Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches immer mehr ,u einem Einheitsstaat entwickeln wird, sondern daß Bismarck die Nachdem sich die voraussichtliche Entwicklung des Reichs in der Weise geklärt Außerdeu Freisinnigen und Sozialdemokraten, die überdies noch eine Ab¬ Im Hintergründe stand nämlich immer noch die Hoffnung, die Erörterung Maßgebliches und Unmaßgebliches immer mehr ,u einem Einheitsstaat entwickeln wird, sondern daß Bismarck die Nachdem sich die voraussichtliche Entwicklung des Reichs in der Weise geklärt Außerdeu Freisinnigen und Sozialdemokraten, die überdies noch eine Ab¬ Im Hintergründe stand nämlich immer noch die Hoffnung, die Erörterung <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0561" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/310972"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_2975" prev="#ID_2974"> immer mehr ,u einem Einheitsstaat entwickeln wird, sondern daß Bismarck die<lb/> deutsche Volksseele richtig verstanden hat, als er neben den notwendigsten Garantien<lb/> für die einheitliche politische Vertretung des Reichs die bundesstaatliche Grundlage<lb/> fest und unantastbar bestehen ließ.</p><lb/> <p xml:id="ID_2976"> Nachdem sich die voraussichtliche Entwicklung des Reichs in der Weise geklärt<lb/> hat, daß mit dem zunehmenden Hineinwachsen des deutschen Volks in die Kaiseridee<lb/> und die Reichsinstitutionen ein ungeschwächter Drang zur Festhaltung der Stammcs-<lb/> eigenart. zur Betonung der einzelstaatlichen Rechte und zur Betätigung der dynastischen<lb/> Anhänglichkeit parallel geht, wird man bei der Formulierung einzelner Rechte der<lb/> Gewalten im Reich innerhalb gewisser Grenzen nicht mehr allzuängstlich zu sein<lb/> brauchen. Wenn also das Bedürfnis besteht, die Verantwortlichkeit des Reichs¬<lb/> kanzlers näher zu definieren, so fallen vielleicht verschiedne Bedenken weg, die man<lb/> früher dagegen hegen konnte. Aber wir betonten soeben, das könne nur innerhalb<lb/> gewisser Grenzen geschehen. Und diese Grenzen hat der Antrag der Freisinnigen<lb/> zur gesetzlichen Festlegung der Verantwortlichkeit des Reichskanzlers schlecht gewahrt.<lb/> Nach den sehr schlecht formulierten, umfangreichen Vorschlägen soll zur Entscheidung<lb/> der Fälle, in denen man den Reichskanzler zur Verantwortung ziehn will, ein<lb/> Staatsgerichtshof eingesetzt werden, dessen Beisitzer aus Wahlen von Bundesrat<lb/> «ud Reichstag hervorgehn. Auf den ersten Blick wird man sehen, daß schon in<lb/> der Zusammensetzung dieses Gerichtshofs ein fundamentaler Fehler gemacht worden<lb/> ist. Der erste Grundsatz für die Entscheidung von Rechtsfragen ist die Fürsorge,<lb/> daß die entscheidende Instanz unabhängig von den Parteien ist. Hier aber wird<lb/> unter dem Schein der Einsetzung eines unabhängigen Gerichtshofs eine Mitwirkung<lb/> des Reichtags angestrebt, die in Wirklichkeit gefährlicher sein würde als eine offne<lb/> Parlamentsherrschaft, weil sie den Sachverhalt verschleiert und das Moment der<lb/> Verantwortlichkeit der Parlamentarier gegenüber den Wählern ausschaltet. Aber<lb/> gerade auf diese Verantwortlichkeit wird man bei Erweiterung der Rechte des<lb/> Parlaments mehr denn je Wert legen müssen. Verfehlt war es auch, daß der<lb/> freisinnige Antrag nicht den Erlaß eines besondern Gesetzes in Aussicht nahm,<lb/> sondern alle diese Bestimmungen in die Reichsverfassung hineinflicken wollte. Ver¬<lb/> fassungsänderungen, auch wenn sie nur formeller Natur sind, können im Bundesrat<lb/> schon durch eine Minderheit von vierzehn Stimmen zu Fall gebracht werden. Das<lb/> bedeutet, daß die Gegnerschaft Preußens genügt, um die Erfüllung der freisinnigen<lb/> Wünsche zu verhindern. Die Freisinnigen haben sich also schon durch die Forni<lb/> ihres Antrags eine Schwierigkeit geschaffen, die gar nicht notwendig war.<lb/> '</p><lb/> <p xml:id="ID_2977"> Außerdeu Freisinnigen und Sozialdemokraten, die überdies noch eine Ab¬<lb/> änderung der Geschäftsordnung gemeinsam beantragt hatten, wonach es künftig er¬<lb/> laubt sein sollte, auch mit Interpellationen Anträge zu verbinden, hatten noch me<lb/> Polen und das Zentrum ihre Wünsche zu dem Thema: „Konstitutionelle Garantien"<lb/> formuliert. Der Antrag der Polen wollte dem Reichstage das Recht beilegen, daß<lb/> er auf Wunsch von mindestens einem Drittel der Abgeordneten seine Einberufung<lb/> fordern dürfe. Das Zentrum war am vorsichtigsten gewesen; es hatte beantragt,<lb/> die verbündeten Regierungen sollten ein Gesetz über die Verantwortlichkeit des<lb/> Reichskanzlers vorlegen. Das Zentrum entzog sich also den durch die Stimmung<lb/> der letzten Wochen hervorgernfnen Wünschen nicht, aber es hütete sich wohl, mit<lb/> eignen Vorschlägen hervorzutreten, ehe es wußte, wie der Hase laufen würde.</p><lb/> <p xml:id="ID_2978" next="#ID_2979"> Im Hintergründe stand nämlich immer noch die Hoffnung, die Erörterung<lb/> einer Verfassungsfrage, die von Konservativen und Liberalen unmöglich unter<lb/> gleichen Gesichtspunkten angesehn werden konnte, möchte vielleicht doch eine kleine<lb/> parlamentarische Explosion anrichten, wobei das langersehnte Ereignis, die Sprengung<lb/> des Blocks, endlich zur Wirklichkeit werden könnte. Diese Hoffnung wurde nun</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0561]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
immer mehr ,u einem Einheitsstaat entwickeln wird, sondern daß Bismarck die
deutsche Volksseele richtig verstanden hat, als er neben den notwendigsten Garantien
für die einheitliche politische Vertretung des Reichs die bundesstaatliche Grundlage
fest und unantastbar bestehen ließ.
Nachdem sich die voraussichtliche Entwicklung des Reichs in der Weise geklärt
hat, daß mit dem zunehmenden Hineinwachsen des deutschen Volks in die Kaiseridee
und die Reichsinstitutionen ein ungeschwächter Drang zur Festhaltung der Stammcs-
eigenart. zur Betonung der einzelstaatlichen Rechte und zur Betätigung der dynastischen
Anhänglichkeit parallel geht, wird man bei der Formulierung einzelner Rechte der
Gewalten im Reich innerhalb gewisser Grenzen nicht mehr allzuängstlich zu sein
brauchen. Wenn also das Bedürfnis besteht, die Verantwortlichkeit des Reichs¬
kanzlers näher zu definieren, so fallen vielleicht verschiedne Bedenken weg, die man
früher dagegen hegen konnte. Aber wir betonten soeben, das könne nur innerhalb
gewisser Grenzen geschehen. Und diese Grenzen hat der Antrag der Freisinnigen
zur gesetzlichen Festlegung der Verantwortlichkeit des Reichskanzlers schlecht gewahrt.
Nach den sehr schlecht formulierten, umfangreichen Vorschlägen soll zur Entscheidung
der Fälle, in denen man den Reichskanzler zur Verantwortung ziehn will, ein
Staatsgerichtshof eingesetzt werden, dessen Beisitzer aus Wahlen von Bundesrat
«ud Reichstag hervorgehn. Auf den ersten Blick wird man sehen, daß schon in
der Zusammensetzung dieses Gerichtshofs ein fundamentaler Fehler gemacht worden
ist. Der erste Grundsatz für die Entscheidung von Rechtsfragen ist die Fürsorge,
daß die entscheidende Instanz unabhängig von den Parteien ist. Hier aber wird
unter dem Schein der Einsetzung eines unabhängigen Gerichtshofs eine Mitwirkung
des Reichtags angestrebt, die in Wirklichkeit gefährlicher sein würde als eine offne
Parlamentsherrschaft, weil sie den Sachverhalt verschleiert und das Moment der
Verantwortlichkeit der Parlamentarier gegenüber den Wählern ausschaltet. Aber
gerade auf diese Verantwortlichkeit wird man bei Erweiterung der Rechte des
Parlaments mehr denn je Wert legen müssen. Verfehlt war es auch, daß der
freisinnige Antrag nicht den Erlaß eines besondern Gesetzes in Aussicht nahm,
sondern alle diese Bestimmungen in die Reichsverfassung hineinflicken wollte. Ver¬
fassungsänderungen, auch wenn sie nur formeller Natur sind, können im Bundesrat
schon durch eine Minderheit von vierzehn Stimmen zu Fall gebracht werden. Das
bedeutet, daß die Gegnerschaft Preußens genügt, um die Erfüllung der freisinnigen
Wünsche zu verhindern. Die Freisinnigen haben sich also schon durch die Forni
ihres Antrags eine Schwierigkeit geschaffen, die gar nicht notwendig war.
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Außerdeu Freisinnigen und Sozialdemokraten, die überdies noch eine Ab¬
änderung der Geschäftsordnung gemeinsam beantragt hatten, wonach es künftig er¬
laubt sein sollte, auch mit Interpellationen Anträge zu verbinden, hatten noch me
Polen und das Zentrum ihre Wünsche zu dem Thema: „Konstitutionelle Garantien"
formuliert. Der Antrag der Polen wollte dem Reichstage das Recht beilegen, daß
er auf Wunsch von mindestens einem Drittel der Abgeordneten seine Einberufung
fordern dürfe. Das Zentrum war am vorsichtigsten gewesen; es hatte beantragt,
die verbündeten Regierungen sollten ein Gesetz über die Verantwortlichkeit des
Reichskanzlers vorlegen. Das Zentrum entzog sich also den durch die Stimmung
der letzten Wochen hervorgernfnen Wünschen nicht, aber es hütete sich wohl, mit
eignen Vorschlägen hervorzutreten, ehe es wußte, wie der Hase laufen würde.
Im Hintergründe stand nämlich immer noch die Hoffnung, die Erörterung
einer Verfassungsfrage, die von Konservativen und Liberalen unmöglich unter
gleichen Gesichtspunkten angesehn werden konnte, möchte vielleicht doch eine kleine
parlamentarische Explosion anrichten, wobei das langersehnte Ereignis, die Sprengung
des Blocks, endlich zur Wirklichkeit werden könnte. Diese Hoffnung wurde nun
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