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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Gin deutscher Magister als Sansculotte

Franziskaner, dann Hofprediger in Stuttgart, danach Professor an der kur¬
kölnischer Universität Bonn gewesen war, sich dort aber durch seine Freigeisterei
unmöglich gemacht hatte und nun als öffentlicher Ankläger beim Revolutions¬
tribunal fungierte. Dieser merkwürdige Mann, der in seiner Person die Eigen¬
schaften eines geistreichen Gelehrten, eines schwärmerischen Lyrikers und eines
Bluthundes vereinigte, bald darauf übrigens selbst unter dem Fallbeil endete,
hörte die Geschichte seines Besuchers mit Teilnahme an und gab ihm ein Assignat
von zehn Livres mit auf den Weg.

Beim Weitermarsch erbot sich Laukhard, dem Hauptmann, der den Ge-
fangnentransport anführte, als Dolmetscher zu dienen und gewann dadurch
manche Vergünstigung. In Kolmar wohnte er zum erstenmal einer Hinrichtung
durch die Guillotine bei, "die einen seltsamen Eindruck auf ihn machte, den er
den ganzen Tag nicht verwinden konnte".

Der Hauptmann -- er hieß Landrin -- hatte den Befehl, die Gefangnen
und Deserteure nach Besancon zu bringen. Laukhard, der sich mit ihm be¬
freundet hatte, wäre am liebsten als Soldat bei Landrins Kompagnie einge¬
treten. Das ging jedoch nicht an, da die Republik grundsätzlich keine Ge¬
fangnen und Deserteure in die vor dem Feinde stehende Armee aufnahm. Der
Hauptmann legte ihm deshalb nahe, sich in Macon oder Lyon bei einem der
ausländischen Bataillone anwerben zu lassen, die die Republik im Innern des
Landes verwandte. Laukhard ging darauf ein, verhandelte sofort Rock und
Weste gegen eine blau-weiß-rote Uniform, nahm, von Landrin mit 30 Livres
beschenkt, unter Tränen von ihm Abschied und wanderte auf der vorgeschriebnen
Etappenstraße nach Macon, wo er "zum erstenmal einige von den echten Ohne¬
hosen" antraf. Mit diesen marschierte er nach Lyon, wo das deutsche Bataillon
stand. Sie kehrten unterwegs in jeder Kneipe ein, tranken gewaltig, vergaßen
aber gewöhnlich zu zahlen, führten überall das große Wort und verschworen
sich hoch und teuer, den verfluchten Aristokraten die Hülse zu brechen. "Die
Regierung, bemerkt Laukhard wohl sehr richtig, konnte damals dem abscheu¬
lichen Unwesen der Smisculotterie noch nicht mit Strenge steuern; Hütte man
sie mit Schärfe behandeln wollen, so würden sie sich wahrscheinlich auf die
Seite derer geschlagen haben, die immer noch mißvergnügt waren, d. i. der eben
bezwungncn Aristokraten. Und dann hätte man neue Sansculotten haben
müssen, um die alten zu Paaren zu treiben; und diese frischen Ohnehosen
hätten es am Ende noch ärger gemacht als die ersten."

Als Laukhard am Abend des 22. Januar (1794) in Lyon eintraf, wo er
sich beim Kriegskommissar meldete, war die Metzelei im vollen Gange. Auf
dem Platze, wo kurz vorher die Hinrichtungen stattgefunden hatten, war das
Pflaster mit Blut bedeckt. Auf seiue Äußerung einem Sansculotten gegenüber,
daß es doch hübsch sein würde, das Blut zu beseitigen, erhielt er die Antwort:
"Warum? Das ist aristokratisches Rebellenblut, das müssen die Hunde
anstecken."


Gin deutscher Magister als Sansculotte

Franziskaner, dann Hofprediger in Stuttgart, danach Professor an der kur¬
kölnischer Universität Bonn gewesen war, sich dort aber durch seine Freigeisterei
unmöglich gemacht hatte und nun als öffentlicher Ankläger beim Revolutions¬
tribunal fungierte. Dieser merkwürdige Mann, der in seiner Person die Eigen¬
schaften eines geistreichen Gelehrten, eines schwärmerischen Lyrikers und eines
Bluthundes vereinigte, bald darauf übrigens selbst unter dem Fallbeil endete,
hörte die Geschichte seines Besuchers mit Teilnahme an und gab ihm ein Assignat
von zehn Livres mit auf den Weg.

Beim Weitermarsch erbot sich Laukhard, dem Hauptmann, der den Ge-
fangnentransport anführte, als Dolmetscher zu dienen und gewann dadurch
manche Vergünstigung. In Kolmar wohnte er zum erstenmal einer Hinrichtung
durch die Guillotine bei, „die einen seltsamen Eindruck auf ihn machte, den er
den ganzen Tag nicht verwinden konnte".

Der Hauptmann — er hieß Landrin — hatte den Befehl, die Gefangnen
und Deserteure nach Besancon zu bringen. Laukhard, der sich mit ihm be¬
freundet hatte, wäre am liebsten als Soldat bei Landrins Kompagnie einge¬
treten. Das ging jedoch nicht an, da die Republik grundsätzlich keine Ge¬
fangnen und Deserteure in die vor dem Feinde stehende Armee aufnahm. Der
Hauptmann legte ihm deshalb nahe, sich in Macon oder Lyon bei einem der
ausländischen Bataillone anwerben zu lassen, die die Republik im Innern des
Landes verwandte. Laukhard ging darauf ein, verhandelte sofort Rock und
Weste gegen eine blau-weiß-rote Uniform, nahm, von Landrin mit 30 Livres
beschenkt, unter Tränen von ihm Abschied und wanderte auf der vorgeschriebnen
Etappenstraße nach Macon, wo er „zum erstenmal einige von den echten Ohne¬
hosen" antraf. Mit diesen marschierte er nach Lyon, wo das deutsche Bataillon
stand. Sie kehrten unterwegs in jeder Kneipe ein, tranken gewaltig, vergaßen
aber gewöhnlich zu zahlen, führten überall das große Wort und verschworen
sich hoch und teuer, den verfluchten Aristokraten die Hülse zu brechen. „Die
Regierung, bemerkt Laukhard wohl sehr richtig, konnte damals dem abscheu¬
lichen Unwesen der Smisculotterie noch nicht mit Strenge steuern; Hütte man
sie mit Schärfe behandeln wollen, so würden sie sich wahrscheinlich auf die
Seite derer geschlagen haben, die immer noch mißvergnügt waren, d. i. der eben
bezwungncn Aristokraten. Und dann hätte man neue Sansculotten haben
müssen, um die alten zu Paaren zu treiben; und diese frischen Ohnehosen
hätten es am Ende noch ärger gemacht als die ersten."

Als Laukhard am Abend des 22. Januar (1794) in Lyon eintraf, wo er
sich beim Kriegskommissar meldete, war die Metzelei im vollen Gange. Auf
dem Platze, wo kurz vorher die Hinrichtungen stattgefunden hatten, war das
Pflaster mit Blut bedeckt. Auf seiue Äußerung einem Sansculotten gegenüber,
daß es doch hübsch sein würde, das Blut zu beseitigen, erhielt er die Antwort:
„Warum? Das ist aristokratisches Rebellenblut, das müssen die Hunde
anstecken."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/490>, abgerufen am 25.08.2024.