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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Bismarck und Thiers als Unterhändler

manne. Dieser verzögerte den Abschluß auch dadurch, daß er nach unaufhör¬
lichem Hin- und Herreden, wobei er eine unglaubliche Unwissenheit in der Erd¬
kunde offenbarte, eine neue Fassung gewisser Bestimmungen verlangte, die inhaltlich
ganz mit dem deutschen Vorschlage übereinstimmte. Auch da, wo er grundsätzlich
nachgegeben hatte, "zerrte er mit seinem quengelnden, unpraktischen Wesen noch
hin und her". Wie stürmisch dadurch die Verhandlungen wurden, das ergibt
sich zwar auch aus französischen, besonders deutlich jedoch aus einigen*) deutschen
Berichten. Zu größter Schroffheit nahm Bismarck schließlich seine Zuflucht.
"Wir kommen nicht vom Fleck. Ich muß Sie bitten, mir mit einfachen Gegen¬
vorschlägen zu antworten." "Aber man muß sie doch begründen." "Nein,
das müssen Sie mir schon zutrauen, daß ich die Gründe selbst erkenne. Über¬
haupt muß ich Sie ersuchen, Ihre Worte mehr in der Gewalt zu haben und
sich verletzender Reden zu enthalten. Sie sind Herren von Frankreich und ganz
unumschränkt. Ich dagegen bin an meine Instruktionen gebunden; an Ihnen
also ist es milder zu sein, während ich genötigt bin, die Befehle meines Herrn
genau zu erfüllen. Sie wissen, daß wir Montag zu schießen anfangen, wenn
wir bis dahin nicht fertig sind, und diese Sprache werden Sie wohl verstehn.
Wir sitzen heute schon neun Stunden und werden nicht fertig; das verträgt
meine Gesundheit nicht." "Aber Herr Graf, aber Herr Graf."

Als der Nedekampf immer weiter währte, machte ihm Bismarck schließlich
dadurch ein Ende, daß er erklärte, seine Bedingungen seien ein Ultimatum; er
würde von jetzt an deutsch sprechen, und die Herren möchten sich morgen einen
Dolmetscher mitbringen. Darauf "große Verzweiflung". Favre lief im Zimmer
umher; Thiers sagte kein Wort mehr, sondern eilte zu einem Tische, ließ die
Feder rasch über das Papier gleiten und hielt dann dem Kanzler einen Zettel
hin, auf dem er das gewünschte Zugeständnis niedergeschrieben hatte; er fragte
nur: Lst-os osla eg.it- votrs Mg-irs? ?g.reale"insnt>, erwiderte Bismarck,
und darauf "ging alles wieder in Ordnung fort". Aus dieser Szene erklärte
der Kanzler selbst das von den beiden Franzosen über ihn abgegebne Urteil:
tü'est un kier vardare. Die Verhandlungen kamen deshalb noch nicht zum
Abschluß, weil sich Thiers nochmals über die Art und Weise der Zahlung in
Verbindung mit dem allmählichen Aufgeben der deutschen Okkupation und über
andre Fragen der Art in Paris beraten wollte.

Am Abend dieses Tages schrieb Abeken: "Der Minister war so herunter, wie
ich ihn kaum gesehen, selbst in den schlimmsten Zeiten. Er hat mich tief gedauert; und
der König, dem ich ein Bild davon zu geben hatte, ließ ihm auch seine herzlichste
Teilnahme ausdrücken. Todmüde, wie er nun ist, kann er nun doch nicht schlafen - - -
Morgen kommen Thiers und Favre schon um elf Uhr wieder. Nun, er muß
sich zum Troste sagen, daß er in einer tausendmal bessern Lage ist als diese



*) Stosch, Denkwürdigkeiten, S. 237. Hohenlohe, Denkwürdigkeiten II, S, 57. Vgl. auch
Favre III, S. 113, Sorel II, S, 247,
Bismarck und Thiers als Unterhändler

manne. Dieser verzögerte den Abschluß auch dadurch, daß er nach unaufhör¬
lichem Hin- und Herreden, wobei er eine unglaubliche Unwissenheit in der Erd¬
kunde offenbarte, eine neue Fassung gewisser Bestimmungen verlangte, die inhaltlich
ganz mit dem deutschen Vorschlage übereinstimmte. Auch da, wo er grundsätzlich
nachgegeben hatte, „zerrte er mit seinem quengelnden, unpraktischen Wesen noch
hin und her". Wie stürmisch dadurch die Verhandlungen wurden, das ergibt
sich zwar auch aus französischen, besonders deutlich jedoch aus einigen*) deutschen
Berichten. Zu größter Schroffheit nahm Bismarck schließlich seine Zuflucht.
„Wir kommen nicht vom Fleck. Ich muß Sie bitten, mir mit einfachen Gegen¬
vorschlägen zu antworten." „Aber man muß sie doch begründen." „Nein,
das müssen Sie mir schon zutrauen, daß ich die Gründe selbst erkenne. Über¬
haupt muß ich Sie ersuchen, Ihre Worte mehr in der Gewalt zu haben und
sich verletzender Reden zu enthalten. Sie sind Herren von Frankreich und ganz
unumschränkt. Ich dagegen bin an meine Instruktionen gebunden; an Ihnen
also ist es milder zu sein, während ich genötigt bin, die Befehle meines Herrn
genau zu erfüllen. Sie wissen, daß wir Montag zu schießen anfangen, wenn
wir bis dahin nicht fertig sind, und diese Sprache werden Sie wohl verstehn.
Wir sitzen heute schon neun Stunden und werden nicht fertig; das verträgt
meine Gesundheit nicht." „Aber Herr Graf, aber Herr Graf."

Als der Nedekampf immer weiter währte, machte ihm Bismarck schließlich
dadurch ein Ende, daß er erklärte, seine Bedingungen seien ein Ultimatum; er
würde von jetzt an deutsch sprechen, und die Herren möchten sich morgen einen
Dolmetscher mitbringen. Darauf „große Verzweiflung". Favre lief im Zimmer
umher; Thiers sagte kein Wort mehr, sondern eilte zu einem Tische, ließ die
Feder rasch über das Papier gleiten und hielt dann dem Kanzler einen Zettel
hin, auf dem er das gewünschte Zugeständnis niedergeschrieben hatte; er fragte
nur: Lst-os osla eg.it- votrs Mg-irs? ?g.reale«insnt>, erwiderte Bismarck,
und darauf „ging alles wieder in Ordnung fort". Aus dieser Szene erklärte
der Kanzler selbst das von den beiden Franzosen über ihn abgegebne Urteil:
tü'est un kier vardare. Die Verhandlungen kamen deshalb noch nicht zum
Abschluß, weil sich Thiers nochmals über die Art und Weise der Zahlung in
Verbindung mit dem allmählichen Aufgeben der deutschen Okkupation und über
andre Fragen der Art in Paris beraten wollte.

Am Abend dieses Tages schrieb Abeken: „Der Minister war so herunter, wie
ich ihn kaum gesehen, selbst in den schlimmsten Zeiten. Er hat mich tief gedauert; und
der König, dem ich ein Bild davon zu geben hatte, ließ ihm auch seine herzlichste
Teilnahme ausdrücken. Todmüde, wie er nun ist, kann er nun doch nicht schlafen - - -
Morgen kommen Thiers und Favre schon um elf Uhr wieder. Nun, er muß
sich zum Troste sagen, daß er in einer tausendmal bessern Lage ist als diese



*) Stosch, Denkwürdigkeiten, S. 237. Hohenlohe, Denkwürdigkeiten II, S, 57. Vgl. auch
Favre III, S. 113, Sorel II, S, 247,
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[0432] Bismarck und Thiers als Unterhändler manne. Dieser verzögerte den Abschluß auch dadurch, daß er nach unaufhör¬ lichem Hin- und Herreden, wobei er eine unglaubliche Unwissenheit in der Erd¬ kunde offenbarte, eine neue Fassung gewisser Bestimmungen verlangte, die inhaltlich ganz mit dem deutschen Vorschlage übereinstimmte. Auch da, wo er grundsätzlich nachgegeben hatte, „zerrte er mit seinem quengelnden, unpraktischen Wesen noch hin und her". Wie stürmisch dadurch die Verhandlungen wurden, das ergibt sich zwar auch aus französischen, besonders deutlich jedoch aus einigen*) deutschen Berichten. Zu größter Schroffheit nahm Bismarck schließlich seine Zuflucht. „Wir kommen nicht vom Fleck. Ich muß Sie bitten, mir mit einfachen Gegen¬ vorschlägen zu antworten." „Aber man muß sie doch begründen." „Nein, das müssen Sie mir schon zutrauen, daß ich die Gründe selbst erkenne. Über¬ haupt muß ich Sie ersuchen, Ihre Worte mehr in der Gewalt zu haben und sich verletzender Reden zu enthalten. Sie sind Herren von Frankreich und ganz unumschränkt. Ich dagegen bin an meine Instruktionen gebunden; an Ihnen also ist es milder zu sein, während ich genötigt bin, die Befehle meines Herrn genau zu erfüllen. Sie wissen, daß wir Montag zu schießen anfangen, wenn wir bis dahin nicht fertig sind, und diese Sprache werden Sie wohl verstehn. Wir sitzen heute schon neun Stunden und werden nicht fertig; das verträgt meine Gesundheit nicht." „Aber Herr Graf, aber Herr Graf." Als der Nedekampf immer weiter währte, machte ihm Bismarck schließlich dadurch ein Ende, daß er erklärte, seine Bedingungen seien ein Ultimatum; er würde von jetzt an deutsch sprechen, und die Herren möchten sich morgen einen Dolmetscher mitbringen. Darauf „große Verzweiflung". Favre lief im Zimmer umher; Thiers sagte kein Wort mehr, sondern eilte zu einem Tische, ließ die Feder rasch über das Papier gleiten und hielt dann dem Kanzler einen Zettel hin, auf dem er das gewünschte Zugeständnis niedergeschrieben hatte; er fragte nur: Lst-os osla eg.it- votrs Mg-irs? ?g.reale«insnt>, erwiderte Bismarck, und darauf „ging alles wieder in Ordnung fort". Aus dieser Szene erklärte der Kanzler selbst das von den beiden Franzosen über ihn abgegebne Urteil: tü'est un kier vardare. Die Verhandlungen kamen deshalb noch nicht zum Abschluß, weil sich Thiers nochmals über die Art und Weise der Zahlung in Verbindung mit dem allmählichen Aufgeben der deutschen Okkupation und über andre Fragen der Art in Paris beraten wollte. Am Abend dieses Tages schrieb Abeken: „Der Minister war so herunter, wie ich ihn kaum gesehen, selbst in den schlimmsten Zeiten. Er hat mich tief gedauert; und der König, dem ich ein Bild davon zu geben hatte, ließ ihm auch seine herzlichste Teilnahme ausdrücken. Todmüde, wie er nun ist, kann er nun doch nicht schlafen - - - Morgen kommen Thiers und Favre schon um elf Uhr wieder. Nun, er muß sich zum Troste sagen, daß er in einer tausendmal bessern Lage ist als diese *) Stosch, Denkwürdigkeiten, S. 237. Hohenlohe, Denkwürdigkeiten II, S, 57. Vgl. auch Favre III, S. 113, Sorel II, S, 247,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/432>, abgerufen am 22.07.2024.