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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Hier wie dort gibt der Dichter nur Selbsterlebtes, allerdings in solcher
dichterischen Umgestaltung und Verklärung, daß die nackte Wirklichkeit zum
Teil schwer zu ermitteln ist. Er fühlt sich vor allem als Westfale und ge¬
winnt wieAntäus neue Kraft, sobald er sich dem Zauber seiner Heimat, seiner
wahren Muttersprache, heimischem Denken und heimischen Bräuchen hingibt.

In den Gedichten erfreut uns die Mannigfaltigkeit der behandelten
Motive, in bunter Folge treffen wir kecke Liebeslieder von bezwingender Innig¬
keit, frische Naturschilderungen, die Wette überall gelingen, ernste Balladen,
feinsinnige Lebensbilder, die uns an die Kunst der Darstellung und die Ge¬
dankentiefe seiner Romane erinnern. Meisterhaft handhabt Wette in diesen
Gedichten die heimische Mundart und eifert mit Erfolg feinen Vorbildern,
den Volksliedern, nach, der Lehre des Vaters folgend, der den Jüngling schon
für die Schönheit und Eigenart der Volkspoesie und der Volksbräuche
empfänglich gemacht hat. Überall beim Ernster und Heitern tritt uns dieselbe
lebensfreudige Stimmung entgegen, die sich der Dichter allerdings nicht ohne
schwere und lange Seelenkämpfe zu bewahren gewußt hat. Das schlichte
Gewand der Mundart läßt die natürliche Schönheit der Gedichte um so wirk¬
samer hervortreten.

Gehn wir von den "Westfälischen Gedichten" zu dem Roman "Jost
Knost". so heimelt uns überall dieselbe Umwelt an. dieselben tatkräftigen und
lebensfroher Menschen treten uns entgegen. Nicht umsonst heißt der Held
..Knost". "aus knorrigen Stamm ein knorriger Knost": er erklärte schon früh
die Menschen für Hammel, die ohne Schäfer und Schäferhund ihr Futter
'"ehe fänden. So scheut sich auch Wette-Knost gelegentlich nicht vor starken,
derben, fast zu westfälischen Ausdrücken und Gedanken. Da der Roman aber
echten Bauernsinn und echte Bauernart verherrlicht, so hat in ihm auch der
Bauern Kraftausdruck seine Berechtigung.

stimmungsvoll wirkt am Eingang des Werkes die Widmung an C. I..
das heißt Carl Jentsch. den wegen seines Freimuth und seiner vielseitigen
Bildung hochverehrten Meister der Feder in Reiße. Beide, Jentsch und Wette,
bewegen sich in denselben Gedankensphären, verlangen vor allem volle Ge¬
wissensfreiheit, verurteilen die konfessionellen Eiferer, wo immer sie hervor¬
treten, und verachten von ganzem Herzen die scheinheiligen Frömmler, mögen
sie heißen, wie sie wollen. Wette-Knosts Glaubensbekenntnis gipfelt in dem
Satze: "Mag man das Weltall als Erscheinung Gottes oder als sein Geschöpf
ansehen, jedenfalls kommen wir mit aller Wissenschaft und Philosophie über
die einfache Quintessenz unsers Menschentums nicht hinaus: dem Leibe nach
sind wir Geschöpfe von Frau Liebden Mutter Natur, und dem Geiste nach
Kinder des großen Unbekannten, den wir doch wohl am besten nach wie vor
Herrgottvater nennen."

Den Namen des eigentlichen Schauplatzes der Geschichte verschweigt
Wette aus guten Gründen. Er nennt zwar das Ackerstädtchen mit seinen


Grenzboten IV 1908 ^

Hier wie dort gibt der Dichter nur Selbsterlebtes, allerdings in solcher
dichterischen Umgestaltung und Verklärung, daß die nackte Wirklichkeit zum
Teil schwer zu ermitteln ist. Er fühlt sich vor allem als Westfale und ge¬
winnt wieAntäus neue Kraft, sobald er sich dem Zauber seiner Heimat, seiner
wahren Muttersprache, heimischem Denken und heimischen Bräuchen hingibt.

In den Gedichten erfreut uns die Mannigfaltigkeit der behandelten
Motive, in bunter Folge treffen wir kecke Liebeslieder von bezwingender Innig¬
keit, frische Naturschilderungen, die Wette überall gelingen, ernste Balladen,
feinsinnige Lebensbilder, die uns an die Kunst der Darstellung und die Ge¬
dankentiefe seiner Romane erinnern. Meisterhaft handhabt Wette in diesen
Gedichten die heimische Mundart und eifert mit Erfolg feinen Vorbildern,
den Volksliedern, nach, der Lehre des Vaters folgend, der den Jüngling schon
für die Schönheit und Eigenart der Volkspoesie und der Volksbräuche
empfänglich gemacht hat. Überall beim Ernster und Heitern tritt uns dieselbe
lebensfreudige Stimmung entgegen, die sich der Dichter allerdings nicht ohne
schwere und lange Seelenkämpfe zu bewahren gewußt hat. Das schlichte
Gewand der Mundart läßt die natürliche Schönheit der Gedichte um so wirk¬
samer hervortreten.

Gehn wir von den „Westfälischen Gedichten" zu dem Roman „Jost
Knost". so heimelt uns überall dieselbe Umwelt an. dieselben tatkräftigen und
lebensfroher Menschen treten uns entgegen. Nicht umsonst heißt der Held
..Knost". „aus knorrigen Stamm ein knorriger Knost": er erklärte schon früh
die Menschen für Hammel, die ohne Schäfer und Schäferhund ihr Futter
'"ehe fänden. So scheut sich auch Wette-Knost gelegentlich nicht vor starken,
derben, fast zu westfälischen Ausdrücken und Gedanken. Da der Roman aber
echten Bauernsinn und echte Bauernart verherrlicht, so hat in ihm auch der
Bauern Kraftausdruck seine Berechtigung.

stimmungsvoll wirkt am Eingang des Werkes die Widmung an C. I..
das heißt Carl Jentsch. den wegen seines Freimuth und seiner vielseitigen
Bildung hochverehrten Meister der Feder in Reiße. Beide, Jentsch und Wette,
bewegen sich in denselben Gedankensphären, verlangen vor allem volle Ge¬
wissensfreiheit, verurteilen die konfessionellen Eiferer, wo immer sie hervor¬
treten, und verachten von ganzem Herzen die scheinheiligen Frömmler, mögen
sie heißen, wie sie wollen. Wette-Knosts Glaubensbekenntnis gipfelt in dem
Satze: „Mag man das Weltall als Erscheinung Gottes oder als sein Geschöpf
ansehen, jedenfalls kommen wir mit aller Wissenschaft und Philosophie über
die einfache Quintessenz unsers Menschentums nicht hinaus: dem Leibe nach
sind wir Geschöpfe von Frau Liebden Mutter Natur, und dem Geiste nach
Kinder des großen Unbekannten, den wir doch wohl am besten nach wie vor
Herrgottvater nennen."

Den Namen des eigentlichen Schauplatzes der Geschichte verschweigt
Wette aus guten Gründen. Er nennt zwar das Ackerstädtchen mit seinen


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[0497] Hier wie dort gibt der Dichter nur Selbsterlebtes, allerdings in solcher dichterischen Umgestaltung und Verklärung, daß die nackte Wirklichkeit zum Teil schwer zu ermitteln ist. Er fühlt sich vor allem als Westfale und ge¬ winnt wieAntäus neue Kraft, sobald er sich dem Zauber seiner Heimat, seiner wahren Muttersprache, heimischem Denken und heimischen Bräuchen hingibt. In den Gedichten erfreut uns die Mannigfaltigkeit der behandelten Motive, in bunter Folge treffen wir kecke Liebeslieder von bezwingender Innig¬ keit, frische Naturschilderungen, die Wette überall gelingen, ernste Balladen, feinsinnige Lebensbilder, die uns an die Kunst der Darstellung und die Ge¬ dankentiefe seiner Romane erinnern. Meisterhaft handhabt Wette in diesen Gedichten die heimische Mundart und eifert mit Erfolg feinen Vorbildern, den Volksliedern, nach, der Lehre des Vaters folgend, der den Jüngling schon für die Schönheit und Eigenart der Volkspoesie und der Volksbräuche empfänglich gemacht hat. Überall beim Ernster und Heitern tritt uns dieselbe lebensfreudige Stimmung entgegen, die sich der Dichter allerdings nicht ohne schwere und lange Seelenkämpfe zu bewahren gewußt hat. Das schlichte Gewand der Mundart läßt die natürliche Schönheit der Gedichte um so wirk¬ samer hervortreten. Gehn wir von den „Westfälischen Gedichten" zu dem Roman „Jost Knost". so heimelt uns überall dieselbe Umwelt an. dieselben tatkräftigen und lebensfroher Menschen treten uns entgegen. Nicht umsonst heißt der Held ..Knost". „aus knorrigen Stamm ein knorriger Knost": er erklärte schon früh die Menschen für Hammel, die ohne Schäfer und Schäferhund ihr Futter '"ehe fänden. So scheut sich auch Wette-Knost gelegentlich nicht vor starken, derben, fast zu westfälischen Ausdrücken und Gedanken. Da der Roman aber echten Bauernsinn und echte Bauernart verherrlicht, so hat in ihm auch der Bauern Kraftausdruck seine Berechtigung. stimmungsvoll wirkt am Eingang des Werkes die Widmung an C. I.. das heißt Carl Jentsch. den wegen seines Freimuth und seiner vielseitigen Bildung hochverehrten Meister der Feder in Reiße. Beide, Jentsch und Wette, bewegen sich in denselben Gedankensphären, verlangen vor allem volle Ge¬ wissensfreiheit, verurteilen die konfessionellen Eiferer, wo immer sie hervor¬ treten, und verachten von ganzem Herzen die scheinheiligen Frömmler, mögen sie heißen, wie sie wollen. Wette-Knosts Glaubensbekenntnis gipfelt in dem Satze: „Mag man das Weltall als Erscheinung Gottes oder als sein Geschöpf ansehen, jedenfalls kommen wir mit aller Wissenschaft und Philosophie über die einfache Quintessenz unsers Menschentums nicht hinaus: dem Leibe nach sind wir Geschöpfe von Frau Liebden Mutter Natur, und dem Geiste nach Kinder des großen Unbekannten, den wir doch wohl am besten nach wie vor Herrgottvater nennen." Den Namen des eigentlichen Schauplatzes der Geschichte verschweigt Wette aus guten Gründen. Er nennt zwar das Ackerstädtchen mit seinen Grenzboten IV 1908 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/497>, abgerufen am 22.07.2024.