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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Burckhardts Cicerone und Kultur der Renaissance

Aufschlüsse verdankte. So war bis zum Jahre 1904 die neunte Auflage
erschienen.

Wie es nicht anders sein konnte, erhielten alle diese Auflagen in zu¬
nehmendem Maße außer den nötigen Berichtigungen und Verbesserungen auch
mehr oder weniger umfängliche Zusätze. So kam es, daß allmählich nicht
nur die Burckhardtschen Formulierungen vielfach verändert wurden, was bei
der fortschreitenden oder, sagen wir vorsichtiger, sich verändernden Auffassung
der Dinge nicht zu vermeiden war, sondern daß an manchen Stellen der ur¬
sprüngliche Vurckhardt unter fremden Zutaten geradezu verschüttet wurde.
Dies war um so mißlicher, als man das von Zahn beobachtete Verfahren, die
Änderungen und fremden Zusätze in eckige Klammern einzuschließen, bei der
zunehmenden Umgestaltung des Buches hatte aufgeben müssen, sodaß es immer
schwerer wurde und schließlich kaum noch möglich war, Burckhardts Meinung
über einen einzelnen Punkt aus seinem Cicerone festzustellen. In Wirklichkeit
war freilich dieser Schade nicht so groß, wie er von manchen, die leichthin
darüber das Wort nahmen, hingestellt worden ist. Denn der Kenner konnte
sich, wo ihm daran lag, noch zurechtfinden, und dem größern Leserkreis ist
die Unterscheidung der Meinungen gleichgiltig, wenn er nur den Eindruck be¬
kommt, daß ihm das Richtige und Angemessene gesagt wird. Dessen konnte
man bei Bodes eignen Zusätzen selbstverständlich sicher sein. Einzelne der
von ihm herangezognen Mitarbeiter hatten allerdings von der siebenten Auf¬
lage (1898) an dem Buche unpassenderweise ihre belanglosen Privatansichten
einverleibt, insonderheit waren die Abschnitte über Naffael bös mitgenommen
worden, aber diese Bestandteile wurden, was wohl kaum beachtet worden ist,
in der neunten Auflage (1904) wieder beseitigt. Das geschah durch den ver¬
storbnen Ernst Seemann, der sich der Ausgestaltung des Cicerone mit unab¬
lässiger Sorgfalt annahm, und der auch öfter über die Notwendigkeit einer
"Nevidierung nach rückwärts" gesprochen hat. Die Sache war aber nicht so
einfach. Der Cicerone war nun einmal als Hand- und Reisebuch gedacht und
nur durch fortwährende Erneuerung lebensfähig zu erhalten. Es verriet also
ein sehr geringes Maß von Einsicht, wenn Leute, die den ursprünglichen
Vurckhardt von 1855 gar nicht kannten, leichten Herzens vorschlugen, man
solle einfach zu einem Neudruck der ersten Auflage zurückkehren -- als ob
die Kunstwissenschaft die letzten fünfzig Jahre verschlafen hätte! Am übelsten
ist es allemal, wenn in die Erörterung solcher Zweckmäßigkeitssragen die
"Pietät" mit hineingespielt wird. Las jemand manche Beurteilungen einer
neuen Ciceroneauflage, die von schweizerischer Seite kamen, so konnte er
beinahe den Eindruck gewinnen, als werde in Deutschland jedesmal ein neues
Sakrileg gegen die Manen Jakob Burckhardts verübt. Am lautesten erschollen
denn auch von dort aus die Rufe nach einem Wiederabdruck der ersten Auf¬
lage; nur der Frage, wer denn dieses Pietätsdenkmal bezahlen wollte, mit
andern Worten, woher die Käufer eines solchen Buches kommen sollten, wurde


Grenzboten IV 1908 it
Burckhardts Cicerone und Kultur der Renaissance

Aufschlüsse verdankte. So war bis zum Jahre 1904 die neunte Auflage
erschienen.

Wie es nicht anders sein konnte, erhielten alle diese Auflagen in zu¬
nehmendem Maße außer den nötigen Berichtigungen und Verbesserungen auch
mehr oder weniger umfängliche Zusätze. So kam es, daß allmählich nicht
nur die Burckhardtschen Formulierungen vielfach verändert wurden, was bei
der fortschreitenden oder, sagen wir vorsichtiger, sich verändernden Auffassung
der Dinge nicht zu vermeiden war, sondern daß an manchen Stellen der ur¬
sprüngliche Vurckhardt unter fremden Zutaten geradezu verschüttet wurde.
Dies war um so mißlicher, als man das von Zahn beobachtete Verfahren, die
Änderungen und fremden Zusätze in eckige Klammern einzuschließen, bei der
zunehmenden Umgestaltung des Buches hatte aufgeben müssen, sodaß es immer
schwerer wurde und schließlich kaum noch möglich war, Burckhardts Meinung
über einen einzelnen Punkt aus seinem Cicerone festzustellen. In Wirklichkeit
war freilich dieser Schade nicht so groß, wie er von manchen, die leichthin
darüber das Wort nahmen, hingestellt worden ist. Denn der Kenner konnte
sich, wo ihm daran lag, noch zurechtfinden, und dem größern Leserkreis ist
die Unterscheidung der Meinungen gleichgiltig, wenn er nur den Eindruck be¬
kommt, daß ihm das Richtige und Angemessene gesagt wird. Dessen konnte
man bei Bodes eignen Zusätzen selbstverständlich sicher sein. Einzelne der
von ihm herangezognen Mitarbeiter hatten allerdings von der siebenten Auf¬
lage (1898) an dem Buche unpassenderweise ihre belanglosen Privatansichten
einverleibt, insonderheit waren die Abschnitte über Naffael bös mitgenommen
worden, aber diese Bestandteile wurden, was wohl kaum beachtet worden ist,
in der neunten Auflage (1904) wieder beseitigt. Das geschah durch den ver¬
storbnen Ernst Seemann, der sich der Ausgestaltung des Cicerone mit unab¬
lässiger Sorgfalt annahm, und der auch öfter über die Notwendigkeit einer
„Nevidierung nach rückwärts" gesprochen hat. Die Sache war aber nicht so
einfach. Der Cicerone war nun einmal als Hand- und Reisebuch gedacht und
nur durch fortwährende Erneuerung lebensfähig zu erhalten. Es verriet also
ein sehr geringes Maß von Einsicht, wenn Leute, die den ursprünglichen
Vurckhardt von 1855 gar nicht kannten, leichten Herzens vorschlugen, man
solle einfach zu einem Neudruck der ersten Auflage zurückkehren — als ob
die Kunstwissenschaft die letzten fünfzig Jahre verschlafen hätte! Am übelsten
ist es allemal, wenn in die Erörterung solcher Zweckmäßigkeitssragen die
„Pietät" mit hineingespielt wird. Las jemand manche Beurteilungen einer
neuen Ciceroneauflage, die von schweizerischer Seite kamen, so konnte er
beinahe den Eindruck gewinnen, als werde in Deutschland jedesmal ein neues
Sakrileg gegen die Manen Jakob Burckhardts verübt. Am lautesten erschollen
denn auch von dort aus die Rufe nach einem Wiederabdruck der ersten Auf¬
lage; nur der Frage, wer denn dieses Pietätsdenkmal bezahlen wollte, mit
andern Worten, woher die Käufer eines solchen Buches kommen sollten, wurde


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[0085] Burckhardts Cicerone und Kultur der Renaissance Aufschlüsse verdankte. So war bis zum Jahre 1904 die neunte Auflage erschienen. Wie es nicht anders sein konnte, erhielten alle diese Auflagen in zu¬ nehmendem Maße außer den nötigen Berichtigungen und Verbesserungen auch mehr oder weniger umfängliche Zusätze. So kam es, daß allmählich nicht nur die Burckhardtschen Formulierungen vielfach verändert wurden, was bei der fortschreitenden oder, sagen wir vorsichtiger, sich verändernden Auffassung der Dinge nicht zu vermeiden war, sondern daß an manchen Stellen der ur¬ sprüngliche Vurckhardt unter fremden Zutaten geradezu verschüttet wurde. Dies war um so mißlicher, als man das von Zahn beobachtete Verfahren, die Änderungen und fremden Zusätze in eckige Klammern einzuschließen, bei der zunehmenden Umgestaltung des Buches hatte aufgeben müssen, sodaß es immer schwerer wurde und schließlich kaum noch möglich war, Burckhardts Meinung über einen einzelnen Punkt aus seinem Cicerone festzustellen. In Wirklichkeit war freilich dieser Schade nicht so groß, wie er von manchen, die leichthin darüber das Wort nahmen, hingestellt worden ist. Denn der Kenner konnte sich, wo ihm daran lag, noch zurechtfinden, und dem größern Leserkreis ist die Unterscheidung der Meinungen gleichgiltig, wenn er nur den Eindruck be¬ kommt, daß ihm das Richtige und Angemessene gesagt wird. Dessen konnte man bei Bodes eignen Zusätzen selbstverständlich sicher sein. Einzelne der von ihm herangezognen Mitarbeiter hatten allerdings von der siebenten Auf¬ lage (1898) an dem Buche unpassenderweise ihre belanglosen Privatansichten einverleibt, insonderheit waren die Abschnitte über Naffael bös mitgenommen worden, aber diese Bestandteile wurden, was wohl kaum beachtet worden ist, in der neunten Auflage (1904) wieder beseitigt. Das geschah durch den ver¬ storbnen Ernst Seemann, der sich der Ausgestaltung des Cicerone mit unab¬ lässiger Sorgfalt annahm, und der auch öfter über die Notwendigkeit einer „Nevidierung nach rückwärts" gesprochen hat. Die Sache war aber nicht so einfach. Der Cicerone war nun einmal als Hand- und Reisebuch gedacht und nur durch fortwährende Erneuerung lebensfähig zu erhalten. Es verriet also ein sehr geringes Maß von Einsicht, wenn Leute, die den ursprünglichen Vurckhardt von 1855 gar nicht kannten, leichten Herzens vorschlugen, man solle einfach zu einem Neudruck der ersten Auflage zurückkehren — als ob die Kunstwissenschaft die letzten fünfzig Jahre verschlafen hätte! Am übelsten ist es allemal, wenn in die Erörterung solcher Zweckmäßigkeitssragen die „Pietät" mit hineingespielt wird. Las jemand manche Beurteilungen einer neuen Ciceroneauflage, die von schweizerischer Seite kamen, so konnte er beinahe den Eindruck gewinnen, als werde in Deutschland jedesmal ein neues Sakrileg gegen die Manen Jakob Burckhardts verübt. Am lautesten erschollen denn auch von dort aus die Rufe nach einem Wiederabdruck der ersten Auf¬ lage; nur der Frage, wer denn dieses Pietätsdenkmal bezahlen wollte, mit andern Worten, woher die Käufer eines solchen Buches kommen sollten, wurde Grenzboten IV 1908 it

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/85>, abgerufen am 25.08.2024.