Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.Theodor Storm in der Verbannung Als Storm im Jahre 1858 nach Heiligenstadt im Eichsfelde als Kreisrichter Die letzten Briefe aus dem Jahre 1863 glühen in der Erwartung der Und halten wir mit ihnen die schönen Novellen "Abseits und "Unterm Und wenn er selbst da noch nicht zu hoffen wagte, es wurde doch Wirklichkeit. Theodor Storm in der Verbannung Als Storm im Jahre 1858 nach Heiligenstadt im Eichsfelde als Kreisrichter Die letzten Briefe aus dem Jahre 1863 glühen in der Erwartung der Und halten wir mit ihnen die schönen Novellen „Abseits und „Unterm Und wenn er selbst da noch nicht zu hoffen wagte, es wurde doch Wirklichkeit. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0452" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/310863"/> <fw type="header" place="top"> Theodor Storm in der Verbannung</fw><lb/> <p xml:id="ID_2447"> Als Storm im Jahre 1858 nach Heiligenstadt im Eichsfelde als Kreisrichter<lb/> versetzt war, lebte er nach und nach mehr auf, mögen wir auch manchen Stoßseufzer<lb/> des von Akten geplagten Richters und des „Vaters mehrerer Gymnasiasten"<lb/> vernehmen, und mag er auch klagen, daß der Aufenthalt „ziemlich unbehaglich"<lb/> bleibe, weil „daheim" nicht „zu Hause" sei, und daß er sich einsam fühle.<lb/> Warme und verständnisvolle Würdigungen seiner Novellen und somit das Be¬<lb/> wußtsein, daß seine Poesie doch ihre stillen Spuren ziehe, gaben ihm neuen<lb/> Mut und neue Kraft. „Nun ists, schreibt er 1858, als käme plötzlich wieder<lb/> Leben und Wärme in mein Herz, und als würde ich noch einmal wieder ich<lb/> selber werden." Angenehmer Verkehr (besonders mit dem Landrat v. Wussow)<lb/> und der von ihm gegründete „Singverein" trugen dazu bei. Auch fand er das<lb/> schönste Glück in seinem eignen Hause. Ein treffliches Bild der schönen Frau<lb/> Konstanze ziert diesen Band Briefe; die Zeichnung rührt von dem Freunde<lb/> Ludwig Pietsch her; unvergessen wird es mir selbst bleiben, wie Storm mich<lb/> zuerst vor das Originalbild führte und mit innerer Bewegung sagte: „Wenn<lb/> sie ins Zimmer trat, war es, als ob Heller Sonnenschein hineindringe." In<lb/> diesen Briefen lesen wir die liebevolle Schilderung: „Je mehr die sinnlichen<lb/> Reize der Jugend vergeh«, entwickelt ihr Antlitz, namentlich wenn sie sich wohl<lb/> und heiter fühlt, eine zarte geistige Schönheit, daß selbst gleichaltrige Frauen<lb/> davon entzückt und hingerissen werden. Die seltne Einfachheit und Reinheit<lb/> ihres Wesens umgibt sie noch immer wie mit einer Atmosphäre der Jugend."<lb/> Auch die Kinder — drei Buben und drei Mädchen — lernt der Leser dieser<lb/> Briefe unlieben, denn der stolze Vater wird nicht müde, sie zu rühmen und<lb/> die köstlichsten Kinderaussprüche vorzuführen. Nur einer sei als Beispiel heraus¬<lb/> gehoben. Karl springt zum Ärger des Vaters wie ein Narr neben ihm her,<lb/> und er verweist ihm das. „Ach, Papa, sagte er, siehst du, ich singe so in<lb/> meinem Gemüte, da muß ich denn den Takt dazu tanzen." Er wurde denn<lb/> auch später Musiker und ein still in sich beglückter Mensch; er starb in dem<lb/> echten Künstlerwinkel eines reizenden Häuschens, in dem idyllischen Städtchen<lb/> Varel, gehegt und gepflegt von seiner liebevollen Schwester Gertrud.</p><lb/> <p xml:id="ID_2448"> Die letzten Briefe aus dem Jahre 1863 glühen in der Erwartung der<lb/> Dinge, die sich in der Heimat vorbereiteten."</p><lb/> <p xml:id="ID_2449"> Und halten wir mit ihnen die schönen Novellen „Abseits und „Unterm<lb/> Tannenbaum" und Gedichte wie „Gedenkst du noch?" zusammen, dann haben<lb/> wir die Grundstimmung der voraufgehenden Jahre mit ihrer Heimatsehnsucht.<lb/> Im November 1863 starb Friedrich der Siebente, und mit ihm starben die<lb/> Rechte, die der dänische König auf Schleswig-Holstein hatte. Da jubelt Storm:</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_26" type="poem"> <l/> </lg><lb/> <p xml:id="ID_2450"> Und wenn er selbst da noch nicht zu hoffen wagte, es wurde doch Wirklichkeit.<lb/> Im Februar 1864 wurde er in die Heimat als Landvogt von Husum zurück¬<lb/> gerufen! Trotz der großen Freude mußte er doch „sein Herz in beide Hände<lb/> fassen", als zum letztenmale der Singverein in Heiligenstadt unter seiner<lb/> Leitung im prächtigen Chor von mehr als fünfzig Sängern sein Lied erschallen<lb/> ließ. Und doch konnte er sich nicht der dunkeln Ahnung künftigen Unheils bei<lb/> dem Gedanken an das namenlose Glück der Heimkehr erwehren. „Wen von euch<lb/> soll ich dafür als Opfer geben?" klang es im Kreise seiner Lieben ihm durchs<lb/> Herz. Ein Jahr nach der Rückkehr starb Konstanze.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0452]
Theodor Storm in der Verbannung
Als Storm im Jahre 1858 nach Heiligenstadt im Eichsfelde als Kreisrichter
versetzt war, lebte er nach und nach mehr auf, mögen wir auch manchen Stoßseufzer
des von Akten geplagten Richters und des „Vaters mehrerer Gymnasiasten"
vernehmen, und mag er auch klagen, daß der Aufenthalt „ziemlich unbehaglich"
bleibe, weil „daheim" nicht „zu Hause" sei, und daß er sich einsam fühle.
Warme und verständnisvolle Würdigungen seiner Novellen und somit das Be¬
wußtsein, daß seine Poesie doch ihre stillen Spuren ziehe, gaben ihm neuen
Mut und neue Kraft. „Nun ists, schreibt er 1858, als käme plötzlich wieder
Leben und Wärme in mein Herz, und als würde ich noch einmal wieder ich
selber werden." Angenehmer Verkehr (besonders mit dem Landrat v. Wussow)
und der von ihm gegründete „Singverein" trugen dazu bei. Auch fand er das
schönste Glück in seinem eignen Hause. Ein treffliches Bild der schönen Frau
Konstanze ziert diesen Band Briefe; die Zeichnung rührt von dem Freunde
Ludwig Pietsch her; unvergessen wird es mir selbst bleiben, wie Storm mich
zuerst vor das Originalbild führte und mit innerer Bewegung sagte: „Wenn
sie ins Zimmer trat, war es, als ob Heller Sonnenschein hineindringe." In
diesen Briefen lesen wir die liebevolle Schilderung: „Je mehr die sinnlichen
Reize der Jugend vergeh«, entwickelt ihr Antlitz, namentlich wenn sie sich wohl
und heiter fühlt, eine zarte geistige Schönheit, daß selbst gleichaltrige Frauen
davon entzückt und hingerissen werden. Die seltne Einfachheit und Reinheit
ihres Wesens umgibt sie noch immer wie mit einer Atmosphäre der Jugend."
Auch die Kinder — drei Buben und drei Mädchen — lernt der Leser dieser
Briefe unlieben, denn der stolze Vater wird nicht müde, sie zu rühmen und
die köstlichsten Kinderaussprüche vorzuführen. Nur einer sei als Beispiel heraus¬
gehoben. Karl springt zum Ärger des Vaters wie ein Narr neben ihm her,
und er verweist ihm das. „Ach, Papa, sagte er, siehst du, ich singe so in
meinem Gemüte, da muß ich denn den Takt dazu tanzen." Er wurde denn
auch später Musiker und ein still in sich beglückter Mensch; er starb in dem
echten Künstlerwinkel eines reizenden Häuschens, in dem idyllischen Städtchen
Varel, gehegt und gepflegt von seiner liebevollen Schwester Gertrud.
Die letzten Briefe aus dem Jahre 1863 glühen in der Erwartung der
Dinge, die sich in der Heimat vorbereiteten."
Und halten wir mit ihnen die schönen Novellen „Abseits und „Unterm
Tannenbaum" und Gedichte wie „Gedenkst du noch?" zusammen, dann haben
wir die Grundstimmung der voraufgehenden Jahre mit ihrer Heimatsehnsucht.
Im November 1863 starb Friedrich der Siebente, und mit ihm starben die
Rechte, die der dänische König auf Schleswig-Holstein hatte. Da jubelt Storm:
Und wenn er selbst da noch nicht zu hoffen wagte, es wurde doch Wirklichkeit.
Im Februar 1864 wurde er in die Heimat als Landvogt von Husum zurück¬
gerufen! Trotz der großen Freude mußte er doch „sein Herz in beide Hände
fassen", als zum letztenmale der Singverein in Heiligenstadt unter seiner
Leitung im prächtigen Chor von mehr als fünfzig Sängern sein Lied erschallen
ließ. Und doch konnte er sich nicht der dunkeln Ahnung künftigen Unheils bei
dem Gedanken an das namenlose Glück der Heimkehr erwehren. „Wen von euch
soll ich dafür als Opfer geben?" klang es im Kreise seiner Lieben ihm durchs
Herz. Ein Jahr nach der Rückkehr starb Konstanze.
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