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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Das Theater als Airche

die folgenden zwei interessanten Äußerungen notiert. Georg Hermann hatte
in der genannten Wochenschrift "Zarathustra, eine lustige Frechheit in zwei
Akten" veröffentlicht. In einem Nachwort nun (Ur. 36 des Jahrgangs 1907)
berichtet er, das Stück sei 1896 als Tragödie in Angriff genommen worden,
habe sich dann in eine Tragikomödie verwandelt und sei schließlich als
Schwank ausgeführt worden. "Man mag meinen, daß diese Verschiebung eine
Steigerung zu lebensbejahender Freude ist ^bedeute!), aber sie wird bedingt
M verursacht worden) durch eine Erkenntnis, die viel trauriger ist als der
tragische Ernst, nämlich: daß die Tragödien der Bühne die schwanke des
Lebens sind. Solange wir noch an Tragödien und Schauspiele glauben, hat
uns das Leben noch nicht genug zwischen seinen Fingern zerrieben. Und
so lange wir noch an Tragödien und Schauspiele glauben, glauben wir auch
noch an die formalen Möglichkeiten des Theaters. Wenn wir aber geschmacks¬
reifer werden, erkennen wir auch, daß der Schwank die einzige Form ist,
unter der die Bühne -- minderwertig wie sie nun einmal ist -- ästhetisch
diskutabel erscheint. . . . Die schwanke und Lustspiele aber, die die Bühnen
beherrschen, sind mit wenigen Ausnahmen niedriger im geistigen Niveau,
harmloser und lebensfremder, ja für ein zu niedriges geistiges Niveau des
Zuschauers berechnet, als daß sie uns Unterhaltung oder Belustigung ge¬
währen könnten. sAlso auch das nicht einmal!) Der Schwank, die Posse,
die Farce für den Menschen von geistiger Kultur, die auch ihm ein Lächeln
abnötigt, fehlt, oder sie hat bei uns noch kein Bühnenrecht. Man ruft:
Shaw und Wedekind. Aber Shaw und Wedekind sind ferisse Leute. Wede¬
kind ist sogar für mich ein ganz unleidlicher sentimentaler Moralist." s?)

Karl Bleibtreu aber klagt in seinem "Briefe an einen literarischen Anfänger"
(am 29. Februar 1908), daß das größte aller Sprachgebiete, das deutsche
(er bringt durch Rechnung heraus, daß 55 Prozent der Bewohner Nord¬
amerikas deutscher Abkunft seien), das allergeringste geistige Genußbedürfnis
habe, wie der Bücherabsatz beweise. "Daß dem so ist, lehrt ferner die soziale
Stellung eines deutschen Autors im Vergleich mit der eines ausländischen.
Im allgemeinen kennt der Deutsche uur zwei Sorten von "geistiger" An¬
regung: die Presse und das Theater. Dieses, also das seichteste, oberfläch¬
lichste Amüsement, regiert in einen: Umfange, wovon man in andern Ländern
keine Ahnung hat. Dabei wird aber dieses Zirkusvergnügen mit ästhetischer
Weihe begossen, ein heuchlerisches Bildungsmäntelchen darübergehängt. Man
kann den Unfug, Poesiewerte nach Theatereindruck abzuschätzen, sofort durch
folgende Fragen entlarven: Hat ein Theater je mit historischen oder symbolistischen
Tragödien einen Erfolg erzielt? Nein. Kommen nicht neun Zehntel aller
Erfolge auf sogenannte Lustspiele und noch lieber auf Possen? Ja. Hat je
ein fein satirisches Lustspiel wie zum Beispiel Rüderers Fahnenweihe Erfolg
gehabt? Nein. Warum gefielen Sudermanns Stücke? Weil sie angeblich
moderne Tendenzkonslikte sensationell behandelten ses folgen noch fünf solche
Fragen). Alles, was über die gemeine Niedrigkeit der Dinge emporstrebe,


Das Theater als Airche

die folgenden zwei interessanten Äußerungen notiert. Georg Hermann hatte
in der genannten Wochenschrift „Zarathustra, eine lustige Frechheit in zwei
Akten" veröffentlicht. In einem Nachwort nun (Ur. 36 des Jahrgangs 1907)
berichtet er, das Stück sei 1896 als Tragödie in Angriff genommen worden,
habe sich dann in eine Tragikomödie verwandelt und sei schließlich als
Schwank ausgeführt worden. „Man mag meinen, daß diese Verschiebung eine
Steigerung zu lebensbejahender Freude ist ^bedeute!), aber sie wird bedingt
M verursacht worden) durch eine Erkenntnis, die viel trauriger ist als der
tragische Ernst, nämlich: daß die Tragödien der Bühne die schwanke des
Lebens sind. Solange wir noch an Tragödien und Schauspiele glauben, hat
uns das Leben noch nicht genug zwischen seinen Fingern zerrieben. Und
so lange wir noch an Tragödien und Schauspiele glauben, glauben wir auch
noch an die formalen Möglichkeiten des Theaters. Wenn wir aber geschmacks¬
reifer werden, erkennen wir auch, daß der Schwank die einzige Form ist,
unter der die Bühne — minderwertig wie sie nun einmal ist — ästhetisch
diskutabel erscheint. . . . Die schwanke und Lustspiele aber, die die Bühnen
beherrschen, sind mit wenigen Ausnahmen niedriger im geistigen Niveau,
harmloser und lebensfremder, ja für ein zu niedriges geistiges Niveau des
Zuschauers berechnet, als daß sie uns Unterhaltung oder Belustigung ge¬
währen könnten. sAlso auch das nicht einmal!) Der Schwank, die Posse,
die Farce für den Menschen von geistiger Kultur, die auch ihm ein Lächeln
abnötigt, fehlt, oder sie hat bei uns noch kein Bühnenrecht. Man ruft:
Shaw und Wedekind. Aber Shaw und Wedekind sind ferisse Leute. Wede¬
kind ist sogar für mich ein ganz unleidlicher sentimentaler Moralist." s?)

Karl Bleibtreu aber klagt in seinem „Briefe an einen literarischen Anfänger"
(am 29. Februar 1908), daß das größte aller Sprachgebiete, das deutsche
(er bringt durch Rechnung heraus, daß 55 Prozent der Bewohner Nord¬
amerikas deutscher Abkunft seien), das allergeringste geistige Genußbedürfnis
habe, wie der Bücherabsatz beweise. „Daß dem so ist, lehrt ferner die soziale
Stellung eines deutschen Autors im Vergleich mit der eines ausländischen.
Im allgemeinen kennt der Deutsche uur zwei Sorten von »geistiger« An¬
regung: die Presse und das Theater. Dieses, also das seichteste, oberfläch¬
lichste Amüsement, regiert in einen: Umfange, wovon man in andern Ländern
keine Ahnung hat. Dabei wird aber dieses Zirkusvergnügen mit ästhetischer
Weihe begossen, ein heuchlerisches Bildungsmäntelchen darübergehängt. Man
kann den Unfug, Poesiewerte nach Theatereindruck abzuschätzen, sofort durch
folgende Fragen entlarven: Hat ein Theater je mit historischen oder symbolistischen
Tragödien einen Erfolg erzielt? Nein. Kommen nicht neun Zehntel aller
Erfolge auf sogenannte Lustspiele und noch lieber auf Possen? Ja. Hat je
ein fein satirisches Lustspiel wie zum Beispiel Rüderers Fahnenweihe Erfolg
gehabt? Nein. Warum gefielen Sudermanns Stücke? Weil sie angeblich
moderne Tendenzkonslikte sensationell behandelten ses folgen noch fünf solche
Fragen). Alles, was über die gemeine Niedrigkeit der Dinge emporstrebe,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/446>, abgerufen am 22.07.2024.