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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Über militärische Ehrengerichte

Die Offiziere verkehren gesellschaftlich und freundschaftlich in weiten Kreisen
der Bürgerschaft; sie beanspruchen nicht mehr Achtung und Rücksicht, als jeder
wohlerzogne Mensch einem andern selbstverständlich erweist. Es ist unrecht,
heutzutage von einer Exklusivität des Offizierkorps zu reden. Wo eine solche
besteht, geht sie von Mitgliedern vornehmer oder sich für besonders vornehm
haltender Adelsfamilien aus, deren Angehörige im bürgerlichen Kleide ebenso
zurückhaltend und wählerisch in ihrem Verkehr sind wie die eine Uniform
tragenden. Die Mehrzahl der Offiziere ergänzt sich aus bürgerlichen Familien
und denkt nicht an Exklusivität, allerdings sucht der Offizier mir da seinen
Verkehr, wo die Umgangsformen und selbstverständlich auch die politische Ge¬
sinnung der dem Offizier anerzognen strengen Auffassung entspricht.

Es soll gar nicht bestritten werden, daß hier und da Konflikte vorkommen,
an denen die beteiligten Offiziere die Schuld tragen. Für solche Vorkommnisse
kann man aber nicht die Standesauffassung der Offiziere verantwortlich
machen. Sie sind auch .innerhalb des Offizierkorps nie anders aufgefaßt
worden denn als Strafens- oder tadelnswerte Übergriffe. Sie sind auch so
selten, daß ein hohes Maß von Übelwollen dazu gehört, sie zu verallgemeinern
und gegen den angeblich unter den Offizieren herrschenden Geist ins Feld
zu führen.

Der besondre Zorn verschiedner Publizisten richtet sich nun gegen die
Ehrengerichte, in denen dieser rückständige Kastengeist seine besondre Stütze
fände, insbesondre deshalb, weil der Angeklagte keinerlei Rechtsgarantien habe
und wehrlos sei gegen eine Auffassung seiner Standespflichten, die weder er
selbst noch seine Kameraden teilten, sondern die dem Offizierkorps nur auf¬
gezwungen sei, und zu der sich jeder bei der Abstimmung bekenmn müsse, nur
um nicht selbst in den Verdacht zu geraten, daß er es in Ehrenangelegenheiten
nicht so genau nehme.

Hiergegen ist nun zunächst zu sagen, daß ein Stand, der durch die Uni¬
form und die Rolle, die er in unserm öffentlichen und gesellschaftlichen Leben
nun einmal spielt, im höchsten Maße der öffentlichen Kritik ausgesetzt ist, ein
Mittel haben muß, solche Mitglieder aus seiner Mitte zu entfernen oder zu
warnen, die Anstoß erregt haben, und deren Verhalten auf die Gesamtheit ein
schlechtes Licht werfen würde, wenn sie es duldete. Schließlich muß es auch
für den einzelnen, wenn er glaubt, daß er zu Unrecht einer unangemessenen
Handlungsweise beschuldigt sei, ein Mittel geben, sich vor einem berufnen Kreise
rechtfertigen zu können. Andre Berufsklassen haben ebenfalls Ehrengerichte,
Berufs Kassen, die ihren Angehörigen viel mehr persönliche Bewegungsfreiheit
gestatten, als dem Offizier gelassen ist, die deshalb in ihrer Gesamtheit für das
Leben des einzelnen Standesgenossen nicht entfernt so verantwortlich gemacht
werden wie das Offizierkorps nicht nur von seinen Vorgesetzten, sondern auch
von der öffentlichen Meinung. Die Ehrengerichte bieten einen Weg, um die
gegenseitige Überwachung, die menschlicher Schwäche gegenüber nun einmal
nötig ist, in sittlicher, ernster Weise und dabei doch mit Wohlwollen aufzu-


Über militärische Ehrengerichte

Die Offiziere verkehren gesellschaftlich und freundschaftlich in weiten Kreisen
der Bürgerschaft; sie beanspruchen nicht mehr Achtung und Rücksicht, als jeder
wohlerzogne Mensch einem andern selbstverständlich erweist. Es ist unrecht,
heutzutage von einer Exklusivität des Offizierkorps zu reden. Wo eine solche
besteht, geht sie von Mitgliedern vornehmer oder sich für besonders vornehm
haltender Adelsfamilien aus, deren Angehörige im bürgerlichen Kleide ebenso
zurückhaltend und wählerisch in ihrem Verkehr sind wie die eine Uniform
tragenden. Die Mehrzahl der Offiziere ergänzt sich aus bürgerlichen Familien
und denkt nicht an Exklusivität, allerdings sucht der Offizier mir da seinen
Verkehr, wo die Umgangsformen und selbstverständlich auch die politische Ge¬
sinnung der dem Offizier anerzognen strengen Auffassung entspricht.

Es soll gar nicht bestritten werden, daß hier und da Konflikte vorkommen,
an denen die beteiligten Offiziere die Schuld tragen. Für solche Vorkommnisse
kann man aber nicht die Standesauffassung der Offiziere verantwortlich
machen. Sie sind auch .innerhalb des Offizierkorps nie anders aufgefaßt
worden denn als Strafens- oder tadelnswerte Übergriffe. Sie sind auch so
selten, daß ein hohes Maß von Übelwollen dazu gehört, sie zu verallgemeinern
und gegen den angeblich unter den Offizieren herrschenden Geist ins Feld
zu führen.

Der besondre Zorn verschiedner Publizisten richtet sich nun gegen die
Ehrengerichte, in denen dieser rückständige Kastengeist seine besondre Stütze
fände, insbesondre deshalb, weil der Angeklagte keinerlei Rechtsgarantien habe
und wehrlos sei gegen eine Auffassung seiner Standespflichten, die weder er
selbst noch seine Kameraden teilten, sondern die dem Offizierkorps nur auf¬
gezwungen sei, und zu der sich jeder bei der Abstimmung bekenmn müsse, nur
um nicht selbst in den Verdacht zu geraten, daß er es in Ehrenangelegenheiten
nicht so genau nehme.

Hiergegen ist nun zunächst zu sagen, daß ein Stand, der durch die Uni¬
form und die Rolle, die er in unserm öffentlichen und gesellschaftlichen Leben
nun einmal spielt, im höchsten Maße der öffentlichen Kritik ausgesetzt ist, ein
Mittel haben muß, solche Mitglieder aus seiner Mitte zu entfernen oder zu
warnen, die Anstoß erregt haben, und deren Verhalten auf die Gesamtheit ein
schlechtes Licht werfen würde, wenn sie es duldete. Schließlich muß es auch
für den einzelnen, wenn er glaubt, daß er zu Unrecht einer unangemessenen
Handlungsweise beschuldigt sei, ein Mittel geben, sich vor einem berufnen Kreise
rechtfertigen zu können. Andre Berufsklassen haben ebenfalls Ehrengerichte,
Berufs Kassen, die ihren Angehörigen viel mehr persönliche Bewegungsfreiheit
gestatten, als dem Offizier gelassen ist, die deshalb in ihrer Gesamtheit für das
Leben des einzelnen Standesgenossen nicht entfernt so verantwortlich gemacht
werden wie das Offizierkorps nicht nur von seinen Vorgesetzten, sondern auch
von der öffentlichen Meinung. Die Ehrengerichte bieten einen Weg, um die
gegenseitige Überwachung, die menschlicher Schwäche gegenüber nun einmal
nötig ist, in sittlicher, ernster Weise und dabei doch mit Wohlwollen aufzu-


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[0570] Über militärische Ehrengerichte Die Offiziere verkehren gesellschaftlich und freundschaftlich in weiten Kreisen der Bürgerschaft; sie beanspruchen nicht mehr Achtung und Rücksicht, als jeder wohlerzogne Mensch einem andern selbstverständlich erweist. Es ist unrecht, heutzutage von einer Exklusivität des Offizierkorps zu reden. Wo eine solche besteht, geht sie von Mitgliedern vornehmer oder sich für besonders vornehm haltender Adelsfamilien aus, deren Angehörige im bürgerlichen Kleide ebenso zurückhaltend und wählerisch in ihrem Verkehr sind wie die eine Uniform tragenden. Die Mehrzahl der Offiziere ergänzt sich aus bürgerlichen Familien und denkt nicht an Exklusivität, allerdings sucht der Offizier mir da seinen Verkehr, wo die Umgangsformen und selbstverständlich auch die politische Ge¬ sinnung der dem Offizier anerzognen strengen Auffassung entspricht. Es soll gar nicht bestritten werden, daß hier und da Konflikte vorkommen, an denen die beteiligten Offiziere die Schuld tragen. Für solche Vorkommnisse kann man aber nicht die Standesauffassung der Offiziere verantwortlich machen. Sie sind auch .innerhalb des Offizierkorps nie anders aufgefaßt worden denn als Strafens- oder tadelnswerte Übergriffe. Sie sind auch so selten, daß ein hohes Maß von Übelwollen dazu gehört, sie zu verallgemeinern und gegen den angeblich unter den Offizieren herrschenden Geist ins Feld zu führen. Der besondre Zorn verschiedner Publizisten richtet sich nun gegen die Ehrengerichte, in denen dieser rückständige Kastengeist seine besondre Stütze fände, insbesondre deshalb, weil der Angeklagte keinerlei Rechtsgarantien habe und wehrlos sei gegen eine Auffassung seiner Standespflichten, die weder er selbst noch seine Kameraden teilten, sondern die dem Offizierkorps nur auf¬ gezwungen sei, und zu der sich jeder bei der Abstimmung bekenmn müsse, nur um nicht selbst in den Verdacht zu geraten, daß er es in Ehrenangelegenheiten nicht so genau nehme. Hiergegen ist nun zunächst zu sagen, daß ein Stand, der durch die Uni¬ form und die Rolle, die er in unserm öffentlichen und gesellschaftlichen Leben nun einmal spielt, im höchsten Maße der öffentlichen Kritik ausgesetzt ist, ein Mittel haben muß, solche Mitglieder aus seiner Mitte zu entfernen oder zu warnen, die Anstoß erregt haben, und deren Verhalten auf die Gesamtheit ein schlechtes Licht werfen würde, wenn sie es duldete. Schließlich muß es auch für den einzelnen, wenn er glaubt, daß er zu Unrecht einer unangemessenen Handlungsweise beschuldigt sei, ein Mittel geben, sich vor einem berufnen Kreise rechtfertigen zu können. Andre Berufsklassen haben ebenfalls Ehrengerichte, Berufs Kassen, die ihren Angehörigen viel mehr persönliche Bewegungsfreiheit gestatten, als dem Offizier gelassen ist, die deshalb in ihrer Gesamtheit für das Leben des einzelnen Standesgenossen nicht entfernt so verantwortlich gemacht werden wie das Offizierkorps nicht nur von seinen Vorgesetzten, sondern auch von der öffentlichen Meinung. Die Ehrengerichte bieten einen Weg, um die gegenseitige Überwachung, die menschlicher Schwäche gegenüber nun einmal nötig ist, in sittlicher, ernster Weise und dabei doch mit Wohlwollen aufzu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/570>, abgerufen am 22.07.2024.