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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Theodor Storm in der Verbannung

und Charakteranlage Storms mit ihrem tiefen Empfinden für das Geheimnis¬
reiche und Ahnungsvolle, für Sinnen und Träumen, für Sage und Märchen,
für Phantastisches und Wunderbares zusammenfließt mit literarischen Einflüssen
der Romantiker, wie besonders Eichendorsfs und Hoffmanns. In der Novelle
kann man deutlich erkennen, wie er sich aus dem Weichen, Stimmungsreichen,
Dämmrigen der Resignation loslöst und sich dem Herbern Realismus zuwendet,
sodaß eine dramatisch bewegte, konfliktreiche Handlung in Tragik mündet. Man
übersieht jedoch gemeinhin in den Charakteristiken Storms, daß er in seiner Lyrik
schon sehr früh einen Stolz und eine Kraft, eine Männlichkeit und Rücksichts¬
losigkeit an den Tag legt, wie sie die Romantiker niemals erreicht haben.
Die schweren Schicksale seines Heimatlandes ließen Storm zum Manne reifen;
die Liebe zu Freiheit und Recht und der Zorn über die Unterdrücker gaben
seiner Lyrik Wucht und Gewalt und hoben ihn zu unsern besten Vaterlands¬
sängern empor. Mit Fug und Recht konnte er sich, als Mann und als Dichter,
seiner Heimat "treuesten Sohn" nennen. Mit mutig-trotzigen Liedern, die noch
viel zu wenig gekannt sind, begleitete er die trüben Schicksale des schleswig¬
holsteinischen Landes.

Die unselige Schlacht von Jdstedt (1850) hatte trotz allen Heldenmutes,
infolge der Unfähigkeit des Führers, statt des schon errungnen Sieges den
Kämpfern doch die Niederlage gebracht und die Herzogtümer, besonders
Schleswig, dem Hasse der Dünen überantwortet. Junige Klage um die Toten,
aber auch edle Begeisterung für ihre Tapferkeit bricht aus den Versen Storms
hervor: "Mit Kränzen haben wir das Grab geschmückt, die stille Wiege unsrer
Toten..." Er weiß, die deutsche Ehre ist fleckenlos in diesem Grabe ge¬
bettet, wenn auch das Schwert zerbrach. Ja, er beneidet die Toten, die nun
sanft, in den Armen des Todes, auf heimatlichen Kissen, ruhn. "Wir andern
aber, die wir übrig sind, wo werden wir im Elend sterben müssen?"

Trotz aller Not und Verzweiflung des Landes, trotz aller "Blütezeit der
Schufte" hält der Dichter jedoch fest am Zukunftglauben: "Es kann der echte
Keim des Lebens nicht ohne Frucht verloren gehn."

Idealismus und die Sehergabe eines Poeten gehörten freilich dazu, in
jenen trostlosen Tagen, "in dieser Zeit von Salz und Brot" noch das Ver¬
trauen zu bewahren und dem Dichter der Zukunft zuzujubeln, "der dann lebt
und aus dem offenen Schacht des Lebens den Edelstein der Dichtung hebt".
Nicht ein weicher Romantiker, nein ein trotziger, ganzer Mann stimmte in dem
trübseligen Herbst des Jahres 1850 das Lied an:

Er weiß es: ein treu besiegelt Testament wird den Enkeln hinterlassen, und der
Tag kann nicht fern sein, "wo diese deutsche Erde im Ring des großen Reiches
liegt". Doch die Schande bedrückt ihn, daß nicht alle zu jener Zeit so dachten,


Theodor Storm in der Verbannung

und Charakteranlage Storms mit ihrem tiefen Empfinden für das Geheimnis¬
reiche und Ahnungsvolle, für Sinnen und Träumen, für Sage und Märchen,
für Phantastisches und Wunderbares zusammenfließt mit literarischen Einflüssen
der Romantiker, wie besonders Eichendorsfs und Hoffmanns. In der Novelle
kann man deutlich erkennen, wie er sich aus dem Weichen, Stimmungsreichen,
Dämmrigen der Resignation loslöst und sich dem Herbern Realismus zuwendet,
sodaß eine dramatisch bewegte, konfliktreiche Handlung in Tragik mündet. Man
übersieht jedoch gemeinhin in den Charakteristiken Storms, daß er in seiner Lyrik
schon sehr früh einen Stolz und eine Kraft, eine Männlichkeit und Rücksichts¬
losigkeit an den Tag legt, wie sie die Romantiker niemals erreicht haben.
Die schweren Schicksale seines Heimatlandes ließen Storm zum Manne reifen;
die Liebe zu Freiheit und Recht und der Zorn über die Unterdrücker gaben
seiner Lyrik Wucht und Gewalt und hoben ihn zu unsern besten Vaterlands¬
sängern empor. Mit Fug und Recht konnte er sich, als Mann und als Dichter,
seiner Heimat „treuesten Sohn" nennen. Mit mutig-trotzigen Liedern, die noch
viel zu wenig gekannt sind, begleitete er die trüben Schicksale des schleswig¬
holsteinischen Landes.

Die unselige Schlacht von Jdstedt (1850) hatte trotz allen Heldenmutes,
infolge der Unfähigkeit des Führers, statt des schon errungnen Sieges den
Kämpfern doch die Niederlage gebracht und die Herzogtümer, besonders
Schleswig, dem Hasse der Dünen überantwortet. Junige Klage um die Toten,
aber auch edle Begeisterung für ihre Tapferkeit bricht aus den Versen Storms
hervor: „Mit Kränzen haben wir das Grab geschmückt, die stille Wiege unsrer
Toten..." Er weiß, die deutsche Ehre ist fleckenlos in diesem Grabe ge¬
bettet, wenn auch das Schwert zerbrach. Ja, er beneidet die Toten, die nun
sanft, in den Armen des Todes, auf heimatlichen Kissen, ruhn. „Wir andern
aber, die wir übrig sind, wo werden wir im Elend sterben müssen?"

Trotz aller Not und Verzweiflung des Landes, trotz aller „Blütezeit der
Schufte" hält der Dichter jedoch fest am Zukunftglauben: „Es kann der echte
Keim des Lebens nicht ohne Frucht verloren gehn."

Idealismus und die Sehergabe eines Poeten gehörten freilich dazu, in
jenen trostlosen Tagen, „in dieser Zeit von Salz und Brot" noch das Ver¬
trauen zu bewahren und dem Dichter der Zukunft zuzujubeln, „der dann lebt
und aus dem offenen Schacht des Lebens den Edelstein der Dichtung hebt".
Nicht ein weicher Romantiker, nein ein trotziger, ganzer Mann stimmte in dem
trübseligen Herbst des Jahres 1850 das Lied an:

Er weiß es: ein treu besiegelt Testament wird den Enkeln hinterlassen, und der
Tag kann nicht fern sein, „wo diese deutsche Erde im Ring des großen Reiches
liegt". Doch die Schande bedrückt ihn, daß nicht alle zu jener Zeit so dachten,


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[0448] Theodor Storm in der Verbannung und Charakteranlage Storms mit ihrem tiefen Empfinden für das Geheimnis¬ reiche und Ahnungsvolle, für Sinnen und Träumen, für Sage und Märchen, für Phantastisches und Wunderbares zusammenfließt mit literarischen Einflüssen der Romantiker, wie besonders Eichendorsfs und Hoffmanns. In der Novelle kann man deutlich erkennen, wie er sich aus dem Weichen, Stimmungsreichen, Dämmrigen der Resignation loslöst und sich dem Herbern Realismus zuwendet, sodaß eine dramatisch bewegte, konfliktreiche Handlung in Tragik mündet. Man übersieht jedoch gemeinhin in den Charakteristiken Storms, daß er in seiner Lyrik schon sehr früh einen Stolz und eine Kraft, eine Männlichkeit und Rücksichts¬ losigkeit an den Tag legt, wie sie die Romantiker niemals erreicht haben. Die schweren Schicksale seines Heimatlandes ließen Storm zum Manne reifen; die Liebe zu Freiheit und Recht und der Zorn über die Unterdrücker gaben seiner Lyrik Wucht und Gewalt und hoben ihn zu unsern besten Vaterlands¬ sängern empor. Mit Fug und Recht konnte er sich, als Mann und als Dichter, seiner Heimat „treuesten Sohn" nennen. Mit mutig-trotzigen Liedern, die noch viel zu wenig gekannt sind, begleitete er die trüben Schicksale des schleswig¬ holsteinischen Landes. Die unselige Schlacht von Jdstedt (1850) hatte trotz allen Heldenmutes, infolge der Unfähigkeit des Führers, statt des schon errungnen Sieges den Kämpfern doch die Niederlage gebracht und die Herzogtümer, besonders Schleswig, dem Hasse der Dünen überantwortet. Junige Klage um die Toten, aber auch edle Begeisterung für ihre Tapferkeit bricht aus den Versen Storms hervor: „Mit Kränzen haben wir das Grab geschmückt, die stille Wiege unsrer Toten..." Er weiß, die deutsche Ehre ist fleckenlos in diesem Grabe ge¬ bettet, wenn auch das Schwert zerbrach. Ja, er beneidet die Toten, die nun sanft, in den Armen des Todes, auf heimatlichen Kissen, ruhn. „Wir andern aber, die wir übrig sind, wo werden wir im Elend sterben müssen?" Trotz aller Not und Verzweiflung des Landes, trotz aller „Blütezeit der Schufte" hält der Dichter jedoch fest am Zukunftglauben: „Es kann der echte Keim des Lebens nicht ohne Frucht verloren gehn." Idealismus und die Sehergabe eines Poeten gehörten freilich dazu, in jenen trostlosen Tagen, „in dieser Zeit von Salz und Brot" noch das Ver¬ trauen zu bewahren und dem Dichter der Zukunft zuzujubeln, „der dann lebt und aus dem offenen Schacht des Lebens den Edelstein der Dichtung hebt". Nicht ein weicher Romantiker, nein ein trotziger, ganzer Mann stimmte in dem trübseligen Herbst des Jahres 1850 das Lied an: Er weiß es: ein treu besiegelt Testament wird den Enkeln hinterlassen, und der Tag kann nicht fern sein, „wo diese deutsche Erde im Ring des großen Reiches liegt". Doch die Schande bedrückt ihn, daß nicht alle zu jener Zeit so dachten,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/448>, abgerufen am 25.08.2024.