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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Das Theater als Kirche

Und hier sei auch der Deportation gedacht. Der Einwand, daß man
nur die besten Leute in die Kolonien schicken dürfe, hat sicher seihe Berechtigung,
aber ich meine, daß ein gewalttätiger Mensch weit eher in den Kolonien als
im deutschen Mutterlande geduldet werden kann. Dort herrscht noch eine andre
Gewalt als hier, sie muß sogar herrschen, um dem Deutschtum Macht und
Ansehn zu verleihen. Solche Personen würden sich also in die dortigen Ver¬
hältnisse besser einpassen. Und dann, wer hier fortwährend im engen Zusammen-,
wohnen der Staatsbürger das Leben seiner Mitmenschen gefährdet, würde als
Deportierter in der Kolonie wenig Gelegenheit haben, sich auf diesem Gebiete
zu betätigen, sich aber sonst sehr nützlich machen können. Andrerseits würde
so mancher -- führte man die Möglichkeit der Deportationsstrafe für den Rückfall
in eine gefährliche Körperverletzung ein -- sich noch rechtzeitig abschrecken lassen,
und der Sicherheit im deutschen Vaterlande würde ein neuer guter Dienst
geleistet werden. ..... ,

Und wenn wir noch einen Augenblick stehn bleiben bei der Deportations¬
frage und dem Satze, daß für die Kolonien gerade das Beste gut genug sein
müsse, so darf doch dabei nicht außer Augen gelassen werden, daß die Auf¬
fassungen, die für unser fortgeschrittnes Staatswesen gelten, nicht ohne weiteres
dahin übertragen und verpflanzt werden dürfen, wo man sich noch in den
Stadien der ersten Entwicklung befindet. Menschen, die hier gelegentlich gefehlt
und dadurch häufig genug -- man kann sagen: oftmals bedauerlicherweise -- im
deutschen Vaterlande keinen Boden mehr gefunden haben, würden im Aus¬
lande, in unsern Kolonien noch treffliche Pioniere, ausgezeichnete Diener
der deutschen Arbeit sein können. Ich meine, das Deutsche Reich sollte sich
die Möglichkeit nicht entgehn lassen, neben den freiwilligen Besiedler der
Kolonien und Schutzgebiete aus eigner Machtvollkommenheit, in den Formen
des Zwanges, geeignete Kräfte ansetzen zu können. Und dazu würde ihm die
Deportationsstrafe eine gute Handhabe geben.




Das Theater als Kirche
v Carl Jeutsch on 3

l s bedeutet eine Herabsetzung, wenn man Goethe nur als Literatur¬
größe würdigt. Er hat sich selbst darüber beschwert. In dem
Bericht über sein botanisches Studium schreibt er: "Seit länger
als einem halben Jahrhundert kennt man mich im Vaterlande
l und auch wohl auswärts als Dichter und läßt mich allenfalls
für einen solchen gelten; daß ich aber mit großer Aufmerksamkeit mich um die
Natur in ihren allgemeinen physischen und ihren organischen Phänomenen emsig


Das Theater als Kirche

Und hier sei auch der Deportation gedacht. Der Einwand, daß man
nur die besten Leute in die Kolonien schicken dürfe, hat sicher seihe Berechtigung,
aber ich meine, daß ein gewalttätiger Mensch weit eher in den Kolonien als
im deutschen Mutterlande geduldet werden kann. Dort herrscht noch eine andre
Gewalt als hier, sie muß sogar herrschen, um dem Deutschtum Macht und
Ansehn zu verleihen. Solche Personen würden sich also in die dortigen Ver¬
hältnisse besser einpassen. Und dann, wer hier fortwährend im engen Zusammen-,
wohnen der Staatsbürger das Leben seiner Mitmenschen gefährdet, würde als
Deportierter in der Kolonie wenig Gelegenheit haben, sich auf diesem Gebiete
zu betätigen, sich aber sonst sehr nützlich machen können. Andrerseits würde
so mancher — führte man die Möglichkeit der Deportationsstrafe für den Rückfall
in eine gefährliche Körperverletzung ein — sich noch rechtzeitig abschrecken lassen,
und der Sicherheit im deutschen Vaterlande würde ein neuer guter Dienst
geleistet werden. ..... ,

Und wenn wir noch einen Augenblick stehn bleiben bei der Deportations¬
frage und dem Satze, daß für die Kolonien gerade das Beste gut genug sein
müsse, so darf doch dabei nicht außer Augen gelassen werden, daß die Auf¬
fassungen, die für unser fortgeschrittnes Staatswesen gelten, nicht ohne weiteres
dahin übertragen und verpflanzt werden dürfen, wo man sich noch in den
Stadien der ersten Entwicklung befindet. Menschen, die hier gelegentlich gefehlt
und dadurch häufig genug — man kann sagen: oftmals bedauerlicherweise — im
deutschen Vaterlande keinen Boden mehr gefunden haben, würden im Aus¬
lande, in unsern Kolonien noch treffliche Pioniere, ausgezeichnete Diener
der deutschen Arbeit sein können. Ich meine, das Deutsche Reich sollte sich
die Möglichkeit nicht entgehn lassen, neben den freiwilligen Besiedler der
Kolonien und Schutzgebiete aus eigner Machtvollkommenheit, in den Formen
des Zwanges, geeignete Kräfte ansetzen zu können. Und dazu würde ihm die
Deportationsstrafe eine gute Handhabe geben.




Das Theater als Kirche
v Carl Jeutsch on 3

l s bedeutet eine Herabsetzung, wenn man Goethe nur als Literatur¬
größe würdigt. Er hat sich selbst darüber beschwert. In dem
Bericht über sein botanisches Studium schreibt er: „Seit länger
als einem halben Jahrhundert kennt man mich im Vaterlande
l und auch wohl auswärts als Dichter und läßt mich allenfalls
für einen solchen gelten; daß ich aber mit großer Aufmerksamkeit mich um die
Natur in ihren allgemeinen physischen und ihren organischen Phänomenen emsig


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[0538] Das Theater als Kirche Und hier sei auch der Deportation gedacht. Der Einwand, daß man nur die besten Leute in die Kolonien schicken dürfe, hat sicher seihe Berechtigung, aber ich meine, daß ein gewalttätiger Mensch weit eher in den Kolonien als im deutschen Mutterlande geduldet werden kann. Dort herrscht noch eine andre Gewalt als hier, sie muß sogar herrschen, um dem Deutschtum Macht und Ansehn zu verleihen. Solche Personen würden sich also in die dortigen Ver¬ hältnisse besser einpassen. Und dann, wer hier fortwährend im engen Zusammen-, wohnen der Staatsbürger das Leben seiner Mitmenschen gefährdet, würde als Deportierter in der Kolonie wenig Gelegenheit haben, sich auf diesem Gebiete zu betätigen, sich aber sonst sehr nützlich machen können. Andrerseits würde so mancher — führte man die Möglichkeit der Deportationsstrafe für den Rückfall in eine gefährliche Körperverletzung ein — sich noch rechtzeitig abschrecken lassen, und der Sicherheit im deutschen Vaterlande würde ein neuer guter Dienst geleistet werden. ..... , Und wenn wir noch einen Augenblick stehn bleiben bei der Deportations¬ frage und dem Satze, daß für die Kolonien gerade das Beste gut genug sein müsse, so darf doch dabei nicht außer Augen gelassen werden, daß die Auf¬ fassungen, die für unser fortgeschrittnes Staatswesen gelten, nicht ohne weiteres dahin übertragen und verpflanzt werden dürfen, wo man sich noch in den Stadien der ersten Entwicklung befindet. Menschen, die hier gelegentlich gefehlt und dadurch häufig genug — man kann sagen: oftmals bedauerlicherweise — im deutschen Vaterlande keinen Boden mehr gefunden haben, würden im Aus¬ lande, in unsern Kolonien noch treffliche Pioniere, ausgezeichnete Diener der deutschen Arbeit sein können. Ich meine, das Deutsche Reich sollte sich die Möglichkeit nicht entgehn lassen, neben den freiwilligen Besiedler der Kolonien und Schutzgebiete aus eigner Machtvollkommenheit, in den Formen des Zwanges, geeignete Kräfte ansetzen zu können. Und dazu würde ihm die Deportationsstrafe eine gute Handhabe geben. Das Theater als Kirche v Carl Jeutsch on 3 l s bedeutet eine Herabsetzung, wenn man Goethe nur als Literatur¬ größe würdigt. Er hat sich selbst darüber beschwert. In dem Bericht über sein botanisches Studium schreibt er: „Seit länger als einem halben Jahrhundert kennt man mich im Vaterlande l und auch wohl auswärts als Dichter und läßt mich allenfalls für einen solchen gelten; daß ich aber mit großer Aufmerksamkeit mich um die Natur in ihren allgemeinen physischen und ihren organischen Phänomenen emsig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/538>, abgerufen am 22.07.2024.