Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Johann Friedrich von Schule,:

freiwillige Armee die Verteidigung des Kirchenstaats übernehmen sollte. Die
Idee hatte der Auskultator August Krähe gefaßt, "der von glühender Begeisterung
für den Papst beseelt, der Festigung der weltlichen Macht des Papsttums sein
Leben zu widmen entschlossen war trotz dem Widerspruch seines Vaters". Er
ist später in Spanien gestorben, wohin er mit seiner Romantik am besten paßte;
zunächst fand er an dem bekannten Historiker Johannes Janssen und an Schulte
zwei Helfer, von denen Schulte der tätigste war. Er übernahm es, die deutschen
Bischöfe und Theologen (mehrere, darunter Döllinger, verhielten sich dem
Projekt gegenüber kühl und skeptisch) und die Kurie samt dem Papste für das
Unternehmen zu gewinnen. Das Reisegeld spendete Frau Sophie Schlosser, die
Witwe des mit ihr 1814 katholisch gewordnen Heinrich Schlosser, dessen Vater
Goethes Schwager gewesen war. (Nach Schulte; nach dem Konversationslexikon ist
Heinrich Schlosser Georgs Neffe, nicht Sohn gewesen.) In Rom hat sich
Schulte, gleich allen ehrlichen Katholiken, die hinkamen, über die elende Wirt¬
schaft geärgert, ist aber dadurch in seinem Glauben nicht irre gemacht worden.
Am besten haben ihm die Jesuiten gefallen, die, wie er erfuhr, Pius der
Nennte anfangs nicht hatte leiden können, auf die er sich aber sehr bald als
die einzigen brauchbaren Werkzeuge angewiesen sah. Schulte hat damals ge¬
urteilt: "Der Umgang mit den Jesuiten macht es begreiflich, daß ihre Schüler
und Bekannten von ihnen entzückt sind. Ihre Freundlichkeit, Zuvorkommenheit
und Bereitwilligkeit ssoll wohl heißen Gefälligkeit) trifft man sonst beinahe
nirgends. Sie übertreiben freilich, da sie einen ins Gesicht loben, aber sie bieten
auch Reelles. Als ich den ersten Besuch machte, wurde dem Pförtner gesagt,
ich sei stets in die Bibliothek einzulassen und dürfe diese auch ohne Aufsicht
benutzen. Sie machten unter allen Ordenslcnten den würdigsten Eindruck, hatten
unbedingt die tüchtigsten Männer, halten ihre Statuten am besten, verfolgen
mit vollster Selbstverleugnung, mit Herrschaft über persönliche Leidenschaft die
bestimmten Ziele: die Kirche und den Papst herrschen zu machen." Seit 1860,
entschiedner noch seit 1867, haben, wie er sagt, seine Anschauungen "die ent¬
gegengesetzte Wendung genommen". In dem Urteil über die Jesuiten beschränkt
sich jedoch die Umkehr auf den letzten Satz: er glaubt später erkannt zu haben,
daß es nicht die Herrschaft der Kirche sei, was die Jesuiten erstreben, sondern
ihre eigne Herrschaft in der Kirche und durch diese. Hohenlohe, den er damals
kennen lernte, schildert er als einen liebenswürdigen, bescheidnen, beinahe
schüchternen, aber in Ansehung des Geistes und Charakters nicht sehr be¬
deutenden Menschen. Er erwähnt bei dieser Gelegenheit den sonderbaren Einfall
Bismarcks, Hohenlohe als Botschafter beim päpstlichen Stuhle vorzuschlagen.
Es sei der Kurie nicht zu verargen gewesen, daß sie darauf nicht einging.
Denn erstens sei die Vertretung eines Staates bei der Kurie durch einen
Kardinal seit hundert Jahren nicht mehr, und die einer protestantischen Macht
überhaupt noch nicht vorgekommen, und dann habe der Papst bei der Weichheit
Hohenlohes fürchten müssen, daß er unfähig sein werde, Bismarck in irgend


Johann Friedrich von Schule,:

freiwillige Armee die Verteidigung des Kirchenstaats übernehmen sollte. Die
Idee hatte der Auskultator August Krähe gefaßt, „der von glühender Begeisterung
für den Papst beseelt, der Festigung der weltlichen Macht des Papsttums sein
Leben zu widmen entschlossen war trotz dem Widerspruch seines Vaters". Er
ist später in Spanien gestorben, wohin er mit seiner Romantik am besten paßte;
zunächst fand er an dem bekannten Historiker Johannes Janssen und an Schulte
zwei Helfer, von denen Schulte der tätigste war. Er übernahm es, die deutschen
Bischöfe und Theologen (mehrere, darunter Döllinger, verhielten sich dem
Projekt gegenüber kühl und skeptisch) und die Kurie samt dem Papste für das
Unternehmen zu gewinnen. Das Reisegeld spendete Frau Sophie Schlosser, die
Witwe des mit ihr 1814 katholisch gewordnen Heinrich Schlosser, dessen Vater
Goethes Schwager gewesen war. (Nach Schulte; nach dem Konversationslexikon ist
Heinrich Schlosser Georgs Neffe, nicht Sohn gewesen.) In Rom hat sich
Schulte, gleich allen ehrlichen Katholiken, die hinkamen, über die elende Wirt¬
schaft geärgert, ist aber dadurch in seinem Glauben nicht irre gemacht worden.
Am besten haben ihm die Jesuiten gefallen, die, wie er erfuhr, Pius der
Nennte anfangs nicht hatte leiden können, auf die er sich aber sehr bald als
die einzigen brauchbaren Werkzeuge angewiesen sah. Schulte hat damals ge¬
urteilt: „Der Umgang mit den Jesuiten macht es begreiflich, daß ihre Schüler
und Bekannten von ihnen entzückt sind. Ihre Freundlichkeit, Zuvorkommenheit
und Bereitwilligkeit ssoll wohl heißen Gefälligkeit) trifft man sonst beinahe
nirgends. Sie übertreiben freilich, da sie einen ins Gesicht loben, aber sie bieten
auch Reelles. Als ich den ersten Besuch machte, wurde dem Pförtner gesagt,
ich sei stets in die Bibliothek einzulassen und dürfe diese auch ohne Aufsicht
benutzen. Sie machten unter allen Ordenslcnten den würdigsten Eindruck, hatten
unbedingt die tüchtigsten Männer, halten ihre Statuten am besten, verfolgen
mit vollster Selbstverleugnung, mit Herrschaft über persönliche Leidenschaft die
bestimmten Ziele: die Kirche und den Papst herrschen zu machen." Seit 1860,
entschiedner noch seit 1867, haben, wie er sagt, seine Anschauungen „die ent¬
gegengesetzte Wendung genommen". In dem Urteil über die Jesuiten beschränkt
sich jedoch die Umkehr auf den letzten Satz: er glaubt später erkannt zu haben,
daß es nicht die Herrschaft der Kirche sei, was die Jesuiten erstreben, sondern
ihre eigne Herrschaft in der Kirche und durch diese. Hohenlohe, den er damals
kennen lernte, schildert er als einen liebenswürdigen, bescheidnen, beinahe
schüchternen, aber in Ansehung des Geistes und Charakters nicht sehr be¬
deutenden Menschen. Er erwähnt bei dieser Gelegenheit den sonderbaren Einfall
Bismarcks, Hohenlohe als Botschafter beim päpstlichen Stuhle vorzuschlagen.
Es sei der Kurie nicht zu verargen gewesen, daß sie darauf nicht einging.
Denn erstens sei die Vertretung eines Staates bei der Kurie durch einen
Kardinal seit hundert Jahren nicht mehr, und die einer protestantischen Macht
überhaupt noch nicht vorgekommen, und dann habe der Papst bei der Weichheit
Hohenlohes fürchten müssen, daß er unfähig sein werde, Bismarck in irgend


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0639" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/311050"/>
          <fw type="header" place="top"> Johann Friedrich von Schule,:</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_3301" prev="#ID_3300" next="#ID_3302"> freiwillige Armee die Verteidigung des Kirchenstaats übernehmen sollte. Die<lb/>
Idee hatte der Auskultator August Krähe gefaßt, &#x201E;der von glühender Begeisterung<lb/>
für den Papst beseelt, der Festigung der weltlichen Macht des Papsttums sein<lb/>
Leben zu widmen entschlossen war trotz dem Widerspruch seines Vaters". Er<lb/>
ist später in Spanien gestorben, wohin er mit seiner Romantik am besten paßte;<lb/>
zunächst fand er an dem bekannten Historiker Johannes Janssen und an Schulte<lb/>
zwei Helfer, von denen Schulte der tätigste war. Er übernahm es, die deutschen<lb/>
Bischöfe und Theologen (mehrere, darunter Döllinger, verhielten sich dem<lb/>
Projekt gegenüber kühl und skeptisch) und die Kurie samt dem Papste für das<lb/>
Unternehmen zu gewinnen. Das Reisegeld spendete Frau Sophie Schlosser, die<lb/>
Witwe des mit ihr 1814 katholisch gewordnen Heinrich Schlosser, dessen Vater<lb/>
Goethes Schwager gewesen war. (Nach Schulte; nach dem Konversationslexikon ist<lb/>
Heinrich Schlosser Georgs Neffe, nicht Sohn gewesen.) In Rom hat sich<lb/>
Schulte, gleich allen ehrlichen Katholiken, die hinkamen, über die elende Wirt¬<lb/>
schaft geärgert, ist aber dadurch in seinem Glauben nicht irre gemacht worden.<lb/>
Am besten haben ihm die Jesuiten gefallen, die, wie er erfuhr, Pius der<lb/>
Nennte anfangs nicht hatte leiden können, auf die er sich aber sehr bald als<lb/>
die einzigen brauchbaren Werkzeuge angewiesen sah. Schulte hat damals ge¬<lb/>
urteilt: &#x201E;Der Umgang mit den Jesuiten macht es begreiflich, daß ihre Schüler<lb/>
und Bekannten von ihnen entzückt sind. Ihre Freundlichkeit, Zuvorkommenheit<lb/>
und Bereitwilligkeit ssoll wohl heißen Gefälligkeit) trifft man sonst beinahe<lb/>
nirgends. Sie übertreiben freilich, da sie einen ins Gesicht loben, aber sie bieten<lb/>
auch Reelles. Als ich den ersten Besuch machte, wurde dem Pförtner gesagt,<lb/>
ich sei stets in die Bibliothek einzulassen und dürfe diese auch ohne Aufsicht<lb/>
benutzen. Sie machten unter allen Ordenslcnten den würdigsten Eindruck, hatten<lb/>
unbedingt die tüchtigsten Männer, halten ihre Statuten am besten, verfolgen<lb/>
mit vollster Selbstverleugnung, mit Herrschaft über persönliche Leidenschaft die<lb/>
bestimmten Ziele: die Kirche und den Papst herrschen zu machen." Seit 1860,<lb/>
entschiedner noch seit 1867, haben, wie er sagt, seine Anschauungen &#x201E;die ent¬<lb/>
gegengesetzte Wendung genommen". In dem Urteil über die Jesuiten beschränkt<lb/>
sich jedoch die Umkehr auf den letzten Satz: er glaubt später erkannt zu haben,<lb/>
daß es nicht die Herrschaft der Kirche sei, was die Jesuiten erstreben, sondern<lb/>
ihre eigne Herrschaft in der Kirche und durch diese. Hohenlohe, den er damals<lb/>
kennen lernte, schildert er als einen liebenswürdigen, bescheidnen, beinahe<lb/>
schüchternen, aber in Ansehung des Geistes und Charakters nicht sehr be¬<lb/>
deutenden Menschen. Er erwähnt bei dieser Gelegenheit den sonderbaren Einfall<lb/>
Bismarcks, Hohenlohe als Botschafter beim päpstlichen Stuhle vorzuschlagen.<lb/>
Es sei der Kurie nicht zu verargen gewesen, daß sie darauf nicht einging.<lb/>
Denn erstens sei die Vertretung eines Staates bei der Kurie durch einen<lb/>
Kardinal seit hundert Jahren nicht mehr, und die einer protestantischen Macht<lb/>
überhaupt noch nicht vorgekommen, und dann habe der Papst bei der Weichheit<lb/>
Hohenlohes fürchten müssen, daß er unfähig sein werde, Bismarck in irgend</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0639] Johann Friedrich von Schule,: freiwillige Armee die Verteidigung des Kirchenstaats übernehmen sollte. Die Idee hatte der Auskultator August Krähe gefaßt, „der von glühender Begeisterung für den Papst beseelt, der Festigung der weltlichen Macht des Papsttums sein Leben zu widmen entschlossen war trotz dem Widerspruch seines Vaters". Er ist später in Spanien gestorben, wohin er mit seiner Romantik am besten paßte; zunächst fand er an dem bekannten Historiker Johannes Janssen und an Schulte zwei Helfer, von denen Schulte der tätigste war. Er übernahm es, die deutschen Bischöfe und Theologen (mehrere, darunter Döllinger, verhielten sich dem Projekt gegenüber kühl und skeptisch) und die Kurie samt dem Papste für das Unternehmen zu gewinnen. Das Reisegeld spendete Frau Sophie Schlosser, die Witwe des mit ihr 1814 katholisch gewordnen Heinrich Schlosser, dessen Vater Goethes Schwager gewesen war. (Nach Schulte; nach dem Konversationslexikon ist Heinrich Schlosser Georgs Neffe, nicht Sohn gewesen.) In Rom hat sich Schulte, gleich allen ehrlichen Katholiken, die hinkamen, über die elende Wirt¬ schaft geärgert, ist aber dadurch in seinem Glauben nicht irre gemacht worden. Am besten haben ihm die Jesuiten gefallen, die, wie er erfuhr, Pius der Nennte anfangs nicht hatte leiden können, auf die er sich aber sehr bald als die einzigen brauchbaren Werkzeuge angewiesen sah. Schulte hat damals ge¬ urteilt: „Der Umgang mit den Jesuiten macht es begreiflich, daß ihre Schüler und Bekannten von ihnen entzückt sind. Ihre Freundlichkeit, Zuvorkommenheit und Bereitwilligkeit ssoll wohl heißen Gefälligkeit) trifft man sonst beinahe nirgends. Sie übertreiben freilich, da sie einen ins Gesicht loben, aber sie bieten auch Reelles. Als ich den ersten Besuch machte, wurde dem Pförtner gesagt, ich sei stets in die Bibliothek einzulassen und dürfe diese auch ohne Aufsicht benutzen. Sie machten unter allen Ordenslcnten den würdigsten Eindruck, hatten unbedingt die tüchtigsten Männer, halten ihre Statuten am besten, verfolgen mit vollster Selbstverleugnung, mit Herrschaft über persönliche Leidenschaft die bestimmten Ziele: die Kirche und den Papst herrschen zu machen." Seit 1860, entschiedner noch seit 1867, haben, wie er sagt, seine Anschauungen „die ent¬ gegengesetzte Wendung genommen". In dem Urteil über die Jesuiten beschränkt sich jedoch die Umkehr auf den letzten Satz: er glaubt später erkannt zu haben, daß es nicht die Herrschaft der Kirche sei, was die Jesuiten erstreben, sondern ihre eigne Herrschaft in der Kirche und durch diese. Hohenlohe, den er damals kennen lernte, schildert er als einen liebenswürdigen, bescheidnen, beinahe schüchternen, aber in Ansehung des Geistes und Charakters nicht sehr be¬ deutenden Menschen. Er erwähnt bei dieser Gelegenheit den sonderbaren Einfall Bismarcks, Hohenlohe als Botschafter beim päpstlichen Stuhle vorzuschlagen. Es sei der Kurie nicht zu verargen gewesen, daß sie darauf nicht einging. Denn erstens sei die Vertretung eines Staates bei der Kurie durch einen Kardinal seit hundert Jahren nicht mehr, und die einer protestantischen Macht überhaupt noch nicht vorgekommen, und dann habe der Papst bei der Weichheit Hohenlohes fürchten müssen, daß er unfähig sein werde, Bismarck in irgend

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/639
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/639>, abgerufen am 22.07.2024.