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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Haben Sie es denn nicht an Ihre Mutter selbst erzählt?

Ich habe es ihr gleich geschrieben, aber sie hat nie ein Wort davon in ihren
Briefen erwähnt. Und später säbelnd gleichsam nicht den Mut gehabt, darüber zu
sprechen. Es war so sonderbar, daß die Tanten mir nicht mehr davon erzählen
wollten --

Und Ihr Vater?

Ach nein, es ist, als wenn mich etwas davon abhielte, es Vater gegenüber
zu erwähnen.

Svend Bugge nickte verständnisvoll. Berry stand auf und ging langsam hinab.
Als sie ganz in der Nähe des Hauses angelangt waren, blieb sie abermals stehn:
Großvater Hage war so unendlich gut, wissen Sie, gegen alle Menschen, und Tante
Karo und Tante Madel erzählten unablässig davon. Aber wissen Sie, sie sagten,
gegen Mutter wäre Großvater zu streng gewesen. Ganz anders wie gegen alle
andern. Ich glaube, Mutter hat es nicht sehr gut gehabt.

Nach einer Weile sagte sie Gute Nacht. Svend Bugge ergriff ihre Hand.

Vielen Dank, Fräulein Berry! Gute Nacht, und -- und grüßen Sie Ihre
Mutter von mir!

Damit ging er denselben Weg zurück, den Oberweg hinan, obwohl es ein
Umweg war.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspiegel

(Zur deutschen Marokkopolitik. Internationale Kongresse.)

Die deutsche Antwort auf die französisch-spanische Note zur marokkanischen
Thronfrage ist am 22. dieses Monats dem französischen Botschafter in Berlin und
ebenso dem spanischen Geschäftsträger übergeben worden. Die Wirkung ist nicht,
wie hier und da politische Propheten vorausgesagt haben, eine Verschärfung der
Gegensätze, sondern ein Wachsen der Aussichten auf Verständigung. Es stellt sich
heraus, daß Deutschland zwar nicht auf die genaue Prüfung der französisch¬
spanischen Vorschläge verzichtet und infolgedessen einzelne Vorbehalte machen muß,
daß es aber innerhalb der einmal festgestellten Rechtsgrundlage seiner Politik den
besondern Wünschen Frankreichs und Spaniens soweit als möglich entgegenkommen
will. Man hat dies in Frankreich und England einsehen und anerkennen müssen.
Und so ist augenblicklich einmal wieder alles auf Verständigung gestimmt.

Wir meinen, das hätten die Leute zu beiden Seiten des Ärmelkanals früher
haben können. Sie hätten nur zu erkennen brauchen, daß die deutsche Politik nie
etwas andres gewollt hat. Die französisch-spanische Note, vor allem aber ihre
Begründung in der offiziösen Presse Frankreichs, hob mit nicht geringem Selbst¬
bewußtsein hervor, daß "Frankreich hätte versucht sein können, die augenblicklichen
Umstände zu benutzen, um die Anerkennung Mulei Hafids von der vorherigen Er¬
ledigung der Angelegenheiten, die für Frankreich besondres Interesse haben, ab¬
hängig zu machen". Man habe sich aber entschlossen, dieser Versuchung zu
widerstehn, und wolle vor der Anerkennung Mulei Hafids nur solche Garantien
fordern, die für alle ausländischen Interessen gemeinsam in Betracht kämen. Wir


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Haben Sie es denn nicht an Ihre Mutter selbst erzählt?

Ich habe es ihr gleich geschrieben, aber sie hat nie ein Wort davon in ihren
Briefen erwähnt. Und später säbelnd gleichsam nicht den Mut gehabt, darüber zu
sprechen. Es war so sonderbar, daß die Tanten mir nicht mehr davon erzählen
wollten —

Und Ihr Vater?

Ach nein, es ist, als wenn mich etwas davon abhielte, es Vater gegenüber
zu erwähnen.

Svend Bugge nickte verständnisvoll. Berry stand auf und ging langsam hinab.
Als sie ganz in der Nähe des Hauses angelangt waren, blieb sie abermals stehn:
Großvater Hage war so unendlich gut, wissen Sie, gegen alle Menschen, und Tante
Karo und Tante Madel erzählten unablässig davon. Aber wissen Sie, sie sagten,
gegen Mutter wäre Großvater zu streng gewesen. Ganz anders wie gegen alle
andern. Ich glaube, Mutter hat es nicht sehr gut gehabt.

Nach einer Weile sagte sie Gute Nacht. Svend Bugge ergriff ihre Hand.

Vielen Dank, Fräulein Berry! Gute Nacht, und — und grüßen Sie Ihre
Mutter von mir!

Damit ging er denselben Weg zurück, den Oberweg hinan, obwohl es ein
Umweg war.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspiegel

(Zur deutschen Marokkopolitik. Internationale Kongresse.)

Die deutsche Antwort auf die französisch-spanische Note zur marokkanischen
Thronfrage ist am 22. dieses Monats dem französischen Botschafter in Berlin und
ebenso dem spanischen Geschäftsträger übergeben worden. Die Wirkung ist nicht,
wie hier und da politische Propheten vorausgesagt haben, eine Verschärfung der
Gegensätze, sondern ein Wachsen der Aussichten auf Verständigung. Es stellt sich
heraus, daß Deutschland zwar nicht auf die genaue Prüfung der französisch¬
spanischen Vorschläge verzichtet und infolgedessen einzelne Vorbehalte machen muß,
daß es aber innerhalb der einmal festgestellten Rechtsgrundlage seiner Politik den
besondern Wünschen Frankreichs und Spaniens soweit als möglich entgegenkommen
will. Man hat dies in Frankreich und England einsehen und anerkennen müssen.
Und so ist augenblicklich einmal wieder alles auf Verständigung gestimmt.

Wir meinen, das hätten die Leute zu beiden Seiten des Ärmelkanals früher
haben können. Sie hätten nur zu erkennen brauchen, daß die deutsche Politik nie
etwas andres gewollt hat. Die französisch-spanische Note, vor allem aber ihre
Begründung in der offiziösen Presse Frankreichs, hob mit nicht geringem Selbst¬
bewußtsein hervor, daß „Frankreich hätte versucht sein können, die augenblicklichen
Umstände zu benutzen, um die Anerkennung Mulei Hafids von der vorherigen Er¬
ledigung der Angelegenheiten, die für Frankreich besondres Interesse haben, ab¬
hängig zu machen". Man habe sich aber entschlossen, dieser Versuchung zu
widerstehn, und wolle vor der Anerkennung Mulei Hafids nur solche Garantien
fordern, die für alle ausländischen Interessen gemeinsam in Betracht kämen. Wir


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/55>, abgerufen am 24.08.2024.