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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Theodor Storm in der Verbannung

Wie wahre Patrioten denken müssen und wie der Dichter selbst dachte, daß in
dem eignen Lande der Feind die Bundesgenossen fand, daß undeutsch dachten,

Am Neujahrstage 1851 wurde von den Dänen auf dem Kirchhofe zu
Husum ein Denkmal errichtet mit der Inschrift: "Den bei der heldenmütigen
Verteidigung von Friedrichstadt im Herbst 1850 gefallenen dänischen Kriegern
geweiht von Husums Einwohnern." Freilich war dieser Inschrift und des Be¬
lagerungszustandes ungeachtet nur ein einziger Husumer Bürger in dem Fest¬
zuge. Storm aber schrieb:

Und dieser Gedanke, daß wenigstens seinen Kindern oder Enkeln eine bessere
Zukunft erblühen könne, ja daß jene selbst mit tätig sein möchten an dem Bau
der Freiheit, richtet ihn immer wieder auf. So klingt durch das reizende
Familienidyll "Auf dem Segeberg"*), wo das Lenzgefühl mit dem Glücke, mit
dem Jubel über die Lust und den Frohsinn seiner Knaben so harmonisch zu¬
sammentönt, trotz all der Sorgen, die sein Herz bedrängen, doch immer wieder
die mutige Zuversicht hindurch; der Kinder Mund scheucht die Schatten hinweg,
und er sieht der geliebten Heimat Zukunft in dieser Augen Grund.

Seitdem die Fremden herrschten, war auch seines Bleibens im Lande nicht
mehr; es war dem Deutschgesinnten unerträglich, die verhaßte Sprache zu hören
und die übermütigen Feinde in den alten Häusern seiner Vertriebnen Freunde
aus- und eingehn zu sehen. Und da das dänische Regiment seine Gesinnung
kannte, wurde ihm die beim Thronwechsel nötige Bestätigung seiner Advokatur
versagt. Weihnachten 1852 weilt er in Berlin, um im preußischen Justiz-
dienste eine Stellung zu suchen.

Im November 1853 ist alles zur Abreise nach Potsdam bereit, wo Storm
eine Stellung als Assessor am Kammergericht erhalten hatte. Blutenden Herzens
steht er zum letztenmale vor seinem Hause:

Er ruft denen, die sich den Fremden fügen, zu:



*) Dieser liegt bei dem gleichnamigen holsteinischen Städtchen, wo Konstanze Esmarch,
Storms Frau, zu Hause war.
Grenzboten IV 1908 59
Theodor Storm in der Verbannung

Wie wahre Patrioten denken müssen und wie der Dichter selbst dachte, daß in
dem eignen Lande der Feind die Bundesgenossen fand, daß undeutsch dachten,

Am Neujahrstage 1851 wurde von den Dänen auf dem Kirchhofe zu
Husum ein Denkmal errichtet mit der Inschrift: „Den bei der heldenmütigen
Verteidigung von Friedrichstadt im Herbst 1850 gefallenen dänischen Kriegern
geweiht von Husums Einwohnern." Freilich war dieser Inschrift und des Be¬
lagerungszustandes ungeachtet nur ein einziger Husumer Bürger in dem Fest¬
zuge. Storm aber schrieb:

Und dieser Gedanke, daß wenigstens seinen Kindern oder Enkeln eine bessere
Zukunft erblühen könne, ja daß jene selbst mit tätig sein möchten an dem Bau
der Freiheit, richtet ihn immer wieder auf. So klingt durch das reizende
Familienidyll „Auf dem Segeberg"*), wo das Lenzgefühl mit dem Glücke, mit
dem Jubel über die Lust und den Frohsinn seiner Knaben so harmonisch zu¬
sammentönt, trotz all der Sorgen, die sein Herz bedrängen, doch immer wieder
die mutige Zuversicht hindurch; der Kinder Mund scheucht die Schatten hinweg,
und er sieht der geliebten Heimat Zukunft in dieser Augen Grund.

Seitdem die Fremden herrschten, war auch seines Bleibens im Lande nicht
mehr; es war dem Deutschgesinnten unerträglich, die verhaßte Sprache zu hören
und die übermütigen Feinde in den alten Häusern seiner Vertriebnen Freunde
aus- und eingehn zu sehen. Und da das dänische Regiment seine Gesinnung
kannte, wurde ihm die beim Thronwechsel nötige Bestätigung seiner Advokatur
versagt. Weihnachten 1852 weilt er in Berlin, um im preußischen Justiz-
dienste eine Stellung zu suchen.

Im November 1853 ist alles zur Abreise nach Potsdam bereit, wo Storm
eine Stellung als Assessor am Kammergericht erhalten hatte. Blutenden Herzens
steht er zum letztenmale vor seinem Hause:

Er ruft denen, die sich den Fremden fügen, zu:



*) Dieser liegt bei dem gleichnamigen holsteinischen Städtchen, wo Konstanze Esmarch,
Storms Frau, zu Hause war.
Grenzboten IV 1908 59
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[0449] Theodor Storm in der Verbannung Wie wahre Patrioten denken müssen und wie der Dichter selbst dachte, daß in dem eignen Lande der Feind die Bundesgenossen fand, daß undeutsch dachten, Am Neujahrstage 1851 wurde von den Dänen auf dem Kirchhofe zu Husum ein Denkmal errichtet mit der Inschrift: „Den bei der heldenmütigen Verteidigung von Friedrichstadt im Herbst 1850 gefallenen dänischen Kriegern geweiht von Husums Einwohnern." Freilich war dieser Inschrift und des Be¬ lagerungszustandes ungeachtet nur ein einziger Husumer Bürger in dem Fest¬ zuge. Storm aber schrieb: Und dieser Gedanke, daß wenigstens seinen Kindern oder Enkeln eine bessere Zukunft erblühen könne, ja daß jene selbst mit tätig sein möchten an dem Bau der Freiheit, richtet ihn immer wieder auf. So klingt durch das reizende Familienidyll „Auf dem Segeberg"*), wo das Lenzgefühl mit dem Glücke, mit dem Jubel über die Lust und den Frohsinn seiner Knaben so harmonisch zu¬ sammentönt, trotz all der Sorgen, die sein Herz bedrängen, doch immer wieder die mutige Zuversicht hindurch; der Kinder Mund scheucht die Schatten hinweg, und er sieht der geliebten Heimat Zukunft in dieser Augen Grund. Seitdem die Fremden herrschten, war auch seines Bleibens im Lande nicht mehr; es war dem Deutschgesinnten unerträglich, die verhaßte Sprache zu hören und die übermütigen Feinde in den alten Häusern seiner Vertriebnen Freunde aus- und eingehn zu sehen. Und da das dänische Regiment seine Gesinnung kannte, wurde ihm die beim Thronwechsel nötige Bestätigung seiner Advokatur versagt. Weihnachten 1852 weilt er in Berlin, um im preußischen Justiz- dienste eine Stellung zu suchen. Im November 1853 ist alles zur Abreise nach Potsdam bereit, wo Storm eine Stellung als Assessor am Kammergericht erhalten hatte. Blutenden Herzens steht er zum letztenmale vor seinem Hause: Er ruft denen, die sich den Fremden fügen, zu: *) Dieser liegt bei dem gleichnamigen holsteinischen Städtchen, wo Konstanze Esmarch, Storms Frau, zu Hause war. Grenzboten IV 1908 59

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/449>, abgerufen am 22.07.2024.