daran änderte, als absolut notwendig war.

Geiger hat in einem Nachworte zur zehnten Auflage noch eine sehr lesens¬
werte Geschichte des Burckhardtschen Buches seit dessen Erscheinen gegeben,
er ist den äußern Spuren des Eindrucks nachgegangen, den das Buch auf die
Zeitgenossen gemacht haben möge, und findet es bemerkenswert, daß sich nur
eine einzige ausführliche Rezension nachweisen läßt, von Moritz Carriere — von
der man freilich sagen kann: Du gleichst dem Geist, den du begreifst. Der
Verfasser vieler langatmiger und längst vergessener Bücher vermißt in selbst¬
gefälligen Tadel bei Burckhardt die italienische Philosophie, nach der wohl außer
ihm selbst kaum jemand verlangt haben wird. Übrigens ist die von Geiger
hervorgehobne Tatsache für den, der die Zeit noch mit erlebt hat, nicht ver¬
wunderlich. Eine wirkliche Rezension über ein so ungewöhnliches Buch zu
schreiben, war keine leichte Sache. Rumohr war tot. Schnaase, Springer und
Hettner, einige Jahre später auch Alfred Woltmann, hätten es wohl gekonnt,
vielleicht auch noch zwei oder drei andre, die ich nicht nenne, alle aber
hatten damals mit ihren eignen Arbeiten vollauf zu tun, und selbständige,
fördernde Rezensionen wissenschaftlicher Werke werden doch auch heute eigentlich
nur von solchen geschrieben, die sich mit denselben Gegenständen beschäftigen,
und die außerdem Zeit dazu haben; eine empfehlende Gefälligkeitsanzeige aber
war gegenüber einem Manne von Burckhardts Ansehen schon nicht mehr an¬
gebracht. Welche einzig hohe Wertschätzung gerade dieses Werk Burckhardts von
Anfang an in Deutschland erfahren hat, sieht man aus der gleichzeitigen kunst¬
geschichtlichen Literatur, und die Ältern werden mir aus ihrer Erfahrung be¬
stätigen können, daß es in der mündlichen Überlieferung für klassisch galt. Eins
freilich darf dabei nicht übergangen werden, daß es auch schon damals viel
mehr Leute gab, die es stehen hatten und für Einzelheiten zum Nachschlagen
benutzten, als die es kannten, weil sie es ganz gelesen hatten, und es ist keine
gewagte Behauptung, daß seither jene Mehrheit diese Minderheit um das
Vielfache überflügelt hat. Das liegt eben daran, daß es ein sehr schweres Buch
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/88>, abgerufen am 25.08.2024.