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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Burckhardts Cicerone und Kultur der Renaissance

niemals mit einem Worte gedacht. Und das Volk der Hirten versteht sich
doch sonst ganz gut aufs Rechnen.

Unter solchen Umständen reifte in dem Verleger der Entschluß, auf irgend¬
eine Weise diesen Wünschen nachzugeben. Eine Zeit lang trug er sich mit dem
Plane, eine illustrierte Ausgabe in größerm Format herauszugeben, mit dem
"Urcicerone" als Text und den nötigen Korrekturen und Zusätzen als An¬
merkungen unter dem Text. Aber das Unternehmen erwies sich wegen der
Kosten als unausführbar, außerdem würde die philologische Aufmachung dem
feinern Geschmack kaum zugesagt haben. Mir würde es am zweckmäßigsten
erschienen sein, wenn man die erste von Zahn besorgte Auflage, weil sie die
unumgänglichen Korrekturen der Urauflage enthielt, dem Neudruck zugrunde
gelegt und dabei noch von den Zusätzen soviel gestrichen hätte, wie irgend
möglich gewesen wäre. Damit wären aber die Pietätsträger wahrscheinlich
nicht befriedigt worden, und da andrerseits die für den wissenschaftlichen Ge¬
brauch bestimmte Bodesche Ausgabe doch weitergeführt werden mußte, so ent¬
schloß sich der Verleger zu dem einfachsten und kürzesten, einem so gut wie
wörtlichen Abdruck der Auflage von 1855. Allerdings setzt nun dieser "Ur¬
cicerone" Leser voraus, die die Unrichtigkeiten darin als solche erkennen, sach¬
verständige Benutzer also, deren Zahl nicht gerade sehr groß sein wird. Das
konnte sich der Verleger von vornherein selbst sagen. Er hat jedoch eine
Ehrenpflicht erfüllen wollen. Ein übriges bleibt denen zu tun, die nach diesem
Neudruck gerufen haben, und in der Schweiz müßte er eigentlich ein Haus¬
hund werden. Aber freilich, wenn es ans Geldausgeben geht, hat bekanntlich
die Sentimentalität ein Ende.

Das andre Hauptwerk Burckhardts, die "Kultur der Renaissance", erschien
zuerst 1860 in demselben Verlage wie der Cicerone, E. A. Seemann übernahm
es ebenfalls und gab es 1869 in zweiter Auflage, mit einigen Änderungen
des Verfassers, heraus. Dann kümmerte sich Burckhardt nicht mehr um sein
Werk, und mit den folgenden Auflagen wurde Professor Geiger in Berlin
betraut. Er hat es reichlich erfahren müssen, wie undankbar die schwere
Aufgabe ist, ein fremdes bedeutendes Buch weiter zu bearbeiten. Was er gut
daran macht, wird nicht dem Herausgeber, sondern dem berühmten Autor
stillschweigend gut geschrieben; was ihm weniger gerät, wird ihm doppelt laut
vorgerückt. Die Gerechtigkeit fordert, allen Nörgeleien gegenüber, von denen
noch die Rede sein wird, es auszusprechen, daß sich Geiger durch seine ent¬
sagende und unendlich mühevolle Arbeit den Dank aller wissenschaftlich
denkenden und billig urteilenden Leser verdient hat. Die dritte Auflage er¬
schien in seiner Bearbeitung 1877/78. Noch in ganz andrer Weise als bei
dem Cicerone machte sich hier die Mißbilligung der fremden Bearbeitung von
feiten der schweizerischen Beurteiler in beweglichen Klagen laut, daß Burck¬
hardt sein Werk preisgegeben habe; jede Änderung wurde bekrittelt, als
handelte es sich um den inspirierten Text eines heiligen Neligionsbuchs. Wer


Burckhardts Cicerone und Kultur der Renaissance

niemals mit einem Worte gedacht. Und das Volk der Hirten versteht sich
doch sonst ganz gut aufs Rechnen.

Unter solchen Umständen reifte in dem Verleger der Entschluß, auf irgend¬
eine Weise diesen Wünschen nachzugeben. Eine Zeit lang trug er sich mit dem
Plane, eine illustrierte Ausgabe in größerm Format herauszugeben, mit dem
„Urcicerone" als Text und den nötigen Korrekturen und Zusätzen als An¬
merkungen unter dem Text. Aber das Unternehmen erwies sich wegen der
Kosten als unausführbar, außerdem würde die philologische Aufmachung dem
feinern Geschmack kaum zugesagt haben. Mir würde es am zweckmäßigsten
erschienen sein, wenn man die erste von Zahn besorgte Auflage, weil sie die
unumgänglichen Korrekturen der Urauflage enthielt, dem Neudruck zugrunde
gelegt und dabei noch von den Zusätzen soviel gestrichen hätte, wie irgend
möglich gewesen wäre. Damit wären aber die Pietätsträger wahrscheinlich
nicht befriedigt worden, und da andrerseits die für den wissenschaftlichen Ge¬
brauch bestimmte Bodesche Ausgabe doch weitergeführt werden mußte, so ent¬
schloß sich der Verleger zu dem einfachsten und kürzesten, einem so gut wie
wörtlichen Abdruck der Auflage von 1855. Allerdings setzt nun dieser „Ur¬
cicerone" Leser voraus, die die Unrichtigkeiten darin als solche erkennen, sach¬
verständige Benutzer also, deren Zahl nicht gerade sehr groß sein wird. Das
konnte sich der Verleger von vornherein selbst sagen. Er hat jedoch eine
Ehrenpflicht erfüllen wollen. Ein übriges bleibt denen zu tun, die nach diesem
Neudruck gerufen haben, und in der Schweiz müßte er eigentlich ein Haus¬
hund werden. Aber freilich, wenn es ans Geldausgeben geht, hat bekanntlich
die Sentimentalität ein Ende.

Das andre Hauptwerk Burckhardts, die „Kultur der Renaissance", erschien
zuerst 1860 in demselben Verlage wie der Cicerone, E. A. Seemann übernahm
es ebenfalls und gab es 1869 in zweiter Auflage, mit einigen Änderungen
des Verfassers, heraus. Dann kümmerte sich Burckhardt nicht mehr um sein
Werk, und mit den folgenden Auflagen wurde Professor Geiger in Berlin
betraut. Er hat es reichlich erfahren müssen, wie undankbar die schwere
Aufgabe ist, ein fremdes bedeutendes Buch weiter zu bearbeiten. Was er gut
daran macht, wird nicht dem Herausgeber, sondern dem berühmten Autor
stillschweigend gut geschrieben; was ihm weniger gerät, wird ihm doppelt laut
vorgerückt. Die Gerechtigkeit fordert, allen Nörgeleien gegenüber, von denen
noch die Rede sein wird, es auszusprechen, daß sich Geiger durch seine ent¬
sagende und unendlich mühevolle Arbeit den Dank aller wissenschaftlich
denkenden und billig urteilenden Leser verdient hat. Die dritte Auflage er¬
schien in seiner Bearbeitung 1877/78. Noch in ganz andrer Weise als bei
dem Cicerone machte sich hier die Mißbilligung der fremden Bearbeitung von
feiten der schweizerischen Beurteiler in beweglichen Klagen laut, daß Burck¬
hardt sein Werk preisgegeben habe; jede Änderung wurde bekrittelt, als
handelte es sich um den inspirierten Text eines heiligen Neligionsbuchs. Wer


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[0086] Burckhardts Cicerone und Kultur der Renaissance niemals mit einem Worte gedacht. Und das Volk der Hirten versteht sich doch sonst ganz gut aufs Rechnen. Unter solchen Umständen reifte in dem Verleger der Entschluß, auf irgend¬ eine Weise diesen Wünschen nachzugeben. Eine Zeit lang trug er sich mit dem Plane, eine illustrierte Ausgabe in größerm Format herauszugeben, mit dem „Urcicerone" als Text und den nötigen Korrekturen und Zusätzen als An¬ merkungen unter dem Text. Aber das Unternehmen erwies sich wegen der Kosten als unausführbar, außerdem würde die philologische Aufmachung dem feinern Geschmack kaum zugesagt haben. Mir würde es am zweckmäßigsten erschienen sein, wenn man die erste von Zahn besorgte Auflage, weil sie die unumgänglichen Korrekturen der Urauflage enthielt, dem Neudruck zugrunde gelegt und dabei noch von den Zusätzen soviel gestrichen hätte, wie irgend möglich gewesen wäre. Damit wären aber die Pietätsträger wahrscheinlich nicht befriedigt worden, und da andrerseits die für den wissenschaftlichen Ge¬ brauch bestimmte Bodesche Ausgabe doch weitergeführt werden mußte, so ent¬ schloß sich der Verleger zu dem einfachsten und kürzesten, einem so gut wie wörtlichen Abdruck der Auflage von 1855. Allerdings setzt nun dieser „Ur¬ cicerone" Leser voraus, die die Unrichtigkeiten darin als solche erkennen, sach¬ verständige Benutzer also, deren Zahl nicht gerade sehr groß sein wird. Das konnte sich der Verleger von vornherein selbst sagen. Er hat jedoch eine Ehrenpflicht erfüllen wollen. Ein übriges bleibt denen zu tun, die nach diesem Neudruck gerufen haben, und in der Schweiz müßte er eigentlich ein Haus¬ hund werden. Aber freilich, wenn es ans Geldausgeben geht, hat bekanntlich die Sentimentalität ein Ende. Das andre Hauptwerk Burckhardts, die „Kultur der Renaissance", erschien zuerst 1860 in demselben Verlage wie der Cicerone, E. A. Seemann übernahm es ebenfalls und gab es 1869 in zweiter Auflage, mit einigen Änderungen des Verfassers, heraus. Dann kümmerte sich Burckhardt nicht mehr um sein Werk, und mit den folgenden Auflagen wurde Professor Geiger in Berlin betraut. Er hat es reichlich erfahren müssen, wie undankbar die schwere Aufgabe ist, ein fremdes bedeutendes Buch weiter zu bearbeiten. Was er gut daran macht, wird nicht dem Herausgeber, sondern dem berühmten Autor stillschweigend gut geschrieben; was ihm weniger gerät, wird ihm doppelt laut vorgerückt. Die Gerechtigkeit fordert, allen Nörgeleien gegenüber, von denen noch die Rede sein wird, es auszusprechen, daß sich Geiger durch seine ent¬ sagende und unendlich mühevolle Arbeit den Dank aller wissenschaftlich denkenden und billig urteilenden Leser verdient hat. Die dritte Auflage er¬ schien in seiner Bearbeitung 1877/78. Noch in ganz andrer Weise als bei dem Cicerone machte sich hier die Mißbilligung der fremden Bearbeitung von feiten der schweizerischen Beurteiler in beweglichen Klagen laut, daß Burck¬ hardt sein Werk preisgegeben habe; jede Änderung wurde bekrittelt, als handelte es sich um den inspirierten Text eines heiligen Neligionsbuchs. Wer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/86>, abgerufen am 02.10.2024.