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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Die deutsche Natur

Da ist jede einzelne Illustration ein kleines Kunstwerk, reproduziert mit einer
geradezu raffinierter Technik, die auch den feinsten Farbentönen gegenüber
nicht versagt. In der Tat: für den, der ein solches Buch zu benutzen versteht,
hören die Fische auf, stumm zu sein.

Überhaupt: die Natur um uns her ist kein Buch mit sieben Siegeln. Aber
es kommt darauf an, daß wir unsre Augen zu gebrauchen lernen, daß wir
selbst die Rätsel zu lösen versuchen, die allerorten unser harren. Überall sind
geheime Beziehungen; zwischen Tier- und Pflanzenwelt spannen sich unzählige
verbindende Fäden aus, die nur der Sehende erkennt. Jede liebevolle Beobachtung
einer einzelnen Erscheinung gibt zugleich Aufschluß über tausend andre. Und
darin liegt eben der Wert der Naturbetrachtung, daß sie den Menschen ein¬
sichtiger und darum glücklicher macht, daß sie ihn der Gottheit näher bringt
und zugleich in das dem Kulturleben aufgeopferte Paradies zurückversetzt. Wie
sagt gleich der Erzengel im Prolog zu Goethes Faust?


Die unbegreiflich hohen Werke
Sind herrlich wie am ersten Tag!

Man spricht und schreibt soviel über die Notwendigkeit, dem Volke und der
Jugend die Kunst zu erobern. Als ob das so leicht wäre! Als ob die Kunst,
diese feinste und letzte Blüte der Kultur, nicht zu ihrer vollen Würdigung die
höchste Reife, die tiefste und umfassendste Bildung des menschlichen Geistes
voraussetzte! Viel wichtiger scheint es uns, dem geistig armen erst die Natur
zurückzuerobern. Ohne Naturkenntnis kein Kunstverständnis. Erst wer eine
Ahnung von der Gesetzmäßigkeit und Harmonie der Schöpfung hat, sollte sich
an die Betrachtung der Gebilde wagen, die Hirn und Hand des Menschen, der
Natur nachempfindend, gestaltet haben. Darum wäre es zu wünschen, daß
Bücher wie die besprochnen Kalender -- es sind im besten Sinne "ewige
Kalender", da sie nicht an ein bestimmtes Jahr gebunden sind -- nicht nur
in die Hand der schon fortgeschrittnern Naturfreunde, sondern auch in die jedes
einfachen Mannes und jedes Kindes gelangten, was bei dem geringen Preise
von 2^/2 Mark ja nicht unmöglich ist. Vermögenden Volksfreunden ist hier eine
Gelegenheit geboten, durch Überweisung einer großem Anzahl solcher Kalender
--" an Bildungsvereine und Schulen den reichsten Segen zu stiften.




Die deutsche Natur

Da ist jede einzelne Illustration ein kleines Kunstwerk, reproduziert mit einer
geradezu raffinierter Technik, die auch den feinsten Farbentönen gegenüber
nicht versagt. In der Tat: für den, der ein solches Buch zu benutzen versteht,
hören die Fische auf, stumm zu sein.

Überhaupt: die Natur um uns her ist kein Buch mit sieben Siegeln. Aber
es kommt darauf an, daß wir unsre Augen zu gebrauchen lernen, daß wir
selbst die Rätsel zu lösen versuchen, die allerorten unser harren. Überall sind
geheime Beziehungen; zwischen Tier- und Pflanzenwelt spannen sich unzählige
verbindende Fäden aus, die nur der Sehende erkennt. Jede liebevolle Beobachtung
einer einzelnen Erscheinung gibt zugleich Aufschluß über tausend andre. Und
darin liegt eben der Wert der Naturbetrachtung, daß sie den Menschen ein¬
sichtiger und darum glücklicher macht, daß sie ihn der Gottheit näher bringt
und zugleich in das dem Kulturleben aufgeopferte Paradies zurückversetzt. Wie
sagt gleich der Erzengel im Prolog zu Goethes Faust?


Die unbegreiflich hohen Werke
Sind herrlich wie am ersten Tag!

Man spricht und schreibt soviel über die Notwendigkeit, dem Volke und der
Jugend die Kunst zu erobern. Als ob das so leicht wäre! Als ob die Kunst,
diese feinste und letzte Blüte der Kultur, nicht zu ihrer vollen Würdigung die
höchste Reife, die tiefste und umfassendste Bildung des menschlichen Geistes
voraussetzte! Viel wichtiger scheint es uns, dem geistig armen erst die Natur
zurückzuerobern. Ohne Naturkenntnis kein Kunstverständnis. Erst wer eine
Ahnung von der Gesetzmäßigkeit und Harmonie der Schöpfung hat, sollte sich
an die Betrachtung der Gebilde wagen, die Hirn und Hand des Menschen, der
Natur nachempfindend, gestaltet haben. Darum wäre es zu wünschen, daß
Bücher wie die besprochnen Kalender — es sind im besten Sinne „ewige
Kalender", da sie nicht an ein bestimmtes Jahr gebunden sind — nicht nur
in die Hand der schon fortgeschrittnern Naturfreunde, sondern auch in die jedes
einfachen Mannes und jedes Kindes gelangten, was bei dem geringen Preise
von 2^/2 Mark ja nicht unmöglich ist. Vermögenden Volksfreunden ist hier eine
Gelegenheit geboten, durch Überweisung einer großem Anzahl solcher Kalender
—« an Bildungsvereine und Schulen den reichsten Segen zu stiften.




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[0600] Die deutsche Natur Da ist jede einzelne Illustration ein kleines Kunstwerk, reproduziert mit einer geradezu raffinierter Technik, die auch den feinsten Farbentönen gegenüber nicht versagt. In der Tat: für den, der ein solches Buch zu benutzen versteht, hören die Fische auf, stumm zu sein. Überhaupt: die Natur um uns her ist kein Buch mit sieben Siegeln. Aber es kommt darauf an, daß wir unsre Augen zu gebrauchen lernen, daß wir selbst die Rätsel zu lösen versuchen, die allerorten unser harren. Überall sind geheime Beziehungen; zwischen Tier- und Pflanzenwelt spannen sich unzählige verbindende Fäden aus, die nur der Sehende erkennt. Jede liebevolle Beobachtung einer einzelnen Erscheinung gibt zugleich Aufschluß über tausend andre. Und darin liegt eben der Wert der Naturbetrachtung, daß sie den Menschen ein¬ sichtiger und darum glücklicher macht, daß sie ihn der Gottheit näher bringt und zugleich in das dem Kulturleben aufgeopferte Paradies zurückversetzt. Wie sagt gleich der Erzengel im Prolog zu Goethes Faust? Die unbegreiflich hohen Werke Sind herrlich wie am ersten Tag! Man spricht und schreibt soviel über die Notwendigkeit, dem Volke und der Jugend die Kunst zu erobern. Als ob das so leicht wäre! Als ob die Kunst, diese feinste und letzte Blüte der Kultur, nicht zu ihrer vollen Würdigung die höchste Reife, die tiefste und umfassendste Bildung des menschlichen Geistes voraussetzte! Viel wichtiger scheint es uns, dem geistig armen erst die Natur zurückzuerobern. Ohne Naturkenntnis kein Kunstverständnis. Erst wer eine Ahnung von der Gesetzmäßigkeit und Harmonie der Schöpfung hat, sollte sich an die Betrachtung der Gebilde wagen, die Hirn und Hand des Menschen, der Natur nachempfindend, gestaltet haben. Darum wäre es zu wünschen, daß Bücher wie die besprochnen Kalender — es sind im besten Sinne „ewige Kalender", da sie nicht an ein bestimmtes Jahr gebunden sind — nicht nur in die Hand der schon fortgeschrittnern Naturfreunde, sondern auch in die jedes einfachen Mannes und jedes Kindes gelangten, was bei dem geringen Preise von 2^/2 Mark ja nicht unmöglich ist. Vermögenden Volksfreunden ist hier eine Gelegenheit geboten, durch Überweisung einer großem Anzahl solcher Kalender —« an Bildungsvereine und Schulen den reichsten Segen zu stiften.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/600>, abgerufen am 22.07.2024.