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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Der starke Mensch schwankte wie ein Betrunkner, mis er jetzt durch das Schiff
der Kirche schritt, ihm war, mis woge der Boden unter ihm wie die Planken
seines Schiffes.

Sie kam ihm mit keinem Schritt entgegen. Hier solle sie stehn, hatte sein
Brief befohlen.

Jetzt war er bei ihr und nahm keinen Anstand, sie vor dem Altar in seine
Arme zu schließen. Na äouos, meine süße Braut, sagte er.

Da lächelte Gwennolci. So war es recht, nach diesen Worten, nach dieser
Stimme, nach diesen Augen, die voll heißer Liebe auf sie niedersahen, hatte sie
sich lange gesehnt. Sie ließ sich küssen und schmiegte sich fester noch in seine Arme.

Wirst du nie mehr auf See gehn, Gildas?

Nein, wie könnte ich -- von dir fort?

Bin ich nun deine Frau?

Du -- du Süße ... ,

In der hintersten Kirchenbank richtete sich eine Gestalt drohend auf -- der
Priester wollte dem Frevel Einhalt gebieten -- dies Küssen und verliebte Flüstern
am Altar --

Aber da waren die beiden schon niedergekniet vor dem Bilde der heiligen Anna,
sie hatten die Hunde ineinandergelegt und sprachen ein lautes Dankgebet.

Wir danken dir, gütige Mutter Anna, die du uns zusammengeführt hast! Um
deinen Segen bitten wir ...

Mitten zwischen demi Beten umschlangen sie sich wieder und küßten sich. Die
Heilige aber sah auf sie hernieder, ohne ihnen ein Zeichen ihres Zornes zu geben.

Die braune, verarbeitete Hand des Matrosen griff nach dem goldbestickten Kopf¬
putz des Mädchens. Deine Haare -- laß mich deine Haare sehen.

Aber Gwennvla entzog sich ihm und deutete nach der Wand auf ein Bündel
goldschimmernden Flachses. Ich habe sie der Heiligen geschenkt!

Da schoß ihm das Blut ins Gesicht, der alte Jähzorn überfiel ihn. Das
durftest du nicht -- die Haare waren mein --. Aber sogleich zügelte er sich und
sah verlegen wie ein schuldbewußter Knabe zu der steinernen Mutter auf, die ihm
sein Glück geschenkt hatte. Nein nein, sagte er reuig, du hast mir so viel geschenkt,
und ich sollte dir das Wenige mißgönnen? Die goldnen Haare sollen dein sein,
liebe Mutter!

Sie waren jetzt allein in der Kirche, der Priester war leise hinausgegangen.

Mutter Monik wartet zu Hause, mahnte Gwcnnola endlich.

In, mein lebendiges Mütterchen! Komm, wir wollen zu ihr gehn -- von
einer Mutter zur andern -- komm, meine schöne Prinzessin, wie schlank und fein
siehst du aus ...

Das macht das Kleid, Gildas, dein Kleid!

Hand in Hand schritten sie über die mondhelle Düne dem alten Hause zu.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspiegel

(Der Orient und Deutschland. Parlamentarische Schwierigkeiten. Das Ge¬
spenst der Kamarilla.)

Am 17. Dezember ist die neue konstitutionelle Türkei nun wirklich ins Leben
getreten. Der Sultan hat selbst das Parlament eröffnet und in der Thronrede
sehr bestimmt ausgesprochen, daß sein Entschluß, an der Verfassung festzuhalten,
unabänderlich sei. Einen neuen Eid auf die Verfassung hat er, gegen die Er-


Der starke Mensch schwankte wie ein Betrunkner, mis er jetzt durch das Schiff
der Kirche schritt, ihm war, mis woge der Boden unter ihm wie die Planken
seines Schiffes.

Sie kam ihm mit keinem Schritt entgegen. Hier solle sie stehn, hatte sein
Brief befohlen.

Jetzt war er bei ihr und nahm keinen Anstand, sie vor dem Altar in seine
Arme zu schließen. Na äouos, meine süße Braut, sagte er.

Da lächelte Gwennolci. So war es recht, nach diesen Worten, nach dieser
Stimme, nach diesen Augen, die voll heißer Liebe auf sie niedersahen, hatte sie
sich lange gesehnt. Sie ließ sich küssen und schmiegte sich fester noch in seine Arme.

Wirst du nie mehr auf See gehn, Gildas?

Nein, wie könnte ich — von dir fort?

Bin ich nun deine Frau?

Du — du Süße ... ,

In der hintersten Kirchenbank richtete sich eine Gestalt drohend auf — der
Priester wollte dem Frevel Einhalt gebieten — dies Küssen und verliebte Flüstern
am Altar —

Aber da waren die beiden schon niedergekniet vor dem Bilde der heiligen Anna,
sie hatten die Hunde ineinandergelegt und sprachen ein lautes Dankgebet.

Wir danken dir, gütige Mutter Anna, die du uns zusammengeführt hast! Um
deinen Segen bitten wir ...

Mitten zwischen demi Beten umschlangen sie sich wieder und küßten sich. Die
Heilige aber sah auf sie hernieder, ohne ihnen ein Zeichen ihres Zornes zu geben.

Die braune, verarbeitete Hand des Matrosen griff nach dem goldbestickten Kopf¬
putz des Mädchens. Deine Haare — laß mich deine Haare sehen.

Aber Gwennvla entzog sich ihm und deutete nach der Wand auf ein Bündel
goldschimmernden Flachses. Ich habe sie der Heiligen geschenkt!

Da schoß ihm das Blut ins Gesicht, der alte Jähzorn überfiel ihn. Das
durftest du nicht — die Haare waren mein —. Aber sogleich zügelte er sich und
sah verlegen wie ein schuldbewußter Knabe zu der steinernen Mutter auf, die ihm
sein Glück geschenkt hatte. Nein nein, sagte er reuig, du hast mir so viel geschenkt,
und ich sollte dir das Wenige mißgönnen? Die goldnen Haare sollen dein sein,
liebe Mutter!

Sie waren jetzt allein in der Kirche, der Priester war leise hinausgegangen.

Mutter Monik wartet zu Hause, mahnte Gwcnnola endlich.

In, mein lebendiges Mütterchen! Komm, wir wollen zu ihr gehn — von
einer Mutter zur andern — komm, meine schöne Prinzessin, wie schlank und fein
siehst du aus ...

Das macht das Kleid, Gildas, dein Kleid!

Hand in Hand schritten sie über die mondhelle Düne dem alten Hause zu.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspiegel

(Der Orient und Deutschland. Parlamentarische Schwierigkeiten. Das Ge¬
spenst der Kamarilla.)

Am 17. Dezember ist die neue konstitutionelle Türkei nun wirklich ins Leben
getreten. Der Sultan hat selbst das Parlament eröffnet und in der Thronrede
sehr bestimmt ausgesprochen, daß sein Entschluß, an der Verfassung festzuhalten,
unabänderlich sei. Einen neuen Eid auf die Verfassung hat er, gegen die Er-


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[0659] Der starke Mensch schwankte wie ein Betrunkner, mis er jetzt durch das Schiff der Kirche schritt, ihm war, mis woge der Boden unter ihm wie die Planken seines Schiffes. Sie kam ihm mit keinem Schritt entgegen. Hier solle sie stehn, hatte sein Brief befohlen. Jetzt war er bei ihr und nahm keinen Anstand, sie vor dem Altar in seine Arme zu schließen. Na äouos, meine süße Braut, sagte er. Da lächelte Gwennolci. So war es recht, nach diesen Worten, nach dieser Stimme, nach diesen Augen, die voll heißer Liebe auf sie niedersahen, hatte sie sich lange gesehnt. Sie ließ sich küssen und schmiegte sich fester noch in seine Arme. Wirst du nie mehr auf See gehn, Gildas? Nein, wie könnte ich — von dir fort? Bin ich nun deine Frau? Du — du Süße ... , In der hintersten Kirchenbank richtete sich eine Gestalt drohend auf — der Priester wollte dem Frevel Einhalt gebieten — dies Küssen und verliebte Flüstern am Altar — Aber da waren die beiden schon niedergekniet vor dem Bilde der heiligen Anna, sie hatten die Hunde ineinandergelegt und sprachen ein lautes Dankgebet. Wir danken dir, gütige Mutter Anna, die du uns zusammengeführt hast! Um deinen Segen bitten wir ... Mitten zwischen demi Beten umschlangen sie sich wieder und küßten sich. Die Heilige aber sah auf sie hernieder, ohne ihnen ein Zeichen ihres Zornes zu geben. Die braune, verarbeitete Hand des Matrosen griff nach dem goldbestickten Kopf¬ putz des Mädchens. Deine Haare — laß mich deine Haare sehen. Aber Gwennvla entzog sich ihm und deutete nach der Wand auf ein Bündel goldschimmernden Flachses. Ich habe sie der Heiligen geschenkt! Da schoß ihm das Blut ins Gesicht, der alte Jähzorn überfiel ihn. Das durftest du nicht — die Haare waren mein —. Aber sogleich zügelte er sich und sah verlegen wie ein schuldbewußter Knabe zu der steinernen Mutter auf, die ihm sein Glück geschenkt hatte. Nein nein, sagte er reuig, du hast mir so viel geschenkt, und ich sollte dir das Wenige mißgönnen? Die goldnen Haare sollen dein sein, liebe Mutter! Sie waren jetzt allein in der Kirche, der Priester war leise hinausgegangen. Mutter Monik wartet zu Hause, mahnte Gwcnnola endlich. In, mein lebendiges Mütterchen! Komm, wir wollen zu ihr gehn — von einer Mutter zur andern — komm, meine schöne Prinzessin, wie schlank und fein siehst du aus ... Das macht das Kleid, Gildas, dein Kleid! Hand in Hand schritten sie über die mondhelle Düne dem alten Hause zu. Maßgebliches und Unmaßgebliches Reichsspiegel (Der Orient und Deutschland. Parlamentarische Schwierigkeiten. Das Ge¬ spenst der Kamarilla.) Am 17. Dezember ist die neue konstitutionelle Türkei nun wirklich ins Leben getreten. Der Sultan hat selbst das Parlament eröffnet und in der Thronrede sehr bestimmt ausgesprochen, daß sein Entschluß, an der Verfassung festzuhalten, unabänderlich sei. Einen neuen Eid auf die Verfassung hat er, gegen die Er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/659>, abgerufen am 24.08.2024.