Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Miltonfeier

und Tod, und alledem gegenüber der bezaubernde Reichtum des Paradieses¬
lebens, Glück und Liebe des ersten Menschenpaares und dann im spätern Teil
die Zerrüttung dieses Glückes, entzweiendes Sichverklagen und linde Versöhnung,
mit dem Ausblick auf echtes und rechtes Erdenleben voll Leid, Wehmut und
doch auch Treue: das alles ist hundertmal von Kennern gerühmt und tausendfach
von stillen Lesern gewürdigt worden. Und immer wieder siegt doch der
Eindruck dieses genial Gelungnen über das Fragwürdige oder Minderwertige,
das dazwischenliegt.

Freilich: auch Hasser und Verächter sind dem Dichter aus seinem Werk
entstanden. Aus seinem Werk und seinem Leben. An dem herben "Puritaner"
(oder vielmehr dein unabhängig trotzigen Kritiker des stagnierenden Kirchentums)
haben sich natürlich manche geärgert; seine Dichtung wurde herabgesetzt, weil
sie auf den mannigfachsten Entlehnungen beruhen sollte, während man, wie
bei so vielen andern großen Dichtern, getrost allerlei Reminiszenzen zugeben
kann, ohne daß dadurch die eigentliche Originalität des Verfassers in ernstliche
Frage gestellt würde. Viel Einzelmaterial darf entliehen sein, wenn man ein
wahrhaft neues Ganzes zu formen vermag. Mehr Abneigung mußte dem
Dichter sein politisches Leben zuziehen, seine Gemeinschaft mit den "Königs¬
mördern" und seine kühne Verteidigung dieser vor dem Forum der europäischen
Meinung, auch seine Streitschriften voll scharfen Spottes und leidenschaftlicher
Rücksichtslosigkeit. Aber das alles war ja nur eine Phase seines Lebens, und
nachdem er der ihn erfüllenden patriotischen Aufgabe mit Bewußtsein das Licht
seiner Augen geopfert hatte, sodaß er schon vor der Mitte der vierziger Jahre
völlig erblindet war, nachdem er den Rückgang, den endgiltigen Fehlschlag der
großen Revolution hatte empfinden müssen, zog er sich aus ehrenvollen Amt
und bedeutungsvoller Tätigkeit in sich selbst zurück, wurde wieder Dichter, nun
erst recht Dichter, hatte er doch sein Herz mit mächtig beschwingenden wie düster
vertiefenden Lebenseindrücken erfüllt.

Das Thema vom Verlornen Paradies war eins der zahlreichen gewesen,
die er in Jugendjahren, zur Zeit der sich in ihm drängenden dichterischen Pläne,
erwogen hatte; die noch jetzt zu Cambridge aufbewahrten Skizzen von seiner
Hand zeigen es. Nun war er, der durch herrliche Anlage des Leibes und der
Seele, durch eingebornen innern Adel und durch die Gunst der äußern Lebenslage
einem Dasein in schönem Licht und innerer Harmonie entgegenzugehn schien,
durch so viel Kampf und Dunkel, so viel Wirrnis im häuslichen und Ent¬
täuschung im öffentlichen Leben hindurchgeschritten, hatte so schweren Verzicht
und wehmütiges Entsagen kennen gelernt! Er war nun erst zum Sänger des
Verlornen Paradieses gereift. Und das eine große Unglück seines Lebens, die
Blindheit, hatte die Wunderwirkung gehabt, ihm für diese seine Dichtung be¬
sondre Kräfte zu verleihen. Denn um so leichter wurde es für ihn, das un¬
bestimmt Ungeheure zu schildern, die Reiche ewigen Düsters; es lösten sich ihm
gewissermaßen alle festen Linien und Schranken des Raumes; und andrerseits


Miltonfeier

und Tod, und alledem gegenüber der bezaubernde Reichtum des Paradieses¬
lebens, Glück und Liebe des ersten Menschenpaares und dann im spätern Teil
die Zerrüttung dieses Glückes, entzweiendes Sichverklagen und linde Versöhnung,
mit dem Ausblick auf echtes und rechtes Erdenleben voll Leid, Wehmut und
doch auch Treue: das alles ist hundertmal von Kennern gerühmt und tausendfach
von stillen Lesern gewürdigt worden. Und immer wieder siegt doch der
Eindruck dieses genial Gelungnen über das Fragwürdige oder Minderwertige,
das dazwischenliegt.

Freilich: auch Hasser und Verächter sind dem Dichter aus seinem Werk
entstanden. Aus seinem Werk und seinem Leben. An dem herben „Puritaner"
(oder vielmehr dein unabhängig trotzigen Kritiker des stagnierenden Kirchentums)
haben sich natürlich manche geärgert; seine Dichtung wurde herabgesetzt, weil
sie auf den mannigfachsten Entlehnungen beruhen sollte, während man, wie
bei so vielen andern großen Dichtern, getrost allerlei Reminiszenzen zugeben
kann, ohne daß dadurch die eigentliche Originalität des Verfassers in ernstliche
Frage gestellt würde. Viel Einzelmaterial darf entliehen sein, wenn man ein
wahrhaft neues Ganzes zu formen vermag. Mehr Abneigung mußte dem
Dichter sein politisches Leben zuziehen, seine Gemeinschaft mit den „Königs¬
mördern" und seine kühne Verteidigung dieser vor dem Forum der europäischen
Meinung, auch seine Streitschriften voll scharfen Spottes und leidenschaftlicher
Rücksichtslosigkeit. Aber das alles war ja nur eine Phase seines Lebens, und
nachdem er der ihn erfüllenden patriotischen Aufgabe mit Bewußtsein das Licht
seiner Augen geopfert hatte, sodaß er schon vor der Mitte der vierziger Jahre
völlig erblindet war, nachdem er den Rückgang, den endgiltigen Fehlschlag der
großen Revolution hatte empfinden müssen, zog er sich aus ehrenvollen Amt
und bedeutungsvoller Tätigkeit in sich selbst zurück, wurde wieder Dichter, nun
erst recht Dichter, hatte er doch sein Herz mit mächtig beschwingenden wie düster
vertiefenden Lebenseindrücken erfüllt.

Das Thema vom Verlornen Paradies war eins der zahlreichen gewesen,
die er in Jugendjahren, zur Zeit der sich in ihm drängenden dichterischen Pläne,
erwogen hatte; die noch jetzt zu Cambridge aufbewahrten Skizzen von seiner
Hand zeigen es. Nun war er, der durch herrliche Anlage des Leibes und der
Seele, durch eingebornen innern Adel und durch die Gunst der äußern Lebenslage
einem Dasein in schönem Licht und innerer Harmonie entgegenzugehn schien,
durch so viel Kampf und Dunkel, so viel Wirrnis im häuslichen und Ent¬
täuschung im öffentlichen Leben hindurchgeschritten, hatte so schweren Verzicht
und wehmütiges Entsagen kennen gelernt! Er war nun erst zum Sänger des
Verlornen Paradieses gereift. Und das eine große Unglück seines Lebens, die
Blindheit, hatte die Wunderwirkung gehabt, ihm für diese seine Dichtung be¬
sondre Kräfte zu verleihen. Denn um so leichter wurde es für ihn, das un¬
bestimmt Ungeheure zu schildern, die Reiche ewigen Düsters; es lösten sich ihm
gewissermaßen alle festen Linien und Schranken des Raumes; und andrerseits


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0545" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/310956"/>
          <fw type="header" place="top"> Miltonfeier</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2867" prev="#ID_2866"> und Tod, und alledem gegenüber der bezaubernde Reichtum des Paradieses¬<lb/>
lebens, Glück und Liebe des ersten Menschenpaares und dann im spätern Teil<lb/>
die Zerrüttung dieses Glückes, entzweiendes Sichverklagen und linde Versöhnung,<lb/>
mit dem Ausblick auf echtes und rechtes Erdenleben voll Leid, Wehmut und<lb/>
doch auch Treue: das alles ist hundertmal von Kennern gerühmt und tausendfach<lb/>
von stillen Lesern gewürdigt worden. Und immer wieder siegt doch der<lb/>
Eindruck dieses genial Gelungnen über das Fragwürdige oder Minderwertige,<lb/>
das dazwischenliegt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2868"> Freilich: auch Hasser und Verächter sind dem Dichter aus seinem Werk<lb/>
entstanden. Aus seinem Werk und seinem Leben. An dem herben &#x201E;Puritaner"<lb/>
(oder vielmehr dein unabhängig trotzigen Kritiker des stagnierenden Kirchentums)<lb/>
haben sich natürlich manche geärgert; seine Dichtung wurde herabgesetzt, weil<lb/>
sie auf den mannigfachsten Entlehnungen beruhen sollte, während man, wie<lb/>
bei so vielen andern großen Dichtern, getrost allerlei Reminiszenzen zugeben<lb/>
kann, ohne daß dadurch die eigentliche Originalität des Verfassers in ernstliche<lb/>
Frage gestellt würde. Viel Einzelmaterial darf entliehen sein, wenn man ein<lb/>
wahrhaft neues Ganzes zu formen vermag. Mehr Abneigung mußte dem<lb/>
Dichter sein politisches Leben zuziehen, seine Gemeinschaft mit den &#x201E;Königs¬<lb/>
mördern" und seine kühne Verteidigung dieser vor dem Forum der europäischen<lb/>
Meinung, auch seine Streitschriften voll scharfen Spottes und leidenschaftlicher<lb/>
Rücksichtslosigkeit. Aber das alles war ja nur eine Phase seines Lebens, und<lb/>
nachdem er der ihn erfüllenden patriotischen Aufgabe mit Bewußtsein das Licht<lb/>
seiner Augen geopfert hatte, sodaß er schon vor der Mitte der vierziger Jahre<lb/>
völlig erblindet war, nachdem er den Rückgang, den endgiltigen Fehlschlag der<lb/>
großen Revolution hatte empfinden müssen, zog er sich aus ehrenvollen Amt<lb/>
und bedeutungsvoller Tätigkeit in sich selbst zurück, wurde wieder Dichter, nun<lb/>
erst recht Dichter, hatte er doch sein Herz mit mächtig beschwingenden wie düster<lb/>
vertiefenden Lebenseindrücken erfüllt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2869" next="#ID_2870"> Das Thema vom Verlornen Paradies war eins der zahlreichen gewesen,<lb/>
die er in Jugendjahren, zur Zeit der sich in ihm drängenden dichterischen Pläne,<lb/>
erwogen hatte; die noch jetzt zu Cambridge aufbewahrten Skizzen von seiner<lb/>
Hand zeigen es. Nun war er, der durch herrliche Anlage des Leibes und der<lb/>
Seele, durch eingebornen innern Adel und durch die Gunst der äußern Lebenslage<lb/>
einem Dasein in schönem Licht und innerer Harmonie entgegenzugehn schien,<lb/>
durch so viel Kampf und Dunkel, so viel Wirrnis im häuslichen und Ent¬<lb/>
täuschung im öffentlichen Leben hindurchgeschritten, hatte so schweren Verzicht<lb/>
und wehmütiges Entsagen kennen gelernt! Er war nun erst zum Sänger des<lb/>
Verlornen Paradieses gereift. Und das eine große Unglück seines Lebens, die<lb/>
Blindheit, hatte die Wunderwirkung gehabt, ihm für diese seine Dichtung be¬<lb/>
sondre Kräfte zu verleihen. Denn um so leichter wurde es für ihn, das un¬<lb/>
bestimmt Ungeheure zu schildern, die Reiche ewigen Düsters; es lösten sich ihm<lb/>
gewissermaßen alle festen Linien und Schranken des Raumes; und andrerseits</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0545] Miltonfeier und Tod, und alledem gegenüber der bezaubernde Reichtum des Paradieses¬ lebens, Glück und Liebe des ersten Menschenpaares und dann im spätern Teil die Zerrüttung dieses Glückes, entzweiendes Sichverklagen und linde Versöhnung, mit dem Ausblick auf echtes und rechtes Erdenleben voll Leid, Wehmut und doch auch Treue: das alles ist hundertmal von Kennern gerühmt und tausendfach von stillen Lesern gewürdigt worden. Und immer wieder siegt doch der Eindruck dieses genial Gelungnen über das Fragwürdige oder Minderwertige, das dazwischenliegt. Freilich: auch Hasser und Verächter sind dem Dichter aus seinem Werk entstanden. Aus seinem Werk und seinem Leben. An dem herben „Puritaner" (oder vielmehr dein unabhängig trotzigen Kritiker des stagnierenden Kirchentums) haben sich natürlich manche geärgert; seine Dichtung wurde herabgesetzt, weil sie auf den mannigfachsten Entlehnungen beruhen sollte, während man, wie bei so vielen andern großen Dichtern, getrost allerlei Reminiszenzen zugeben kann, ohne daß dadurch die eigentliche Originalität des Verfassers in ernstliche Frage gestellt würde. Viel Einzelmaterial darf entliehen sein, wenn man ein wahrhaft neues Ganzes zu formen vermag. Mehr Abneigung mußte dem Dichter sein politisches Leben zuziehen, seine Gemeinschaft mit den „Königs¬ mördern" und seine kühne Verteidigung dieser vor dem Forum der europäischen Meinung, auch seine Streitschriften voll scharfen Spottes und leidenschaftlicher Rücksichtslosigkeit. Aber das alles war ja nur eine Phase seines Lebens, und nachdem er der ihn erfüllenden patriotischen Aufgabe mit Bewußtsein das Licht seiner Augen geopfert hatte, sodaß er schon vor der Mitte der vierziger Jahre völlig erblindet war, nachdem er den Rückgang, den endgiltigen Fehlschlag der großen Revolution hatte empfinden müssen, zog er sich aus ehrenvollen Amt und bedeutungsvoller Tätigkeit in sich selbst zurück, wurde wieder Dichter, nun erst recht Dichter, hatte er doch sein Herz mit mächtig beschwingenden wie düster vertiefenden Lebenseindrücken erfüllt. Das Thema vom Verlornen Paradies war eins der zahlreichen gewesen, die er in Jugendjahren, zur Zeit der sich in ihm drängenden dichterischen Pläne, erwogen hatte; die noch jetzt zu Cambridge aufbewahrten Skizzen von seiner Hand zeigen es. Nun war er, der durch herrliche Anlage des Leibes und der Seele, durch eingebornen innern Adel und durch die Gunst der äußern Lebenslage einem Dasein in schönem Licht und innerer Harmonie entgegenzugehn schien, durch so viel Kampf und Dunkel, so viel Wirrnis im häuslichen und Ent¬ täuschung im öffentlichen Leben hindurchgeschritten, hatte so schweren Verzicht und wehmütiges Entsagen kennen gelernt! Er war nun erst zum Sänger des Verlornen Paradieses gereift. Und das eine große Unglück seines Lebens, die Blindheit, hatte die Wunderwirkung gehabt, ihm für diese seine Dichtung be¬ sondre Kräfte zu verleihen. Denn um so leichter wurde es für ihn, das un¬ bestimmt Ungeheure zu schildern, die Reiche ewigen Düsters; es lösten sich ihm gewissermaßen alle festen Linien und Schranken des Raumes; und andrerseits

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/545
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/545>, abgerufen am 22.07.2024.