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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Hauptmann Lindenbusch
Ernst Johann Groth Line Skizze von

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"-^^>^WS>^^-s war eine ergreifende Szene ans dem Garnisonfriedhof. Wir begruben
einen verheirateten Landwehrmann, der, zur Seeschießübung eingezogen,
von einer im Geschützrohr krepierenden Granate zerrissen worden war.

Ich kannte den Mann; er hieß Franz Krahl, war Kleinbauer und
wohnte in meinem Heimntbezirk in der Nähe meiner Vaterstadt. Sein
Häuschen lag am Nenendorfer Feldweg, und seine junge Frau, eine
hübsche, rotwangige Blondine, pflegte im Sommer jeden Mittwoch mit ihrer Karre
nach der Stadt zu kommen, um dort Gemüse und Obst zu verkaufen. Während sie
die Karre in flottem Marsche und mit kräftigen Armen vor sich hinschob, trabten
ihre beiden Kinder, ein hübsches blondes Mädchen und ein kleiner dicker Junge,
barfüßig ueben ihr und hielten sich an ihren fliegenden Röcken fest. Sie brauchte
nicht weit in die Stadt hineinzufahren, denn da ihre Waren, die sie offenbar mit
natürlichem Schönheitssinn wie Motive zu Stilleben auf ihrer Karre geordnet
hatte, sehr geschätzt wurden, so pflegte an der Roßkoppel, wo es in die Stadt
hineinging, schon eine große Zahl von Weibern auf sie zu warten.

Es entstand dann gewöhnlich, besonders um heißen Tagen, ein großes Drängen
und Schreien, Schwatzen und Lachen, und im Nu waren die saftigen Früchte und
sorgsam gezognen Gemüse verschwunden. Dann trocknete sich die junge Frau lachend
die heiße Stirn, schob ihr Weißes Kopftuch zurecht, setzte die Kinder auf die leere
Karre und fuhr, strahlend vor Gesundheit, Glück und Zufriedenheit, nach ihrem
Häuschen zurück.

Nun sah ich sie wieder auf dem Friedhof, mit deu beiden Kindern am Grabe
ihres Mannes -- ein Bild des Jammers! Als der Pfarrer den letzten Segen ge¬
sprochen, die Regiineutsmnsik einen Choral gespielt hatte, und die ersten Erdschollen
auf den Sarg geworfen wurden, gab sich die arme Frau ganz ihrem ungebändigten,
leidenschaftlichen Schmerze hin. Sie warf sich auf die Kniee, schluchzte und schrie,
sprang dann ans, versuchte, den Soldaten die Schaufeln aus der Hand zu reißen,
ergriff ihre laut schreienden Kinder und konnte nur mit Mühe davon zurückgehalten
werden, daß sie sich mit ihnen in das Grab stürzte. Man versuchte wiederholt,
sie von der Gruft zu entfernen, aber sie riß sich immer wieder los und eilte unter
Wehklagen zurück. Um den Jammer zu übertönen, mußte die Musik noch einen
Choral spielen.

Endlich schien sich die unglückliche Frau etwas gefaßt zu haben, und der
Feuerwerkshauptmann Lindenbusch trat auf sie zu, sprach einige tröstende Worte
und wollte ihr die Hand reichen.

Sie trocknete sich die Tränen, richtete sich auf und musterte ihn von oben bis
unten. Sie sind der Herr Hauptmann, rief sie mit bebender Stimme, der auf die
Kanonenkugeln aufpassen soll; die Leute haben mir davon erzählt. Warum haben
Sie nicht aufgepaßt? Nun liegt er da, mein guter Mann, stumm, tot, zerrissen.
Aufpassen sollen Sie auf Ihre Soldaten und die schrecklichen Kanonen! Nein,


Grenzboten IV 1908 80


Hauptmann Lindenbusch
Ernst Johann Groth Line Skizze von

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»-^^>^WS>^^-s war eine ergreifende Szene ans dem Garnisonfriedhof. Wir begruben
einen verheirateten Landwehrmann, der, zur Seeschießübung eingezogen,
von einer im Geschützrohr krepierenden Granate zerrissen worden war.

Ich kannte den Mann; er hieß Franz Krahl, war Kleinbauer und
wohnte in meinem Heimntbezirk in der Nähe meiner Vaterstadt. Sein
Häuschen lag am Nenendorfer Feldweg, und seine junge Frau, eine
hübsche, rotwangige Blondine, pflegte im Sommer jeden Mittwoch mit ihrer Karre
nach der Stadt zu kommen, um dort Gemüse und Obst zu verkaufen. Während sie
die Karre in flottem Marsche und mit kräftigen Armen vor sich hinschob, trabten
ihre beiden Kinder, ein hübsches blondes Mädchen und ein kleiner dicker Junge,
barfüßig ueben ihr und hielten sich an ihren fliegenden Röcken fest. Sie brauchte
nicht weit in die Stadt hineinzufahren, denn da ihre Waren, die sie offenbar mit
natürlichem Schönheitssinn wie Motive zu Stilleben auf ihrer Karre geordnet
hatte, sehr geschätzt wurden, so pflegte an der Roßkoppel, wo es in die Stadt
hineinging, schon eine große Zahl von Weibern auf sie zu warten.

Es entstand dann gewöhnlich, besonders um heißen Tagen, ein großes Drängen
und Schreien, Schwatzen und Lachen, und im Nu waren die saftigen Früchte und
sorgsam gezognen Gemüse verschwunden. Dann trocknete sich die junge Frau lachend
die heiße Stirn, schob ihr Weißes Kopftuch zurecht, setzte die Kinder auf die leere
Karre und fuhr, strahlend vor Gesundheit, Glück und Zufriedenheit, nach ihrem
Häuschen zurück.

Nun sah ich sie wieder auf dem Friedhof, mit deu beiden Kindern am Grabe
ihres Mannes — ein Bild des Jammers! Als der Pfarrer den letzten Segen ge¬
sprochen, die Regiineutsmnsik einen Choral gespielt hatte, und die ersten Erdschollen
auf den Sarg geworfen wurden, gab sich die arme Frau ganz ihrem ungebändigten,
leidenschaftlichen Schmerze hin. Sie warf sich auf die Kniee, schluchzte und schrie,
sprang dann ans, versuchte, den Soldaten die Schaufeln aus der Hand zu reißen,
ergriff ihre laut schreienden Kinder und konnte nur mit Mühe davon zurückgehalten
werden, daß sie sich mit ihnen in das Grab stürzte. Man versuchte wiederholt,
sie von der Gruft zu entfernen, aber sie riß sich immer wieder los und eilte unter
Wehklagen zurück. Um den Jammer zu übertönen, mußte die Musik noch einen
Choral spielen.

Endlich schien sich die unglückliche Frau etwas gefaßt zu haben, und der
Feuerwerkshauptmann Lindenbusch trat auf sie zu, sprach einige tröstende Worte
und wollte ihr die Hand reichen.

Sie trocknete sich die Tränen, richtete sich auf und musterte ihn von oben bis
unten. Sie sind der Herr Hauptmann, rief sie mit bebender Stimme, der auf die
Kanonenkugeln aufpassen soll; die Leute haben mir davon erzählt. Warum haben
Sie nicht aufgepaßt? Nun liegt er da, mein guter Mann, stumm, tot, zerrissen.
Aufpassen sollen Sie auf Ihre Soldaten und die schrecklichen Kanonen! Nein,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/601>, abgerufen am 22.07.2024.