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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Hermann Weites westfälische Gedichte und Jost Most

altehrwürdigen Kirchen und seinem berühmten Gymnasium Latop, das er als
"Spätauf" erklärt, spottet auch über die deftigen Latoper, die gern lange
sitzen, die wie Hunde und Katzen erst acht Tage nach der Geburt ihre Augen
auftun, sie im Ernste aber nie gebrauchen, sondern einen gewissenlosen Bürger¬
meister mit seiner Clique wirtschaften lassen, der zu seinem und seiner Anhänger
Nutzen die großartige Alimente zerstückelt und verkauft, vor allem den alten
Gemeindewald von 5000 Morgen zum Schaden der ganzen Gegend abholzen
läßt und aus der reichen angesehenen Unterstadt eine elende jämmerliche Industrie¬
stadt macht. Zum Wiedererkennen ist dieses Stadtoberhaupt beschrieben: "Dieser
feiste Schmerbauch mit dem zerhauene" Bulldoggengesicht! Einzig der Gönner¬
schaft von Couleurbrüdern, höhern Mitgliedern des Ordens von Sankt
Bureaukratius verdankte der mehrfach durchgefallne Referendarius die Bürger¬
meisterschaft von Latop. Daß die Latoper so dumm sein konnten, so einen
verlumpten, dummdreistem sans- und Freßsack auf lebenslang zum Stadthaupt
zu wühlen." Sein Schwager, ein Bauunternehmer frei von Steuern und Ge¬
wissensdruck, half ihm nach Kräften zum eignen Besten, sich auf Kosten der
Stadt zu bereichern. Auf die Herren mit dem weiten Stadtratsgewissen sei
nur Hingewlesen. Hätte Wette den Schauplatz nicht in das sagenumwobne
Latop verlegt, dann hätte er leicht Erfahrungen machen können, wie sie
seinem Berufs- und Kunstgenossen in Pommern, dem vortrefflichen Theo
Malade aus Anlaß seines "Lebenskünstlers" nicht erspart geblieben sind.

Mit offenkundiger Vorliebe und dankbarer Verehrung schildert Wette die
tatkräftige, kluge Großmutter des Helden und rühmt ihre adliche Gesinnung,
"wie sie sich in Miene und Wort, in Denken und Handeln, im Verkehr mit
jedermann, gegen Hoch und Niedrig, gegen Arm und Reich allezeit offenbart".
Sie ist der eigentliche Schutzgeist des Schützenhofes. Sie ist zwar adlicher
Herkunft, aber begeistert für die Bedeutung des Bauernstandes und so die wahre
Triebkraft für alle edeln Taten ihres Enkels. Der Grundgedanke des Romans
ergibt sich aus ihren Lebensgrundsätzen, die sie in folgenden Sätzen dem Enkel
zur Beachtung empfiehlt: "Gott hat allen Menschen das Leben zur Arbeit,
aber auch zur Freude gegeben. Wie kann jemand Freude am Leben haben,
wenn er nicht weiß, daß die echte und wahre Lebensfreude nur dem zuteil
Wird, der andern zur Freude sein Leben lebt? Wie kann ein Mensch sittlich
sein, wenn er nicht gemeinnützig fühlt, denkt und handelt? Wie kann ein
Mensch gut sein, wenn er es nicht etwa um des Guten willen wäre? Wie
kann einer Reichtümer erwerben wollen, wenn nicht in der Gesinnung, daß er
sie zum Beseelt der Allgenieinheit verwerten will?"

- . Offen gesteht der Held die Beeinflussung durch die Großmutter zu: ,,D"
hast mich früh gelehrt, Gott hat durch Mutter Natur allen Menschen die Erde
zum gemeinsamen Unterpfand fürs Leben hienieden geliehen, nicht aber an
einzelne zur eigenwilligen Ausnutzung für immer verschenkt. So auch habe ich
aus der Geschichte der Menschheit ersehn, daß Völker und Staaten, die das


Hermann Weites westfälische Gedichte und Jost Most

altehrwürdigen Kirchen und seinem berühmten Gymnasium Latop, das er als
„Spätauf" erklärt, spottet auch über die deftigen Latoper, die gern lange
sitzen, die wie Hunde und Katzen erst acht Tage nach der Geburt ihre Augen
auftun, sie im Ernste aber nie gebrauchen, sondern einen gewissenlosen Bürger¬
meister mit seiner Clique wirtschaften lassen, der zu seinem und seiner Anhänger
Nutzen die großartige Alimente zerstückelt und verkauft, vor allem den alten
Gemeindewald von 5000 Morgen zum Schaden der ganzen Gegend abholzen
läßt und aus der reichen angesehenen Unterstadt eine elende jämmerliche Industrie¬
stadt macht. Zum Wiedererkennen ist dieses Stadtoberhaupt beschrieben: „Dieser
feiste Schmerbauch mit dem zerhauene« Bulldoggengesicht! Einzig der Gönner¬
schaft von Couleurbrüdern, höhern Mitgliedern des Ordens von Sankt
Bureaukratius verdankte der mehrfach durchgefallne Referendarius die Bürger¬
meisterschaft von Latop. Daß die Latoper so dumm sein konnten, so einen
verlumpten, dummdreistem sans- und Freßsack auf lebenslang zum Stadthaupt
zu wühlen." Sein Schwager, ein Bauunternehmer frei von Steuern und Ge¬
wissensdruck, half ihm nach Kräften zum eignen Besten, sich auf Kosten der
Stadt zu bereichern. Auf die Herren mit dem weiten Stadtratsgewissen sei
nur Hingewlesen. Hätte Wette den Schauplatz nicht in das sagenumwobne
Latop verlegt, dann hätte er leicht Erfahrungen machen können, wie sie
seinem Berufs- und Kunstgenossen in Pommern, dem vortrefflichen Theo
Malade aus Anlaß seines „Lebenskünstlers" nicht erspart geblieben sind.

Mit offenkundiger Vorliebe und dankbarer Verehrung schildert Wette die
tatkräftige, kluge Großmutter des Helden und rühmt ihre adliche Gesinnung,
„wie sie sich in Miene und Wort, in Denken und Handeln, im Verkehr mit
jedermann, gegen Hoch und Niedrig, gegen Arm und Reich allezeit offenbart".
Sie ist der eigentliche Schutzgeist des Schützenhofes. Sie ist zwar adlicher
Herkunft, aber begeistert für die Bedeutung des Bauernstandes und so die wahre
Triebkraft für alle edeln Taten ihres Enkels. Der Grundgedanke des Romans
ergibt sich aus ihren Lebensgrundsätzen, die sie in folgenden Sätzen dem Enkel
zur Beachtung empfiehlt: „Gott hat allen Menschen das Leben zur Arbeit,
aber auch zur Freude gegeben. Wie kann jemand Freude am Leben haben,
wenn er nicht weiß, daß die echte und wahre Lebensfreude nur dem zuteil
Wird, der andern zur Freude sein Leben lebt? Wie kann ein Mensch sittlich
sein, wenn er nicht gemeinnützig fühlt, denkt und handelt? Wie kann ein
Mensch gut sein, wenn er es nicht etwa um des Guten willen wäre? Wie
kann einer Reichtümer erwerben wollen, wenn nicht in der Gesinnung, daß er
sie zum Beseelt der Allgenieinheit verwerten will?"

- . Offen gesteht der Held die Beeinflussung durch die Großmutter zu: ,,D»
hast mich früh gelehrt, Gott hat durch Mutter Natur allen Menschen die Erde
zum gemeinsamen Unterpfand fürs Leben hienieden geliehen, nicht aber an
einzelne zur eigenwilligen Ausnutzung für immer verschenkt. So auch habe ich
aus der Geschichte der Menschheit ersehn, daß Völker und Staaten, die das


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[0498] Hermann Weites westfälische Gedichte und Jost Most altehrwürdigen Kirchen und seinem berühmten Gymnasium Latop, das er als „Spätauf" erklärt, spottet auch über die deftigen Latoper, die gern lange sitzen, die wie Hunde und Katzen erst acht Tage nach der Geburt ihre Augen auftun, sie im Ernste aber nie gebrauchen, sondern einen gewissenlosen Bürger¬ meister mit seiner Clique wirtschaften lassen, der zu seinem und seiner Anhänger Nutzen die großartige Alimente zerstückelt und verkauft, vor allem den alten Gemeindewald von 5000 Morgen zum Schaden der ganzen Gegend abholzen läßt und aus der reichen angesehenen Unterstadt eine elende jämmerliche Industrie¬ stadt macht. Zum Wiedererkennen ist dieses Stadtoberhaupt beschrieben: „Dieser feiste Schmerbauch mit dem zerhauene« Bulldoggengesicht! Einzig der Gönner¬ schaft von Couleurbrüdern, höhern Mitgliedern des Ordens von Sankt Bureaukratius verdankte der mehrfach durchgefallne Referendarius die Bürger¬ meisterschaft von Latop. Daß die Latoper so dumm sein konnten, so einen verlumpten, dummdreistem sans- und Freßsack auf lebenslang zum Stadthaupt zu wühlen." Sein Schwager, ein Bauunternehmer frei von Steuern und Ge¬ wissensdruck, half ihm nach Kräften zum eignen Besten, sich auf Kosten der Stadt zu bereichern. Auf die Herren mit dem weiten Stadtratsgewissen sei nur Hingewlesen. Hätte Wette den Schauplatz nicht in das sagenumwobne Latop verlegt, dann hätte er leicht Erfahrungen machen können, wie sie seinem Berufs- und Kunstgenossen in Pommern, dem vortrefflichen Theo Malade aus Anlaß seines „Lebenskünstlers" nicht erspart geblieben sind. Mit offenkundiger Vorliebe und dankbarer Verehrung schildert Wette die tatkräftige, kluge Großmutter des Helden und rühmt ihre adliche Gesinnung, „wie sie sich in Miene und Wort, in Denken und Handeln, im Verkehr mit jedermann, gegen Hoch und Niedrig, gegen Arm und Reich allezeit offenbart". Sie ist der eigentliche Schutzgeist des Schützenhofes. Sie ist zwar adlicher Herkunft, aber begeistert für die Bedeutung des Bauernstandes und so die wahre Triebkraft für alle edeln Taten ihres Enkels. Der Grundgedanke des Romans ergibt sich aus ihren Lebensgrundsätzen, die sie in folgenden Sätzen dem Enkel zur Beachtung empfiehlt: „Gott hat allen Menschen das Leben zur Arbeit, aber auch zur Freude gegeben. Wie kann jemand Freude am Leben haben, wenn er nicht weiß, daß die echte und wahre Lebensfreude nur dem zuteil Wird, der andern zur Freude sein Leben lebt? Wie kann ein Mensch sittlich sein, wenn er nicht gemeinnützig fühlt, denkt und handelt? Wie kann ein Mensch gut sein, wenn er es nicht etwa um des Guten willen wäre? Wie kann einer Reichtümer erwerben wollen, wenn nicht in der Gesinnung, daß er sie zum Beseelt der Allgenieinheit verwerten will?" - . Offen gesteht der Held die Beeinflussung durch die Großmutter zu: ,,D» hast mich früh gelehrt, Gott hat durch Mutter Natur allen Menschen die Erde zum gemeinsamen Unterpfand fürs Leben hienieden geliehen, nicht aber an einzelne zur eigenwilligen Ausnutzung für immer verschenkt. So auch habe ich aus der Geschichte der Menschheit ersehn, daß Völker und Staaten, die das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/498>, abgerufen am 22.07.2024.