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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Die Türkenherrschaft und ihre Folgen

(die Gesandtschaft Ferdinands des Ersten konnte sich 1530 in Konstantinopel
nnr in dieser Sprache verständigen), daß wir aus der Kanzlei der Großherren
und namentlich von den Würdenträgern der nördlichen und westlichen Grenz¬
gebiete des türkischen Reichs zahlreiche serbokroatische, manchmal von Bulgarismen
durchtränkte Urkunden (meist in cyrillischer, aber auch in lateinischer und
glagolitischer Schrift) besitzen, und daß selbst Johann Zapolya mit dem Türken
Mechmedbeg serbisch korrespondierte. Ebenso war slawisch die eigentliche Ver¬
kehrssprache im Janitscharenkorps.

Diese Tatsachen waren den nordwestslawischen Zeitgenossen genau bekannt,
bildeten sogar einen Stolz ihrer Grammatiker, Chronisten und Schriftsteller;
so werden auch die Bemühungen der slowenischen Protestanten und ihrer
deutschen Protektoren begreiflich, die mit Hilfe der cyrillischen und glagolitischen
Drucke nicht bloß alle christlichen Südslawen, sondern auch die "Türken" bis
Konstantinopel für die neue Lehre gewinnen wollten. Unter solchen Umständen
ist es selbstverständlich, daß die Türken in Europa mancherlei auch von deu
Slawen angenommen haben. Erwähnt sei, daß Bosnien auch Dichter in persischer
und türkischer Sprache lieferte.

Der Konservatismus der Türken äußerte sich besonders in der Regelung
der kirchlichen Verhältnisse. Das griechische Patriarchat ließen sie unangetastet
und statteten es noch mit großer weltlicher Macht über seine Gläubigen aus.
Daß die griechische Kirche dem Marasmus verfiel, daran waren die Türken
nicht schuld, an der Käuflichkeit der Patriarchen-, Bischofs- und Priestcrwürden
und an andern Mißständen nur teilweise. Unter den guten Geschäften, die
der Phancir mit der Hohen Pforte auf Kosten seiner christlichen Ausbeutungs-
vbjekte machte, unter dem nationalen Hochmut und der Intoleranz der Griechen
hatte zuerst nur die große Mehrzahl der Bulgaren zu leiden, während die
übrigen Südslawen davon über zweihundert Jahre frei blieben. Das serbische
Patriarchat wurde allerdings vorübergehend dem Erzbistum Ochrida unter¬
geordnet. Die übliche Behauptung, daß dies gleich nach der Einverleibung
Serbiens (1459) geschehen sei, ist nicht bewiesen; dafür wird aber noch 1508
ein Inhaber des Thrones des heiligen Sava, Erzbischof Jovan, genannt.
Jedenfalls wurde ein längerer Kampf um die Autokephalie von Pec geführt;
um 1530 versuchte sie ein gewisser Paul wiederherzustellen. Dauernd wurde
das serbische Patriarchat 1557 unter sonderbaren Umständen erneuert. "Der
mächtige Mehmet Sokolovie (Sokolli), später Großwesir, in seiner Jugend
Diakon des Klosters Mileseva, ein gebürtiger Herzegowina, setzte seinen Bruder,
den Mönch Makarij, wieder als eignen serbischen Erzbischof ein. Die Erneuerer
waren eine merkwürdige Gesellschaft von Verwandten: die einen Mohammedaner
und türkische Feldherren, Statthalter und Wesire, die andern Mönche, Bischöfe
und Erzbischöfe, aber alle mit Gefühl für die alten Rechte ihrer Nation." Be¬
greiflich ist es, daß sich die Erzbischöfe von Ochrida im fünfzehnten und im
sechzehnten Jahrhundert Herren "aller Bulgaren, Serben und der übrigen"


Grenzboten IV 1908 - 9
Die Türkenherrschaft und ihre Folgen

(die Gesandtschaft Ferdinands des Ersten konnte sich 1530 in Konstantinopel
nnr in dieser Sprache verständigen), daß wir aus der Kanzlei der Großherren
und namentlich von den Würdenträgern der nördlichen und westlichen Grenz¬
gebiete des türkischen Reichs zahlreiche serbokroatische, manchmal von Bulgarismen
durchtränkte Urkunden (meist in cyrillischer, aber auch in lateinischer und
glagolitischer Schrift) besitzen, und daß selbst Johann Zapolya mit dem Türken
Mechmedbeg serbisch korrespondierte. Ebenso war slawisch die eigentliche Ver¬
kehrssprache im Janitscharenkorps.

Diese Tatsachen waren den nordwestslawischen Zeitgenossen genau bekannt,
bildeten sogar einen Stolz ihrer Grammatiker, Chronisten und Schriftsteller;
so werden auch die Bemühungen der slowenischen Protestanten und ihrer
deutschen Protektoren begreiflich, die mit Hilfe der cyrillischen und glagolitischen
Drucke nicht bloß alle christlichen Südslawen, sondern auch die „Türken" bis
Konstantinopel für die neue Lehre gewinnen wollten. Unter solchen Umständen
ist es selbstverständlich, daß die Türken in Europa mancherlei auch von deu
Slawen angenommen haben. Erwähnt sei, daß Bosnien auch Dichter in persischer
und türkischer Sprache lieferte.

Der Konservatismus der Türken äußerte sich besonders in der Regelung
der kirchlichen Verhältnisse. Das griechische Patriarchat ließen sie unangetastet
und statteten es noch mit großer weltlicher Macht über seine Gläubigen aus.
Daß die griechische Kirche dem Marasmus verfiel, daran waren die Türken
nicht schuld, an der Käuflichkeit der Patriarchen-, Bischofs- und Priestcrwürden
und an andern Mißständen nur teilweise. Unter den guten Geschäften, die
der Phancir mit der Hohen Pforte auf Kosten seiner christlichen Ausbeutungs-
vbjekte machte, unter dem nationalen Hochmut und der Intoleranz der Griechen
hatte zuerst nur die große Mehrzahl der Bulgaren zu leiden, während die
übrigen Südslawen davon über zweihundert Jahre frei blieben. Das serbische
Patriarchat wurde allerdings vorübergehend dem Erzbistum Ochrida unter¬
geordnet. Die übliche Behauptung, daß dies gleich nach der Einverleibung
Serbiens (1459) geschehen sei, ist nicht bewiesen; dafür wird aber noch 1508
ein Inhaber des Thrones des heiligen Sava, Erzbischof Jovan, genannt.
Jedenfalls wurde ein längerer Kampf um die Autokephalie von Pec geführt;
um 1530 versuchte sie ein gewisser Paul wiederherzustellen. Dauernd wurde
das serbische Patriarchat 1557 unter sonderbaren Umständen erneuert. „Der
mächtige Mehmet Sokolovie (Sokolli), später Großwesir, in seiner Jugend
Diakon des Klosters Mileseva, ein gebürtiger Herzegowina, setzte seinen Bruder,
den Mönch Makarij, wieder als eignen serbischen Erzbischof ein. Die Erneuerer
waren eine merkwürdige Gesellschaft von Verwandten: die einen Mohammedaner
und türkische Feldherren, Statthalter und Wesire, die andern Mönche, Bischöfe
und Erzbischöfe, aber alle mit Gefühl für die alten Rechte ihrer Nation." Be¬
greiflich ist es, daß sich die Erzbischöfe von Ochrida im fünfzehnten und im
sechzehnten Jahrhundert Herren „aller Bulgaren, Serben und der übrigen"


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[0069] Die Türkenherrschaft und ihre Folgen (die Gesandtschaft Ferdinands des Ersten konnte sich 1530 in Konstantinopel nnr in dieser Sprache verständigen), daß wir aus der Kanzlei der Großherren und namentlich von den Würdenträgern der nördlichen und westlichen Grenz¬ gebiete des türkischen Reichs zahlreiche serbokroatische, manchmal von Bulgarismen durchtränkte Urkunden (meist in cyrillischer, aber auch in lateinischer und glagolitischer Schrift) besitzen, und daß selbst Johann Zapolya mit dem Türken Mechmedbeg serbisch korrespondierte. Ebenso war slawisch die eigentliche Ver¬ kehrssprache im Janitscharenkorps. Diese Tatsachen waren den nordwestslawischen Zeitgenossen genau bekannt, bildeten sogar einen Stolz ihrer Grammatiker, Chronisten und Schriftsteller; so werden auch die Bemühungen der slowenischen Protestanten und ihrer deutschen Protektoren begreiflich, die mit Hilfe der cyrillischen und glagolitischen Drucke nicht bloß alle christlichen Südslawen, sondern auch die „Türken" bis Konstantinopel für die neue Lehre gewinnen wollten. Unter solchen Umständen ist es selbstverständlich, daß die Türken in Europa mancherlei auch von deu Slawen angenommen haben. Erwähnt sei, daß Bosnien auch Dichter in persischer und türkischer Sprache lieferte. Der Konservatismus der Türken äußerte sich besonders in der Regelung der kirchlichen Verhältnisse. Das griechische Patriarchat ließen sie unangetastet und statteten es noch mit großer weltlicher Macht über seine Gläubigen aus. Daß die griechische Kirche dem Marasmus verfiel, daran waren die Türken nicht schuld, an der Käuflichkeit der Patriarchen-, Bischofs- und Priestcrwürden und an andern Mißständen nur teilweise. Unter den guten Geschäften, die der Phancir mit der Hohen Pforte auf Kosten seiner christlichen Ausbeutungs- vbjekte machte, unter dem nationalen Hochmut und der Intoleranz der Griechen hatte zuerst nur die große Mehrzahl der Bulgaren zu leiden, während die übrigen Südslawen davon über zweihundert Jahre frei blieben. Das serbische Patriarchat wurde allerdings vorübergehend dem Erzbistum Ochrida unter¬ geordnet. Die übliche Behauptung, daß dies gleich nach der Einverleibung Serbiens (1459) geschehen sei, ist nicht bewiesen; dafür wird aber noch 1508 ein Inhaber des Thrones des heiligen Sava, Erzbischof Jovan, genannt. Jedenfalls wurde ein längerer Kampf um die Autokephalie von Pec geführt; um 1530 versuchte sie ein gewisser Paul wiederherzustellen. Dauernd wurde das serbische Patriarchat 1557 unter sonderbaren Umständen erneuert. „Der mächtige Mehmet Sokolovie (Sokolli), später Großwesir, in seiner Jugend Diakon des Klosters Mileseva, ein gebürtiger Herzegowina, setzte seinen Bruder, den Mönch Makarij, wieder als eignen serbischen Erzbischof ein. Die Erneuerer waren eine merkwürdige Gesellschaft von Verwandten: die einen Mohammedaner und türkische Feldherren, Statthalter und Wesire, die andern Mönche, Bischöfe und Erzbischöfe, aber alle mit Gefühl für die alten Rechte ihrer Nation." Be¬ greiflich ist es, daß sich die Erzbischöfe von Ochrida im fünfzehnten und im sechzehnten Jahrhundert Herren „aller Bulgaren, Serben und der übrigen" Grenzboten IV 1908 - 9

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/69>, abgerufen am 22.07.2024.