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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Theodor Storni in der Verbannung

Noch einmal lauscht er dem Mvwenschrei, dem Rauschen der Flut, mit seinem
Weibe und seinen Knaben und heißt sie noch einmal ins weite Land hinaus-
zllblicken und sich die Stätte einzuprägen/ auf deren Grund, wo sie auch weilten,
ihr Vaterhaus stünde --

Alles andre, ruft er seinem jüngsten Kinde zu, ist Lüge: "Kein Mann ge¬
deihet ohne Vaterland/'

Und so zog er in die Fremde, in die Verbannung.




Jn die Stimmung dieser Jahre der Verbannung (1853 bis 64) führen
uns die Briefe, die Storm an seine Eltern schrieb und die seine Tochter
Gertrud jüngst herausgegeben hat,*) in der trefflichsten und dankenswertesten
Weise ein. Nicht geistreich, nicht sensationell sind diese Briefe, sondern intim,
für alle die, die Storm schon kennen und lieben und sein Dichten aus seinem
innern und äußern Erleben zu deuten suchen. Wer das versteht, sieht tief in
das feinfühlige Dichterherz hinein, das unter dem Widerstreit zwischen Sehn¬
sucht und Wirklichkeit schwer zu leiden hatte. Wohl wurde er in der "Fremde"
von Gleichgesinnten freundlich aufgenommen, von Merckel, Kugler, Heyse,
Fontane, Pietsch; trefflich charakterisiert er Eichendorff. Doch die Fremdheit
der Verhältnisse, der juristische Mechanismus, der ein Netz von Millionen
Maschen über den Assessor am Potsdamer Kreisgericht warf, die Menge der
"abscheulichen" Akten, die ihn mit Arbeit überlasteten, die Enge der Wohnung,
die Kümmerlichkeit der finanziellen Verhältnisse, die bei dreijährigen Kommissorien
unablässige Unterstützungen des Vaters notwendig machten, und endlich auch
die Kränklichkeit wirkten zusammen, um diesen Potsdamer Jahren manche
Bitternis aufzudrücken. Das Heimweh, das durch die Briefe wie ein Grund¬
akkord hindurchklingt, hat etwas unendlich Rührendes. Immer wieder gehen
die Gedanken nach Husum, nach dem Garten mit dem Lusthause und dein Ahorn,
in dem die Spreen pfeifen; und wenn er den Knaben von seinem Krammets¬
vogelfang in Westermühlen (beim eignen Großvater) erzählt und die schönen
Herbsttage, das Bild der lieben, friedlichen Gegend, beschienen von warmem
Jugendsonnenschein, so lebhaft vor sein inneres Auge treten, dann weiß er sich
vor Heimweh und vor Schmerz über die trostlose Zukunft nicht zu lassen.
Aber als ein aufrechter Mann ist er sich doch gewiß, daß solche Stimmungen
ihn nicht unterkriegen werden. "Ich bin wohl weich, dafür auch aber zähe, und
fühle recht gut, daß wir, die wir hier draußen sind, nicht nur für uns, sondern
auch für unsre Heimat einzustehen haben und für uns selbst keine besondern
Ansprüche mehr ans Leben machen dürfen." Die Sehnsucht nach dem Leben



*) Theodor Storms Briefe in die Heimat aus den Jahren 1853 bis 64, herausgegeben von
G. Storm. Mit zwei Porträt-Bildnissen (Theodor Storm und Konstanze Storm). Berlin,
Karl Callus. -- Für eine zweite Auslage sind vermehrte Anmerkungen und ein Register
dringend wünschenswert.
Theodor Storni in der Verbannung

Noch einmal lauscht er dem Mvwenschrei, dem Rauschen der Flut, mit seinem
Weibe und seinen Knaben und heißt sie noch einmal ins weite Land hinaus-
zllblicken und sich die Stätte einzuprägen/ auf deren Grund, wo sie auch weilten,
ihr Vaterhaus stünde —

Alles andre, ruft er seinem jüngsten Kinde zu, ist Lüge: „Kein Mann ge¬
deihet ohne Vaterland/'

Und so zog er in die Fremde, in die Verbannung.




Jn die Stimmung dieser Jahre der Verbannung (1853 bis 64) führen
uns die Briefe, die Storm an seine Eltern schrieb und die seine Tochter
Gertrud jüngst herausgegeben hat,*) in der trefflichsten und dankenswertesten
Weise ein. Nicht geistreich, nicht sensationell sind diese Briefe, sondern intim,
für alle die, die Storm schon kennen und lieben und sein Dichten aus seinem
innern und äußern Erleben zu deuten suchen. Wer das versteht, sieht tief in
das feinfühlige Dichterherz hinein, das unter dem Widerstreit zwischen Sehn¬
sucht und Wirklichkeit schwer zu leiden hatte. Wohl wurde er in der „Fremde"
von Gleichgesinnten freundlich aufgenommen, von Merckel, Kugler, Heyse,
Fontane, Pietsch; trefflich charakterisiert er Eichendorff. Doch die Fremdheit
der Verhältnisse, der juristische Mechanismus, der ein Netz von Millionen
Maschen über den Assessor am Potsdamer Kreisgericht warf, die Menge der
„abscheulichen" Akten, die ihn mit Arbeit überlasteten, die Enge der Wohnung,
die Kümmerlichkeit der finanziellen Verhältnisse, die bei dreijährigen Kommissorien
unablässige Unterstützungen des Vaters notwendig machten, und endlich auch
die Kränklichkeit wirkten zusammen, um diesen Potsdamer Jahren manche
Bitternis aufzudrücken. Das Heimweh, das durch die Briefe wie ein Grund¬
akkord hindurchklingt, hat etwas unendlich Rührendes. Immer wieder gehen
die Gedanken nach Husum, nach dem Garten mit dem Lusthause und dein Ahorn,
in dem die Spreen pfeifen; und wenn er den Knaben von seinem Krammets¬
vogelfang in Westermühlen (beim eignen Großvater) erzählt und die schönen
Herbsttage, das Bild der lieben, friedlichen Gegend, beschienen von warmem
Jugendsonnenschein, so lebhaft vor sein inneres Auge treten, dann weiß er sich
vor Heimweh und vor Schmerz über die trostlose Zukunft nicht zu lassen.
Aber als ein aufrechter Mann ist er sich doch gewiß, daß solche Stimmungen
ihn nicht unterkriegen werden. „Ich bin wohl weich, dafür auch aber zähe, und
fühle recht gut, daß wir, die wir hier draußen sind, nicht nur für uns, sondern
auch für unsre Heimat einzustehen haben und für uns selbst keine besondern
Ansprüche mehr ans Leben machen dürfen." Die Sehnsucht nach dem Leben



*) Theodor Storms Briefe in die Heimat aus den Jahren 1853 bis 64, herausgegeben von
G. Storm. Mit zwei Porträt-Bildnissen (Theodor Storm und Konstanze Storm). Berlin,
Karl Callus. — Für eine zweite Auslage sind vermehrte Anmerkungen und ein Register
dringend wünschenswert.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/450>, abgerufen am 22.07.2024.