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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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hat. Wenn die Fraktion dabei in der Regel so operiert hat, das; sie ihre Mit'
Wirkung so lange wie möglich im Zweifel ließ und gern ihre parlamentarische
Machtstellung zum Altsdruck brachte, so hat sie doch bei den meisten Gesetz¬
vorlagen von nationaler Bedeutung im entscheidenden Augenblick eingelenkt und
selbst große Schwierigkeiten beseitigen helfen. Es ist leider richtig, daß das
Zentrum niemals einem größern Gesetzgebungswerk solche Hindernisse bereitet
hat, wie sie von feiten der Liberalen selbst dann die Regel waren, wenn Er¬
rungenschaften im Sinne ihrer eignen Parteigrundsütze geboten wurde". Noch
beim Vereinsgesetz ist diese alte Erfahrung zur Wahrheit geworden. In dem
klugen Sichbegniigen mit einem kleinen Vorteil, in der richtigen Einschätzung des
Wertes, den jede positive Mitarbeit für die Macht einer Partei und für das
Vertrauen zu einer Partei hat, sind die Liberalen den Erwartungen stets mehr
schuldig geblieben als die Zentrumsleute. Das sind alles Momente, die in der
praktischen Politik unter Umständen ins Gewicht fallen müssen, so unsympathisch
diese Erwägung dem nationalen Politiker auch sein mag.

Aber wird das Zentrum selbst die Rückkehr in eine regierungsfreundliche
Mehrheit wollen? Wenn man die Herzensergießungen einzelner Zentrums-
demagvgen in der Presse liest, sieht es ja wohl nicht danach ans. Indessen
man täusche sich nicht. In den maßgebenden Kreisen und bei den denkenden
Führern der Partei ist die Wut über die Ausschaltung verraucht. Man ist
klug genug, zu erkennen, daß die Hoffnung, das Blockexperiment werde sich als
ein völliger Fehlschlag erweisen, getäuscht hat. Zurückgeblieben ist die Reue,
das Machtbewußtsein der Partei vor zwei Jahren zu weit getrieben, den
demagogischen Elementen zu viel Spielraum gelassen zu haben, und stärker
geworden ist die Empfindung, daß die Ausschaltung des Zentrums eine
Anomalie bedeutet. Kein Zweifel! das Zentrum strebt zurück in eine wieder
einflußreiche, mindestens nicht einflußlose Stellung.

Es gibt Anzeichen genng dafür. Nicht zum wenigsten zeugt davon die
geschickte Haltung der Partei gegenüber der Krone. Man hat Erfahrung darin.
Schon unter Bismarck hat die Partei in dieser Beziehung gut laviert. Bei
der "Kaiserdebatte" im November hütete sich das Zentrum, etwa Leute wie
Sabatier oder gar Erzbcrger in die Redeschlacht zu schicken; der durch Staats¬
klugheit, Müßigung und vornehme Loyalität bekannte Freiherr von Hertling
war der Sprecher der Partei. Und als die Frage der "konstitutionellen
Garantien" zur Beratung stand, stellte das Zentrum keinen Antrag, sondern
beteiligte sich nur mit einer Resolution, in der die Initiative zu geeigneten
Vorschlägen den verbündeten Regierungen überlassen wurde.

Aber die Bedingungen? Würden sie nicht unerfüllbar sein? Auch das
ist nicht anzunehmen. Außer der Abkehr vou der Blockidee, die in der Wieder-
anknüpfllng mit dem Zentrum unter den angenommnen Voraussetzungen
eigentlich schon eingeschlossen ist, würde das Zentrum jetzt wohl nur auf der
Erfüllung eines Wunsches bestehn, der allerdings vielsagend genug ist, der
Besetzung des preußischen Kultusministeriums mit einen, Manne -- nicht gerade


hat. Wenn die Fraktion dabei in der Regel so operiert hat, das; sie ihre Mit'
Wirkung so lange wie möglich im Zweifel ließ und gern ihre parlamentarische
Machtstellung zum Altsdruck brachte, so hat sie doch bei den meisten Gesetz¬
vorlagen von nationaler Bedeutung im entscheidenden Augenblick eingelenkt und
selbst große Schwierigkeiten beseitigen helfen. Es ist leider richtig, daß das
Zentrum niemals einem größern Gesetzgebungswerk solche Hindernisse bereitet
hat, wie sie von feiten der Liberalen selbst dann die Regel waren, wenn Er¬
rungenschaften im Sinne ihrer eignen Parteigrundsütze geboten wurde«. Noch
beim Vereinsgesetz ist diese alte Erfahrung zur Wahrheit geworden. In dem
klugen Sichbegniigen mit einem kleinen Vorteil, in der richtigen Einschätzung des
Wertes, den jede positive Mitarbeit für die Macht einer Partei und für das
Vertrauen zu einer Partei hat, sind die Liberalen den Erwartungen stets mehr
schuldig geblieben als die Zentrumsleute. Das sind alles Momente, die in der
praktischen Politik unter Umständen ins Gewicht fallen müssen, so unsympathisch
diese Erwägung dem nationalen Politiker auch sein mag.

Aber wird das Zentrum selbst die Rückkehr in eine regierungsfreundliche
Mehrheit wollen? Wenn man die Herzensergießungen einzelner Zentrums-
demagvgen in der Presse liest, sieht es ja wohl nicht danach ans. Indessen
man täusche sich nicht. In den maßgebenden Kreisen und bei den denkenden
Führern der Partei ist die Wut über die Ausschaltung verraucht. Man ist
klug genug, zu erkennen, daß die Hoffnung, das Blockexperiment werde sich als
ein völliger Fehlschlag erweisen, getäuscht hat. Zurückgeblieben ist die Reue,
das Machtbewußtsein der Partei vor zwei Jahren zu weit getrieben, den
demagogischen Elementen zu viel Spielraum gelassen zu haben, und stärker
geworden ist die Empfindung, daß die Ausschaltung des Zentrums eine
Anomalie bedeutet. Kein Zweifel! das Zentrum strebt zurück in eine wieder
einflußreiche, mindestens nicht einflußlose Stellung.

Es gibt Anzeichen genng dafür. Nicht zum wenigsten zeugt davon die
geschickte Haltung der Partei gegenüber der Krone. Man hat Erfahrung darin.
Schon unter Bismarck hat die Partei in dieser Beziehung gut laviert. Bei
der „Kaiserdebatte" im November hütete sich das Zentrum, etwa Leute wie
Sabatier oder gar Erzbcrger in die Redeschlacht zu schicken; der durch Staats¬
klugheit, Müßigung und vornehme Loyalität bekannte Freiherr von Hertling
war der Sprecher der Partei. Und als die Frage der „konstitutionellen
Garantien" zur Beratung stand, stellte das Zentrum keinen Antrag, sondern
beteiligte sich nur mit einer Resolution, in der die Initiative zu geeigneten
Vorschlägen den verbündeten Regierungen überlassen wurde.

Aber die Bedingungen? Würden sie nicht unerfüllbar sein? Auch das
ist nicht anzunehmen. Außer der Abkehr vou der Blockidee, die in der Wieder-
anknüpfllng mit dem Zentrum unter den angenommnen Voraussetzungen
eigentlich schon eingeschlossen ist, würde das Zentrum jetzt wohl nur auf der
Erfüllung eines Wunsches bestehn, der allerdings vielsagend genug ist, der
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/624>, abgerufen am 22.07.2024.