Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.Germanische Kunst für unser Volk in Waffen An der Wand über dem Tisch, auf dem sich so frisches, junges Leben regte, Man sollte meinen, daß die enge Vertrautheit mit dem Heere, die die Vor einigen Jahren sah ich in München in kleinen Kunst- und Papier¬ Germanische Kunst für unser Volk in Waffen An der Wand über dem Tisch, auf dem sich so frisches, junges Leben regte, Man sollte meinen, daß die enge Vertrautheit mit dem Heere, die die Vor einigen Jahren sah ich in München in kleinen Kunst- und Papier¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0591" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/311002"/> <fw type="header" place="top"> Germanische Kunst für unser Volk in Waffen</fw><lb/> <p xml:id="ID_3069" prev="#ID_3068"> An der Wand über dem Tisch, auf dem sich so frisches, junges Leben regte,<lb/> hing eine „Erinnerung an die Dienstzeit". Da sprengte auf einem Schimmel<lb/> der Vater des jungen Siegfried als Unteroffizier des ersten bayrischen<lb/> schweren Reiterregiments durch den engen Raum der Bildfläche. Der Vater! ^<lb/> eigentlich war es nur ein Universalrumpf, der durch einen zwischen Helm und<lb/> Kragen geklebten Ausschnitt aus dem Gesicht einer Photographie zu dem<lb/> Kriegsmann ergänzt war, dessen Name darunterstand. Auf das Gesicht kam<lb/> es auch nicht an, der hellblaue Rock, die roten Abzeichen, die silbernen<lb/> Tressen, der weiße Helmbusch waren die Hauptsache, die leuchteten ins Zimmer.<lb/> Mir tat das warme Leben in dem Leichenwärterhause damals weh und wohl<lb/> wie Sonnenstrahlen einer Schattenpflanze. Der Eindruck blieb in mir haften,<lb/> und grell leuchtete in dem Erinnerungsbilde über den blonden Locken des<lb/> Kindes der blaue Klecks der Erinnerung an die Dienstzeit. Als ich später,<lb/> von meinem Leid genesen, darüber nachdachte, warum mich das harmlose<lb/> Bild so unangenehm berührte, wurde mir klar, daß ich es als Grimasse<lb/> gegenüber dem Leben in der armen Stube empfand und ihm seine Armselig¬<lb/> keit und Unwahrheit übelnahm. So armselig war bisher der letzte Schein,<lb/> der aus der märzrauhen, aber sonnigen Dienstzeit in das Leben des gedienten<lb/> Mannes fiel.,</p><lb/> <p xml:id="ID_3070"> Man sollte meinen, daß die enge Vertrautheit mit dem Heere, die die<lb/> Künstler während ihrer aktiven Dienstzeit gewinnen, schon längst reiche<lb/> künstlerische Früchte getragen habe. Das erste Dankeszeichen, das ein Künstler<lb/> dem Truppenteil, in dem er gedient hatte, gab, ist ein Schießdiplom, das Otto<lb/> Greiner für das erste bayrische Infanterieregiment zeichnete. Ich glaube nach<lb/> dem Erinuerungsbilde annehmen zu dürfen, daß das Diplom eine Radierung<lb/> ist. Sicher weiß ich, nach dem Eindruck, den das Kunstwerk auf mich machte,<lb/> daß das Blatt meisterhaft gezeichnet ist, realistisch in der Wiedergabe der derben<lb/> Soldatengestalten und ihrer schlecht sitzenden Uniformen, die von den Kommi߬<lb/> stiefeln bis zu den aus Raupenhelmen umgeschaffnen Pickelhauben von Spar¬<lb/> samkeit zeugen. Aber ich glaube nicht, daß das Diplom durch seinen Bilderschmuck<lb/> zu den Herzen der Mannschaften spricht. Es geht mit ihnen wie ein farbloser<lb/> Schatten aus einer farbigen Welt in die Hänser der Heimat und sieht sicher<lb/> fremd und unverstanden in die noch immer farbige oder nach Farbe begehrende<lb/> Umgebung der Bauern und Bürger.</p><lb/> <p xml:id="ID_3071" next="#ID_3072"> Vor einigen Jahren sah ich in München in kleinen Kunst- und Papier¬<lb/> handlungen ein Erinnerungsbild von Joseph Seiler für Artilleristen: Ein<lb/> Feldgeschütz mit starkblauen Rädern und dunkelm Rohr im Schnee, die Be¬<lb/> dienungsmannschaft in ihren dunkeln Mänteln mit dem Richten beschäftigt, im<lb/> Hintergrund die Protze mit der Bespannung, rechts seitwärts zu Pferde der<lb/> Batteriechef. Darunter stand: Erinnerung an meine Dienstzeit im Königlich<lb/> Bayrischen Feldartillerie-Regiment ^- für die Regimcntsnummer und den Re¬<lb/> gimentsnamen war Platz gelassen. Auch dieses Erinnerungsbild ist ein bedeutender</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0591]
Germanische Kunst für unser Volk in Waffen
An der Wand über dem Tisch, auf dem sich so frisches, junges Leben regte,
hing eine „Erinnerung an die Dienstzeit". Da sprengte auf einem Schimmel
der Vater des jungen Siegfried als Unteroffizier des ersten bayrischen
schweren Reiterregiments durch den engen Raum der Bildfläche. Der Vater! ^
eigentlich war es nur ein Universalrumpf, der durch einen zwischen Helm und
Kragen geklebten Ausschnitt aus dem Gesicht einer Photographie zu dem
Kriegsmann ergänzt war, dessen Name darunterstand. Auf das Gesicht kam
es auch nicht an, der hellblaue Rock, die roten Abzeichen, die silbernen
Tressen, der weiße Helmbusch waren die Hauptsache, die leuchteten ins Zimmer.
Mir tat das warme Leben in dem Leichenwärterhause damals weh und wohl
wie Sonnenstrahlen einer Schattenpflanze. Der Eindruck blieb in mir haften,
und grell leuchtete in dem Erinnerungsbilde über den blonden Locken des
Kindes der blaue Klecks der Erinnerung an die Dienstzeit. Als ich später,
von meinem Leid genesen, darüber nachdachte, warum mich das harmlose
Bild so unangenehm berührte, wurde mir klar, daß ich es als Grimasse
gegenüber dem Leben in der armen Stube empfand und ihm seine Armselig¬
keit und Unwahrheit übelnahm. So armselig war bisher der letzte Schein,
der aus der märzrauhen, aber sonnigen Dienstzeit in das Leben des gedienten
Mannes fiel.,
Man sollte meinen, daß die enge Vertrautheit mit dem Heere, die die
Künstler während ihrer aktiven Dienstzeit gewinnen, schon längst reiche
künstlerische Früchte getragen habe. Das erste Dankeszeichen, das ein Künstler
dem Truppenteil, in dem er gedient hatte, gab, ist ein Schießdiplom, das Otto
Greiner für das erste bayrische Infanterieregiment zeichnete. Ich glaube nach
dem Erinuerungsbilde annehmen zu dürfen, daß das Diplom eine Radierung
ist. Sicher weiß ich, nach dem Eindruck, den das Kunstwerk auf mich machte,
daß das Blatt meisterhaft gezeichnet ist, realistisch in der Wiedergabe der derben
Soldatengestalten und ihrer schlecht sitzenden Uniformen, die von den Kommi߬
stiefeln bis zu den aus Raupenhelmen umgeschaffnen Pickelhauben von Spar¬
samkeit zeugen. Aber ich glaube nicht, daß das Diplom durch seinen Bilderschmuck
zu den Herzen der Mannschaften spricht. Es geht mit ihnen wie ein farbloser
Schatten aus einer farbigen Welt in die Hänser der Heimat und sieht sicher
fremd und unverstanden in die noch immer farbige oder nach Farbe begehrende
Umgebung der Bauern und Bürger.
Vor einigen Jahren sah ich in München in kleinen Kunst- und Papier¬
handlungen ein Erinnerungsbild von Joseph Seiler für Artilleristen: Ein
Feldgeschütz mit starkblauen Rädern und dunkelm Rohr im Schnee, die Be¬
dienungsmannschaft in ihren dunkeln Mänteln mit dem Richten beschäftigt, im
Hintergrund die Protze mit der Bespannung, rechts seitwärts zu Pferde der
Batteriechef. Darunter stand: Erinnerung an meine Dienstzeit im Königlich
Bayrischen Feldartillerie-Regiment ^- für die Regimcntsnummer und den Re¬
gimentsnamen war Platz gelassen. Auch dieses Erinnerungsbild ist ein bedeutender
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