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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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strafrechtliche und soziale Betrachtungen

Lasters und der Strafttat drängen. Man kann sich im Namen des Staates
einer gewissen Sorge nicht erwehren, wenn man auf Plätzen und Straßen so
viel herumlungernde, nichtstuende Jugend sieht, die der Schule schon ent¬
wachsenist. Das sind die offenbar Willensunkräftigen, das ist das Kontingent
für die Übeltäter, für die Verbrecherwelt. Deshalb vermag ich mir nichts
Segensreicheres zu denken als Anstalten, in denen Eltern aus freien Stücken,
oder wenn sie nach der Meinung der Schule und polizeilicher Organe, vielleicht
auch einer besonders dazu geschaffnen kommunalen Aufsichtsbehörde ihre Pflichten
vernachlässigt und schwer verletzt haben, gezwungnermaßen ihre Kinder unter¬
bringen können oder müssen. In diesen Anstalten, die neben der Volksschule
gedacht werden, hätten die Pflege und Kräftigung des Körpers mit der Er¬
frischung des Geistes und der Seele, der Erziehung zur Arbeit und Stählung
des Willens Hand in Hand zu gehn. Besonders tüchtige Pädagogen müßten
die Leitung erhalten und mit Lust und Liebe ihre Kraft in den Dienst des
deutschen Volkes stellen. Über die Zeit der Schulpflicht hinaus würden diese
Anstalten unter erprobten Handwerksmeistern weiter der Jugend dienen müssen,
um die Pflegebefohlnen fernerhin an sich zu ketten, die noch nicht ausreichend
gestählt für den Eintritt ins Leben erscheinen, die außerhalb der Anstalt noch
keine geeignete Arbeit und Unterkunft gefunden haben. Vielleicht ließen sich die
jetzt schon bestehenden Fortbildungsschulen in diesem Sinne ausbauen.

Die Willenskraft spielt auch bei der Frage des Alkoholmißbrauchs
eine große Rolle. Es gibt Menschen, die schon durch einen geringen Genuß
von Alkohol vollkommen willeusunkrüftig werden und an sich ruhig, besonnen
und vorwurfsfrei, sich schon im leichten Rausche zum strafbaren Handeln
hinreißen lassen. Für also veranlagte würde sicher die völlige Eiithaltsamkeit
das Ratsamste sein. In ungezählten Fällen Dichtet der Täter, der sich vor dein
Strafgericht zu verantworten hat, unter den Schirm der Trunkenheit, indem er
entweder behauptet, sinnlos betrunken gewesen zu sein, sich in einem Zustande
der Bewußtlosigkeit befunden zu haben, der eine freie Willensbestimmung aus¬
schloß, oder aber erklärt, daß er stark betrunken gewesen sei, in der Hoffnung,
sich dadurch eine mildere Auffassung zu sichern. Nicht selten kommt es vor, daß
dieselbe Person immer wieder in der Trunkenheit dieselben oder ähnliche
Ausschreitungen begeht, daß sich dieselbe Person immer wieder zu Mißhand¬
lungen -- gewöhnlich besonders gefährlicher Natur -- hinreißen läßt. In
solchen Füllen ist mir stets der Gedanke gekommen, zumal wenn der nach-
gewiesne Trunkenheitszustand zur Freisprechung oder trotz aller Vorgänge zur
mildern Beurteilung führte, ob es nicht zweckmäßig wäre, eine Bestimmung in
das Strafgesetzbuch aufzunehmen, die den mit Strafe bedroht, der sich, obgleich
n weiß, daß er in der Trunkenheit zu Gesetzwidrigkeiten und Ausschreitungen
neigt, und deshalb bestraft worden ist, wiederum in einen solchen Zustand
versetzt und mit dem Gesetz in Konflikt kommt. Ich denke, daß man die All¬
gemeinheit unter allen Umständen gegen solche Menschen schützen müßte.


strafrechtliche und soziale Betrachtungen

Lasters und der Strafttat drängen. Man kann sich im Namen des Staates
einer gewissen Sorge nicht erwehren, wenn man auf Plätzen und Straßen so
viel herumlungernde, nichtstuende Jugend sieht, die der Schule schon ent¬
wachsenist. Das sind die offenbar Willensunkräftigen, das ist das Kontingent
für die Übeltäter, für die Verbrecherwelt. Deshalb vermag ich mir nichts
Segensreicheres zu denken als Anstalten, in denen Eltern aus freien Stücken,
oder wenn sie nach der Meinung der Schule und polizeilicher Organe, vielleicht
auch einer besonders dazu geschaffnen kommunalen Aufsichtsbehörde ihre Pflichten
vernachlässigt und schwer verletzt haben, gezwungnermaßen ihre Kinder unter¬
bringen können oder müssen. In diesen Anstalten, die neben der Volksschule
gedacht werden, hätten die Pflege und Kräftigung des Körpers mit der Er¬
frischung des Geistes und der Seele, der Erziehung zur Arbeit und Stählung
des Willens Hand in Hand zu gehn. Besonders tüchtige Pädagogen müßten
die Leitung erhalten und mit Lust und Liebe ihre Kraft in den Dienst des
deutschen Volkes stellen. Über die Zeit der Schulpflicht hinaus würden diese
Anstalten unter erprobten Handwerksmeistern weiter der Jugend dienen müssen,
um die Pflegebefohlnen fernerhin an sich zu ketten, die noch nicht ausreichend
gestählt für den Eintritt ins Leben erscheinen, die außerhalb der Anstalt noch
keine geeignete Arbeit und Unterkunft gefunden haben. Vielleicht ließen sich die
jetzt schon bestehenden Fortbildungsschulen in diesem Sinne ausbauen.

Die Willenskraft spielt auch bei der Frage des Alkoholmißbrauchs
eine große Rolle. Es gibt Menschen, die schon durch einen geringen Genuß
von Alkohol vollkommen willeusunkrüftig werden und an sich ruhig, besonnen
und vorwurfsfrei, sich schon im leichten Rausche zum strafbaren Handeln
hinreißen lassen. Für also veranlagte würde sicher die völlige Eiithaltsamkeit
das Ratsamste sein. In ungezählten Fällen Dichtet der Täter, der sich vor dein
Strafgericht zu verantworten hat, unter den Schirm der Trunkenheit, indem er
entweder behauptet, sinnlos betrunken gewesen zu sein, sich in einem Zustande
der Bewußtlosigkeit befunden zu haben, der eine freie Willensbestimmung aus¬
schloß, oder aber erklärt, daß er stark betrunken gewesen sei, in der Hoffnung,
sich dadurch eine mildere Auffassung zu sichern. Nicht selten kommt es vor, daß
dieselbe Person immer wieder in der Trunkenheit dieselben oder ähnliche
Ausschreitungen begeht, daß sich dieselbe Person immer wieder zu Mißhand¬
lungen — gewöhnlich besonders gefährlicher Natur — hinreißen läßt. In
solchen Füllen ist mir stets der Gedanke gekommen, zumal wenn der nach-
gewiesne Trunkenheitszustand zur Freisprechung oder trotz aller Vorgänge zur
mildern Beurteilung führte, ob es nicht zweckmäßig wäre, eine Bestimmung in
das Strafgesetzbuch aufzunehmen, die den mit Strafe bedroht, der sich, obgleich
n weiß, daß er in der Trunkenheit zu Gesetzwidrigkeiten und Ausschreitungen
neigt, und deshalb bestraft worden ist, wiederum in einen solchen Zustand
versetzt und mit dem Gesetz in Konflikt kommt. Ich denke, daß man die All¬
gemeinheit unter allen Umständen gegen solche Menschen schützen müßte.


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[0537] strafrechtliche und soziale Betrachtungen Lasters und der Strafttat drängen. Man kann sich im Namen des Staates einer gewissen Sorge nicht erwehren, wenn man auf Plätzen und Straßen so viel herumlungernde, nichtstuende Jugend sieht, die der Schule schon ent¬ wachsenist. Das sind die offenbar Willensunkräftigen, das ist das Kontingent für die Übeltäter, für die Verbrecherwelt. Deshalb vermag ich mir nichts Segensreicheres zu denken als Anstalten, in denen Eltern aus freien Stücken, oder wenn sie nach der Meinung der Schule und polizeilicher Organe, vielleicht auch einer besonders dazu geschaffnen kommunalen Aufsichtsbehörde ihre Pflichten vernachlässigt und schwer verletzt haben, gezwungnermaßen ihre Kinder unter¬ bringen können oder müssen. In diesen Anstalten, die neben der Volksschule gedacht werden, hätten die Pflege und Kräftigung des Körpers mit der Er¬ frischung des Geistes und der Seele, der Erziehung zur Arbeit und Stählung des Willens Hand in Hand zu gehn. Besonders tüchtige Pädagogen müßten die Leitung erhalten und mit Lust und Liebe ihre Kraft in den Dienst des deutschen Volkes stellen. Über die Zeit der Schulpflicht hinaus würden diese Anstalten unter erprobten Handwerksmeistern weiter der Jugend dienen müssen, um die Pflegebefohlnen fernerhin an sich zu ketten, die noch nicht ausreichend gestählt für den Eintritt ins Leben erscheinen, die außerhalb der Anstalt noch keine geeignete Arbeit und Unterkunft gefunden haben. Vielleicht ließen sich die jetzt schon bestehenden Fortbildungsschulen in diesem Sinne ausbauen. Die Willenskraft spielt auch bei der Frage des Alkoholmißbrauchs eine große Rolle. Es gibt Menschen, die schon durch einen geringen Genuß von Alkohol vollkommen willeusunkrüftig werden und an sich ruhig, besonnen und vorwurfsfrei, sich schon im leichten Rausche zum strafbaren Handeln hinreißen lassen. Für also veranlagte würde sicher die völlige Eiithaltsamkeit das Ratsamste sein. In ungezählten Fällen Dichtet der Täter, der sich vor dein Strafgericht zu verantworten hat, unter den Schirm der Trunkenheit, indem er entweder behauptet, sinnlos betrunken gewesen zu sein, sich in einem Zustande der Bewußtlosigkeit befunden zu haben, der eine freie Willensbestimmung aus¬ schloß, oder aber erklärt, daß er stark betrunken gewesen sei, in der Hoffnung, sich dadurch eine mildere Auffassung zu sichern. Nicht selten kommt es vor, daß dieselbe Person immer wieder in der Trunkenheit dieselben oder ähnliche Ausschreitungen begeht, daß sich dieselbe Person immer wieder zu Mißhand¬ lungen — gewöhnlich besonders gefährlicher Natur — hinreißen läßt. In solchen Füllen ist mir stets der Gedanke gekommen, zumal wenn der nach- gewiesne Trunkenheitszustand zur Freisprechung oder trotz aller Vorgänge zur mildern Beurteilung führte, ob es nicht zweckmäßig wäre, eine Bestimmung in das Strafgesetzbuch aufzunehmen, die den mit Strafe bedroht, der sich, obgleich n weiß, daß er in der Trunkenheit zu Gesetzwidrigkeiten und Ausschreitungen neigt, und deshalb bestraft worden ist, wiederum in einen solchen Zustand versetzt und mit dem Gesetz in Konflikt kommt. Ich denke, daß man die All¬ gemeinheit unter allen Umständen gegen solche Menschen schützen müßte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/537>, abgerufen am 22.07.2024.