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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Ein deutscher Magister als Sansculotte

ist, so muß er mit ins Pantheon! Es lebe der Sansculotte Jesus! Es lebe
die Republik!"

Von Vienne ging der Marsch weiter über Grenoble und Balence nach
Avignon. Unterwegs schmolz die Heldenschar immer mehr zusammen, da sich
einer nach dem andern drückte. Eine Strecke weit befand sich Laukhard nur
"och in der Gesellschaft eines einzigen Kameraden, und vor Valence bezog er
mit diesem das Beinhaus eines Dorffriedhofs als Nachtquartier, da sie sich
nicht in das Dorf hineingetrauten. Laukhard machte es sich, so gut es gehn
ivollte, auf den Knochen bequem und meint mit der bittern Philosophie, die er
mit Seume gemein hat: "Die Töten haben mir meine Freiheit gewiß auch so
wenig übelgenommen, als es die Gänse übelnehmen, wenn jemand auf ihren
ausgerupften Federn sich hinstreckt. Überbleibsel sind Überbleibsel: diese von
außen und etwas bequemer, jene von innen und etwas hart; aber wie der
Hunger das beste Gewürz der Speisen ist, so ist Müdigkeit die beste Förderung
des Schlafes."

In Avignon trennte er sich von den Sansculotten, begnügte sich mit dem,
was die Republik den fremden Deserteuren zum Lebensunterhalt zahlte, und half
einem Grobschmied bei der Arbeit. Da man jedoch Bedenken trug, die Aus¬
länder so nahe an der Landesgrenze zu lassen, sollte er nach Toulouse gebracht
werden, erreichte jedoch durch Vorstellungen beim Kommissär, daß man ihm einen
Paß nach Lyon gab.

Hier war es inzwischen ruhiger geworden, und die Tätigkeit des Militärs
beschränkte sich in der Hauptsache auf den Besuch der Weinsäufer. In einem
solchen sah sich Laukhard gezwungen, die Ehre seines Vaterlandes einem gro߬
sprecherischer Offizier gegenüber mit dem Degen zu verteidigen. Das Duell
fand ohne Sekundanten statt und endete mit der Verwundung des Deutschen.
Nun entpuppte sich der Gegner als Gemütsmensch, schenkte Laukhard ein Hemd,
ein Paar Strümpfe und sechzig Livres in Papiergeld, die er sich zu diesem
Zwecke geborgt hatte, und bestärkte ihn in seinem Vorsatz, nach Macon zu
wandern. Unterwegs wurde der Zustand der Wunde bedenklich, und da es in
Macoll kein Spital gab, beförderte der dortige Kommissär den Kranken auf einem
zweirädrigen Karren nach Dijon in das Hospital Chaillicr, wo sich die Chi¬
rurgen, allerdings ohne Erfolg, um die Heilung der Wunde bemühten. Laukhard
kümmerte sich wenig um ihre Allordnungen, versuchte vielmehr den Schaden mit
Pflastern zu heilen und machte sich dem Arzte als Dolmetscher bei der Be¬
handlung der im Hospital untergebrachten Deutschen nützlich. Auf seinen
Wunsch wurde er schließlich als Unterkraükenwärter angestellt und unterzog sich
mit dem ihm eignen Stoizismus den ekelhaftesten Arbeiten. Als der Ober¬
chirurg selbst erkrankte und durch einen andern ersetzt wurde, der Laukhard nicht
gewogen war und ihm die Pflege der Krätzekranken übertrug, forderte unser
Landsmantt seinen Abschied und ernährte sich durch Stundengeben. Er beging
jedoch die Unvorsichtigkeit, an den Repräsentanten Dentzel zu schreiben und ihn


Ein deutscher Magister als Sansculotte

ist, so muß er mit ins Pantheon! Es lebe der Sansculotte Jesus! Es lebe
die Republik!"

Von Vienne ging der Marsch weiter über Grenoble und Balence nach
Avignon. Unterwegs schmolz die Heldenschar immer mehr zusammen, da sich
einer nach dem andern drückte. Eine Strecke weit befand sich Laukhard nur
»och in der Gesellschaft eines einzigen Kameraden, und vor Valence bezog er
mit diesem das Beinhaus eines Dorffriedhofs als Nachtquartier, da sie sich
nicht in das Dorf hineingetrauten. Laukhard machte es sich, so gut es gehn
ivollte, auf den Knochen bequem und meint mit der bittern Philosophie, die er
mit Seume gemein hat: „Die Töten haben mir meine Freiheit gewiß auch so
wenig übelgenommen, als es die Gänse übelnehmen, wenn jemand auf ihren
ausgerupften Federn sich hinstreckt. Überbleibsel sind Überbleibsel: diese von
außen und etwas bequemer, jene von innen und etwas hart; aber wie der
Hunger das beste Gewürz der Speisen ist, so ist Müdigkeit die beste Förderung
des Schlafes."

In Avignon trennte er sich von den Sansculotten, begnügte sich mit dem,
was die Republik den fremden Deserteuren zum Lebensunterhalt zahlte, und half
einem Grobschmied bei der Arbeit. Da man jedoch Bedenken trug, die Aus¬
länder so nahe an der Landesgrenze zu lassen, sollte er nach Toulouse gebracht
werden, erreichte jedoch durch Vorstellungen beim Kommissär, daß man ihm einen
Paß nach Lyon gab.

Hier war es inzwischen ruhiger geworden, und die Tätigkeit des Militärs
beschränkte sich in der Hauptsache auf den Besuch der Weinsäufer. In einem
solchen sah sich Laukhard gezwungen, die Ehre seines Vaterlandes einem gro߬
sprecherischer Offizier gegenüber mit dem Degen zu verteidigen. Das Duell
fand ohne Sekundanten statt und endete mit der Verwundung des Deutschen.
Nun entpuppte sich der Gegner als Gemütsmensch, schenkte Laukhard ein Hemd,
ein Paar Strümpfe und sechzig Livres in Papiergeld, die er sich zu diesem
Zwecke geborgt hatte, und bestärkte ihn in seinem Vorsatz, nach Macon zu
wandern. Unterwegs wurde der Zustand der Wunde bedenklich, und da es in
Macoll kein Spital gab, beförderte der dortige Kommissär den Kranken auf einem
zweirädrigen Karren nach Dijon in das Hospital Chaillicr, wo sich die Chi¬
rurgen, allerdings ohne Erfolg, um die Heilung der Wunde bemühten. Laukhard
kümmerte sich wenig um ihre Allordnungen, versuchte vielmehr den Schaden mit
Pflastern zu heilen und machte sich dem Arzte als Dolmetscher bei der Be¬
handlung der im Hospital untergebrachten Deutschen nützlich. Auf seinen
Wunsch wurde er schließlich als Unterkraükenwärter angestellt und unterzog sich
mit dem ihm eignen Stoizismus den ekelhaftesten Arbeiten. Als der Ober¬
chirurg selbst erkrankte und durch einen andern ersetzt wurde, der Laukhard nicht
gewogen war und ihm die Pflege der Krätzekranken übertrug, forderte unser
Landsmantt seinen Abschied und ernährte sich durch Stundengeben. Er beging
jedoch die Unvorsichtigkeit, an den Repräsentanten Dentzel zu schreiben und ihn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/492>, abgerufen am 22.07.2024.