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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Zur Frage der Deportation

Deportation aufklären und eine gesetzliche Einführung anstreben. Durch Aus¬
arbeiten von Denkschriften und Eingaben an die zuständigen Stellen, durch
Verkehr und Meinungsaustausch mit Sachverständigen und Interessenten und
durch Anregung der öffentlichen Meinung durch Wort und Schrift wird er
dahin arbeiten, daß sich breitere Volksströmungen zugunsten der Strafver¬
schickung bemerkbar machen, sodaß diese Frage endlich einmal als spruchreif
zu betrachten sein dürfte und nicht mehr ohne weiteres über sie hinweg ge¬
gangen werden kann.

Der Deportationsverband hat im Januar dem Reichstag eine Petition
unterbreitet über die Errichtung einer Kolonie entlassener Strafgefangner auf
der Insel Neu-Pommern. Er hat sich zu dieser Eingabe entschlossen, nachdem
eine Petition des Deportationsausschusses des deutschen Kolonialbundes über
die Einführung der fakultativen Strafverschickung im Herbst 1906 im Reichs¬
tag zu keinem Resultat geführt hat. Wie schon oben erwähnt worden ist, hat
auch die neue Eingabe trotz der Resolution des Reichstagsabgeordneten von
Liebert keinen Erfolg gehabt.

Nun heißt es erst recht, weiter auf diesem Gebiet arbeiten, nun kommt
es darauf an, diesem Gedanken immer mehr Freunde zuzuführen und die
öffentliche Meinung mehr und mehr für die Sache zu interessieren, damit
der Dcportationsverband unter Umständen einmal selbst die pekuniären Mittel
in die Hand bekommt, um durch einen wenn auch noch so kleinen praktischen
Versuch mit der Ansiedlung von Strafentlassenen den Beweis zu liefern, daß
ans unsern Entlassener besonders auf diesem Wege noch nützliche Glieder der
menschlichen Gesellschaft gemacht werden können, und daß hierdurch und durch
die Deportation der Strafgefangnen selbst am ehesten noch der Hochflut der
Rückfälligen Einhalt getan werden kann.

Den Verfechtern der Strafverschicknng werden immer und immer wieder
die traurigen Erfahrungen entgegengehalten, die andre Staaten mit der De¬
portation machen mußten, ebenso die großen Kosten, die sie verursachen würde,
dann die klimatischen Schwierigkeiten, ferner die Bedenken, auf diese Weise
unsre Kolonien mit Zuchthausbrüdern zu überschwemmen, und endlich die Be¬
fürchtungen, daß speziell, sofern es sich um die Errichtung einer Strafkolonie
auf einer der Inseln im Stillen Ozean handeln sollte, England-Australien
diesem Gedanken sehr feindlich gegenüberstehn würde.

Es muß zugegeben werden, daß weder Rußland noch Frankreich an der
Deportation viel Freude erlebt haben; es muß aber auch festgestellt werden,
daß der Aufschwung Australiens vor allem der Ansiedlung von Strafgefangnen
zu verdanken ist. Was die Kosten anlangt, so wissen wir alle, welche enorme
Summen der Strafvollzug alljährlich in Deutschland verschlingt, und wie teuer
der Ban neuer Anstalten zu stehn kommt; daß im Vergleich hierzu die Kosten
der Strafverschicknng geringer siud, ist schon nachgewiesen worden. Auch dafür
ist der Erweis gebracht worden, daß wir unter unsern Kolonien genug solcher


Zur Frage der Deportation

Deportation aufklären und eine gesetzliche Einführung anstreben. Durch Aus¬
arbeiten von Denkschriften und Eingaben an die zuständigen Stellen, durch
Verkehr und Meinungsaustausch mit Sachverständigen und Interessenten und
durch Anregung der öffentlichen Meinung durch Wort und Schrift wird er
dahin arbeiten, daß sich breitere Volksströmungen zugunsten der Strafver¬
schickung bemerkbar machen, sodaß diese Frage endlich einmal als spruchreif
zu betrachten sein dürfte und nicht mehr ohne weiteres über sie hinweg ge¬
gangen werden kann.

Der Deportationsverband hat im Januar dem Reichstag eine Petition
unterbreitet über die Errichtung einer Kolonie entlassener Strafgefangner auf
der Insel Neu-Pommern. Er hat sich zu dieser Eingabe entschlossen, nachdem
eine Petition des Deportationsausschusses des deutschen Kolonialbundes über
die Einführung der fakultativen Strafverschickung im Herbst 1906 im Reichs¬
tag zu keinem Resultat geführt hat. Wie schon oben erwähnt worden ist, hat
auch die neue Eingabe trotz der Resolution des Reichstagsabgeordneten von
Liebert keinen Erfolg gehabt.

Nun heißt es erst recht, weiter auf diesem Gebiet arbeiten, nun kommt
es darauf an, diesem Gedanken immer mehr Freunde zuzuführen und die
öffentliche Meinung mehr und mehr für die Sache zu interessieren, damit
der Dcportationsverband unter Umständen einmal selbst die pekuniären Mittel
in die Hand bekommt, um durch einen wenn auch noch so kleinen praktischen
Versuch mit der Ansiedlung von Strafentlassenen den Beweis zu liefern, daß
ans unsern Entlassener besonders auf diesem Wege noch nützliche Glieder der
menschlichen Gesellschaft gemacht werden können, und daß hierdurch und durch
die Deportation der Strafgefangnen selbst am ehesten noch der Hochflut der
Rückfälligen Einhalt getan werden kann.

Den Verfechtern der Strafverschicknng werden immer und immer wieder
die traurigen Erfahrungen entgegengehalten, die andre Staaten mit der De¬
portation machen mußten, ebenso die großen Kosten, die sie verursachen würde,
dann die klimatischen Schwierigkeiten, ferner die Bedenken, auf diese Weise
unsre Kolonien mit Zuchthausbrüdern zu überschwemmen, und endlich die Be¬
fürchtungen, daß speziell, sofern es sich um die Errichtung einer Strafkolonie
auf einer der Inseln im Stillen Ozean handeln sollte, England-Australien
diesem Gedanken sehr feindlich gegenüberstehn würde.

Es muß zugegeben werden, daß weder Rußland noch Frankreich an der
Deportation viel Freude erlebt haben; es muß aber auch festgestellt werden,
daß der Aufschwung Australiens vor allem der Ansiedlung von Strafgefangnen
zu verdanken ist. Was die Kosten anlangt, so wissen wir alle, welche enorme
Summen der Strafvollzug alljährlich in Deutschland verschlingt, und wie teuer
der Ban neuer Anstalten zu stehn kommt; daß im Vergleich hierzu die Kosten
der Strafverschicknng geringer siud, ist schon nachgewiesen worden. Auch dafür
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[0074] Zur Frage der Deportation Deportation aufklären und eine gesetzliche Einführung anstreben. Durch Aus¬ arbeiten von Denkschriften und Eingaben an die zuständigen Stellen, durch Verkehr und Meinungsaustausch mit Sachverständigen und Interessenten und durch Anregung der öffentlichen Meinung durch Wort und Schrift wird er dahin arbeiten, daß sich breitere Volksströmungen zugunsten der Strafver¬ schickung bemerkbar machen, sodaß diese Frage endlich einmal als spruchreif zu betrachten sein dürfte und nicht mehr ohne weiteres über sie hinweg ge¬ gangen werden kann. Der Deportationsverband hat im Januar dem Reichstag eine Petition unterbreitet über die Errichtung einer Kolonie entlassener Strafgefangner auf der Insel Neu-Pommern. Er hat sich zu dieser Eingabe entschlossen, nachdem eine Petition des Deportationsausschusses des deutschen Kolonialbundes über die Einführung der fakultativen Strafverschickung im Herbst 1906 im Reichs¬ tag zu keinem Resultat geführt hat. Wie schon oben erwähnt worden ist, hat auch die neue Eingabe trotz der Resolution des Reichstagsabgeordneten von Liebert keinen Erfolg gehabt. Nun heißt es erst recht, weiter auf diesem Gebiet arbeiten, nun kommt es darauf an, diesem Gedanken immer mehr Freunde zuzuführen und die öffentliche Meinung mehr und mehr für die Sache zu interessieren, damit der Dcportationsverband unter Umständen einmal selbst die pekuniären Mittel in die Hand bekommt, um durch einen wenn auch noch so kleinen praktischen Versuch mit der Ansiedlung von Strafentlassenen den Beweis zu liefern, daß ans unsern Entlassener besonders auf diesem Wege noch nützliche Glieder der menschlichen Gesellschaft gemacht werden können, und daß hierdurch und durch die Deportation der Strafgefangnen selbst am ehesten noch der Hochflut der Rückfälligen Einhalt getan werden kann. Den Verfechtern der Strafverschicknng werden immer und immer wieder die traurigen Erfahrungen entgegengehalten, die andre Staaten mit der De¬ portation machen mußten, ebenso die großen Kosten, die sie verursachen würde, dann die klimatischen Schwierigkeiten, ferner die Bedenken, auf diese Weise unsre Kolonien mit Zuchthausbrüdern zu überschwemmen, und endlich die Be¬ fürchtungen, daß speziell, sofern es sich um die Errichtung einer Strafkolonie auf einer der Inseln im Stillen Ozean handeln sollte, England-Australien diesem Gedanken sehr feindlich gegenüberstehn würde. Es muß zugegeben werden, daß weder Rußland noch Frankreich an der Deportation viel Freude erlebt haben; es muß aber auch festgestellt werden, daß der Aufschwung Australiens vor allem der Ansiedlung von Strafgefangnen zu verdanken ist. Was die Kosten anlangt, so wissen wir alle, welche enorme Summen der Strafvollzug alljährlich in Deutschland verschlingt, und wie teuer der Ban neuer Anstalten zu stehn kommt; daß im Vergleich hierzu die Kosten der Strafverschicknng geringer siud, ist schon nachgewiesen worden. Auch dafür ist der Erweis gebracht worden, daß wir unter unsern Kolonien genug solcher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/74>, abgerufen am 25.08.2024.