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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Weimar in den Tagen des Lrfurter Fürstenkongresses ^303

und die zweiundzwanzigjührige Prinzeß Karoline, die Tochter des herzoglichen
Paares.

Die Leitung der ministeriellen Geschäfte lag, seit Goethe mehr zurück¬
getreten war, in den Händen des Wirklichen Geheimen Rats von Voigt; Ge¬
heimrat von Wolzogen vertrat das Departement des Äußern, die Verhand¬
lungen mit Frankreich besorgte, seit 1806 darin bewandert und bewährt, der
Geheime Regierungsrat, spätere Kanzler von Müller, dessen "Erinnerungen
aus den Kriegszeiten 1306 bis 1813" ein sehr wertvoller und interessanter
Beitrag zur Geschichte jener Zeit sind. Eine Anzahl Schriftstücke aus seinem
Nachlaß, der sich im Goethearchiv befindet, konnte zu dieser Darstellung be¬
nutzt werden.

Nach Weimar war die Kunde von der Reise Napoleons zuerst mit dem
Zusatz gekommen, daß die Kaiserin Josephine ihn begleiten werde. Das würde
für die Herzogin Luise die Peinlichkeit der Lage noch besonders erhöht haben.
"Es würde alles übersteigen, schreibt sie. Aber ich glaube nicht daran. Ich
werde, wenn ich irgend kann, mich von Erfurt fernhalten." Und sie beklagt
sich darüber, daß man in dem weimarischen Geleitshaus zu Erfurt, wo der
Herzog seine Wohnung habe, mehrere Fenster habe zumauern lassen, damit
man nicht nach dem gegenüberliegenden Regierungsgebäude sehen könne, wo
Napoleon ungestörte Zusammenkünfte mit Kaiser Alexander haben wolle. Das
Konferenzzimmer wurde aber dann nach einer andern Seite verlegt, die Ver-
mauerung bis auf ein Fenster wieder entfernt und dafür dem Augustinerkloster
angetan. Von einem andern Standpunkt aus schrieb das in Weimar er¬
scheinende Journal des Luxus und der Moden von Bertuch: "Der wichtige
Zeitpunkt, daß die zwei mächtigsten Kaiser der Erde Alexander und Napoleon
sich von neuem als freundliche Gestirne begegnen und Beschlüsse über das
fernere Schicksal Europas fassen werden, ist jetzt gekommen; die Wahl fiel
sehr passend auf Erfurt, welche Stadt wegen der Nähe des befreundeten Hofes
von Weimar sowie durch die Größe und Menge ansehnlicher Gebäude im
Mittelpunkt von Teutschland allen besuchenden Monarchen und Fürsten am
bequemsten lag." Das Weimarische Wochenblatt, das auf zwei Quartblätter
gedruckt Mittwochs und Sonnabends erschien, berichtet am 28. September
unmittelbar nach einer ausführlichen Besprechung eines neuen sogenannten
Schmergel- oder Rostpapiers ganz kurz über den bevorstehenden Monarchen¬
kongreß. In Weimar hatte man es zunächst mit dem Empfang des Kaisers
Alexander zu tun. Am 24. September kam zuerst Großfürst Konstantin an,
am Tage darauf der Kaiser, feierlich eingeholt, von der Landesgrenze an
durch des Herzogs Jägerei (an 70 Mann stark) und Husarenkorps geleitet.
Am Webicht, einem Gehölz vor der Stadt, harrten die Bewohner Weimars
und sahen den Zug unter Anführung französischer Dragoner bei Fackelschein,
unter Glockengeläute über die Schloßbrücke ziehen. Im Schloß empfingen die
Herrschaften den hohen Gast, der Erbprinz "präsentierte die holde kleine
Prinzeß Marie ihrem kaiserlichen Onkel". Eine Tafel zu dreißig Gedecken


Weimar in den Tagen des Lrfurter Fürstenkongresses ^303

und die zweiundzwanzigjührige Prinzeß Karoline, die Tochter des herzoglichen
Paares.

Die Leitung der ministeriellen Geschäfte lag, seit Goethe mehr zurück¬
getreten war, in den Händen des Wirklichen Geheimen Rats von Voigt; Ge¬
heimrat von Wolzogen vertrat das Departement des Äußern, die Verhand¬
lungen mit Frankreich besorgte, seit 1806 darin bewandert und bewährt, der
Geheime Regierungsrat, spätere Kanzler von Müller, dessen „Erinnerungen
aus den Kriegszeiten 1306 bis 1813" ein sehr wertvoller und interessanter
Beitrag zur Geschichte jener Zeit sind. Eine Anzahl Schriftstücke aus seinem
Nachlaß, der sich im Goethearchiv befindet, konnte zu dieser Darstellung be¬
nutzt werden.

Nach Weimar war die Kunde von der Reise Napoleons zuerst mit dem
Zusatz gekommen, daß die Kaiserin Josephine ihn begleiten werde. Das würde
für die Herzogin Luise die Peinlichkeit der Lage noch besonders erhöht haben.
„Es würde alles übersteigen, schreibt sie. Aber ich glaube nicht daran. Ich
werde, wenn ich irgend kann, mich von Erfurt fernhalten." Und sie beklagt
sich darüber, daß man in dem weimarischen Geleitshaus zu Erfurt, wo der
Herzog seine Wohnung habe, mehrere Fenster habe zumauern lassen, damit
man nicht nach dem gegenüberliegenden Regierungsgebäude sehen könne, wo
Napoleon ungestörte Zusammenkünfte mit Kaiser Alexander haben wolle. Das
Konferenzzimmer wurde aber dann nach einer andern Seite verlegt, die Ver-
mauerung bis auf ein Fenster wieder entfernt und dafür dem Augustinerkloster
angetan. Von einem andern Standpunkt aus schrieb das in Weimar er¬
scheinende Journal des Luxus und der Moden von Bertuch: „Der wichtige
Zeitpunkt, daß die zwei mächtigsten Kaiser der Erde Alexander und Napoleon
sich von neuem als freundliche Gestirne begegnen und Beschlüsse über das
fernere Schicksal Europas fassen werden, ist jetzt gekommen; die Wahl fiel
sehr passend auf Erfurt, welche Stadt wegen der Nähe des befreundeten Hofes
von Weimar sowie durch die Größe und Menge ansehnlicher Gebäude im
Mittelpunkt von Teutschland allen besuchenden Monarchen und Fürsten am
bequemsten lag." Das Weimarische Wochenblatt, das auf zwei Quartblätter
gedruckt Mittwochs und Sonnabends erschien, berichtet am 28. September
unmittelbar nach einer ausführlichen Besprechung eines neuen sogenannten
Schmergel- oder Rostpapiers ganz kurz über den bevorstehenden Monarchen¬
kongreß. In Weimar hatte man es zunächst mit dem Empfang des Kaisers
Alexander zu tun. Am 24. September kam zuerst Großfürst Konstantin an,
am Tage darauf der Kaiser, feierlich eingeholt, von der Landesgrenze an
durch des Herzogs Jägerei (an 70 Mann stark) und Husarenkorps geleitet.
Am Webicht, einem Gehölz vor der Stadt, harrten die Bewohner Weimars
und sahen den Zug unter Anführung französischer Dragoner bei Fackelschein,
unter Glockengeläute über die Schloßbrücke ziehen. Im Schloß empfingen die
Herrschaften den hohen Gast, der Erbprinz „präsentierte die holde kleine
Prinzeß Marie ihrem kaiserlichen Onkel". Eine Tafel zu dreißig Gedecken


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[0574] Weimar in den Tagen des Lrfurter Fürstenkongresses ^303 und die zweiundzwanzigjührige Prinzeß Karoline, die Tochter des herzoglichen Paares. Die Leitung der ministeriellen Geschäfte lag, seit Goethe mehr zurück¬ getreten war, in den Händen des Wirklichen Geheimen Rats von Voigt; Ge¬ heimrat von Wolzogen vertrat das Departement des Äußern, die Verhand¬ lungen mit Frankreich besorgte, seit 1806 darin bewandert und bewährt, der Geheime Regierungsrat, spätere Kanzler von Müller, dessen „Erinnerungen aus den Kriegszeiten 1306 bis 1813" ein sehr wertvoller und interessanter Beitrag zur Geschichte jener Zeit sind. Eine Anzahl Schriftstücke aus seinem Nachlaß, der sich im Goethearchiv befindet, konnte zu dieser Darstellung be¬ nutzt werden. Nach Weimar war die Kunde von der Reise Napoleons zuerst mit dem Zusatz gekommen, daß die Kaiserin Josephine ihn begleiten werde. Das würde für die Herzogin Luise die Peinlichkeit der Lage noch besonders erhöht haben. „Es würde alles übersteigen, schreibt sie. Aber ich glaube nicht daran. Ich werde, wenn ich irgend kann, mich von Erfurt fernhalten." Und sie beklagt sich darüber, daß man in dem weimarischen Geleitshaus zu Erfurt, wo der Herzog seine Wohnung habe, mehrere Fenster habe zumauern lassen, damit man nicht nach dem gegenüberliegenden Regierungsgebäude sehen könne, wo Napoleon ungestörte Zusammenkünfte mit Kaiser Alexander haben wolle. Das Konferenzzimmer wurde aber dann nach einer andern Seite verlegt, die Ver- mauerung bis auf ein Fenster wieder entfernt und dafür dem Augustinerkloster angetan. Von einem andern Standpunkt aus schrieb das in Weimar er¬ scheinende Journal des Luxus und der Moden von Bertuch: „Der wichtige Zeitpunkt, daß die zwei mächtigsten Kaiser der Erde Alexander und Napoleon sich von neuem als freundliche Gestirne begegnen und Beschlüsse über das fernere Schicksal Europas fassen werden, ist jetzt gekommen; die Wahl fiel sehr passend auf Erfurt, welche Stadt wegen der Nähe des befreundeten Hofes von Weimar sowie durch die Größe und Menge ansehnlicher Gebäude im Mittelpunkt von Teutschland allen besuchenden Monarchen und Fürsten am bequemsten lag." Das Weimarische Wochenblatt, das auf zwei Quartblätter gedruckt Mittwochs und Sonnabends erschien, berichtet am 28. September unmittelbar nach einer ausführlichen Besprechung eines neuen sogenannten Schmergel- oder Rostpapiers ganz kurz über den bevorstehenden Monarchen¬ kongreß. In Weimar hatte man es zunächst mit dem Empfang des Kaisers Alexander zu tun. Am 24. September kam zuerst Großfürst Konstantin an, am Tage darauf der Kaiser, feierlich eingeholt, von der Landesgrenze an durch des Herzogs Jägerei (an 70 Mann stark) und Husarenkorps geleitet. Am Webicht, einem Gehölz vor der Stadt, harrten die Bewohner Weimars und sahen den Zug unter Anführung französischer Dragoner bei Fackelschein, unter Glockengeläute über die Schloßbrücke ziehen. Im Schloß empfingen die Herrschaften den hohen Gast, der Erbprinz „präsentierte die holde kleine Prinzeß Marie ihrem kaiserlichen Onkel". Eine Tafel zu dreißig Gedecken

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/574>, abgerufen am 22.07.2024.