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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Bismarck und Thiers als Unterhändler

doch Bismarck griff sie mit gewohnter Tatkraft und "am rechten Ende" an: er
schlug Konferenzen vor betreffs Revision des Pariser Vertrages. Sie begannen
in London am 17. Januar. Am 20. fragte die englische Regierung bei Bismarck
an, ob er zu Friedensverhandlungen geneigt sei, und an demselben Tage äußerte
General Trochu, der Befehlshaber von Paris, das Verlangen nach einem Waffen¬
stillstande. Bismarck war gerade im Begriffe, sich dem frühern napoleonischen
Minister Duvernoy zu nähern, der ein Einverständnis zwischen der Kaiserin
Eugenie und ihrem Gemahl zustande gebracht hatte. Es mußte also die Ent¬
scheidung darüber fallen, ob die Friedenspräliminarien mit der Republik oder
mit den Vertretern Napoleons zu eröffnen waren. Von der Verantwortlichkeit,
die aus dem Kanzler bei diesem Höhepunkte seiner Aufgabe lastete, kann man,
wie Lorenz (S. 519) sagt, nur schwer ein sichres Bild gewinnen. Gerade in
dem Punkte zeigte sich "seine ungeheure Überlegenheit in der Beurteilung der
schwierigsten politischen Lagen, daß er im richtigsten Augenblick in rascher Ent¬
schlossenheit jenen günstigsten Fall zu ergreifen wußte, der ein alle Erwartungen
übertreffendes Ergebnis für Deutschland hervorgebracht hat". Vergessen wir aber
nicht, daß bei den gegeneinander wirkenden Strömungen, wo es galt, den so
verschiedengearteten Persönlichkeiten gerecht zu werden, Wilhelm der Erste schließlich
stets auf die Seite seines Reichskanzlers trat, der jetzt den Grundsatz zur Geltung
brachte: ve<ig,ut arms. toZae. Bismarck war übrigens nach Roons Äußerung
in einem Briefe vom 21. Januar "kränker als er selbst und andre glauben,
daher häufig verstimmt und in gewissen Punkten sehr gereizt".

Favre mußte sich also schweren Herzens zum abermaligen Gange ins deutsche
Hauptquartier entschließen, um die im November abgebrochnen Verhandlungen
wiederaufzunehmen. Am 23. Januar erfolgte seine "alles elektrisierende" *) An¬
kunft in Versailles, und die Unterhandlungen wegen der Kapitulation von Paris
und des Friedensschlusses begannen. Sie sind, wie sich jetzt nachweisen läßt,
in den französischen Berichten pathetisch ausgeschmückt, auch in den häufig ge-
lesnen des Grafen Herisson, der als Ordonnanzoffizier Trochus Favre begleitete.
Sehr bezeichnend ist der Vergleich, den er in bezug auf Bismarck zieht: er kam
ihm einigemale, als die Verhandlungen vorübergehend in ein stilleres Fahr¬
wasser glitten, wie ein Löwe vor. der ruhend schnurrt, gleich einer Katze, die
man streichelt. Der Reichskanzler ließ nun von Anfang an darüber keinen
Zweifel, daß die deutsche Diplomatie jetzt unbedingt den kürzesten und sichersten
Weg zum Frieden betreten und unter Umstünden mit Napoleon abschließen würde;
der Bemerkung Favres, die Zurückführung des Kaisers entflamme den Widerstand
des Volkes, setzte Bismarck den Hinweis darauf entgegen, daß der Bürgerkrieg
in Frankreich den Deutschen nicht schaden könne. Erst am 28. Januar fiel die
vorläufige Entscheidung: Paris kapitulierte, alle Forts wurden den Deutschen



*) So schreibt der Vorleser des Kaisers, der Geheime Hofrat Schneider (Aus dem Leben
Kaiser Wilhelms. Berlin, 1883. III, S, 160); über Thiers teilt er nichts Bemerkenswertes mit.
Bismarck und Thiers als Unterhändler

doch Bismarck griff sie mit gewohnter Tatkraft und „am rechten Ende" an: er
schlug Konferenzen vor betreffs Revision des Pariser Vertrages. Sie begannen
in London am 17. Januar. Am 20. fragte die englische Regierung bei Bismarck
an, ob er zu Friedensverhandlungen geneigt sei, und an demselben Tage äußerte
General Trochu, der Befehlshaber von Paris, das Verlangen nach einem Waffen¬
stillstande. Bismarck war gerade im Begriffe, sich dem frühern napoleonischen
Minister Duvernoy zu nähern, der ein Einverständnis zwischen der Kaiserin
Eugenie und ihrem Gemahl zustande gebracht hatte. Es mußte also die Ent¬
scheidung darüber fallen, ob die Friedenspräliminarien mit der Republik oder
mit den Vertretern Napoleons zu eröffnen waren. Von der Verantwortlichkeit,
die aus dem Kanzler bei diesem Höhepunkte seiner Aufgabe lastete, kann man,
wie Lorenz (S. 519) sagt, nur schwer ein sichres Bild gewinnen. Gerade in
dem Punkte zeigte sich „seine ungeheure Überlegenheit in der Beurteilung der
schwierigsten politischen Lagen, daß er im richtigsten Augenblick in rascher Ent¬
schlossenheit jenen günstigsten Fall zu ergreifen wußte, der ein alle Erwartungen
übertreffendes Ergebnis für Deutschland hervorgebracht hat". Vergessen wir aber
nicht, daß bei den gegeneinander wirkenden Strömungen, wo es galt, den so
verschiedengearteten Persönlichkeiten gerecht zu werden, Wilhelm der Erste schließlich
stets auf die Seite seines Reichskanzlers trat, der jetzt den Grundsatz zur Geltung
brachte: ve<ig,ut arms. toZae. Bismarck war übrigens nach Roons Äußerung
in einem Briefe vom 21. Januar „kränker als er selbst und andre glauben,
daher häufig verstimmt und in gewissen Punkten sehr gereizt".

Favre mußte sich also schweren Herzens zum abermaligen Gange ins deutsche
Hauptquartier entschließen, um die im November abgebrochnen Verhandlungen
wiederaufzunehmen. Am 23. Januar erfolgte seine „alles elektrisierende" *) An¬
kunft in Versailles, und die Unterhandlungen wegen der Kapitulation von Paris
und des Friedensschlusses begannen. Sie sind, wie sich jetzt nachweisen läßt,
in den französischen Berichten pathetisch ausgeschmückt, auch in den häufig ge-
lesnen des Grafen Herisson, der als Ordonnanzoffizier Trochus Favre begleitete.
Sehr bezeichnend ist der Vergleich, den er in bezug auf Bismarck zieht: er kam
ihm einigemale, als die Verhandlungen vorübergehend in ein stilleres Fahr¬
wasser glitten, wie ein Löwe vor. der ruhend schnurrt, gleich einer Katze, die
man streichelt. Der Reichskanzler ließ nun von Anfang an darüber keinen
Zweifel, daß die deutsche Diplomatie jetzt unbedingt den kürzesten und sichersten
Weg zum Frieden betreten und unter Umstünden mit Napoleon abschließen würde;
der Bemerkung Favres, die Zurückführung des Kaisers entflamme den Widerstand
des Volkes, setzte Bismarck den Hinweis darauf entgegen, daß der Bürgerkrieg
in Frankreich den Deutschen nicht schaden könne. Erst am 28. Januar fiel die
vorläufige Entscheidung: Paris kapitulierte, alle Forts wurden den Deutschen



*) So schreibt der Vorleser des Kaisers, der Geheime Hofrat Schneider (Aus dem Leben
Kaiser Wilhelms. Berlin, 1883. III, S, 160); über Thiers teilt er nichts Bemerkenswertes mit.
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[0426] Bismarck und Thiers als Unterhändler doch Bismarck griff sie mit gewohnter Tatkraft und „am rechten Ende" an: er schlug Konferenzen vor betreffs Revision des Pariser Vertrages. Sie begannen in London am 17. Januar. Am 20. fragte die englische Regierung bei Bismarck an, ob er zu Friedensverhandlungen geneigt sei, und an demselben Tage äußerte General Trochu, der Befehlshaber von Paris, das Verlangen nach einem Waffen¬ stillstande. Bismarck war gerade im Begriffe, sich dem frühern napoleonischen Minister Duvernoy zu nähern, der ein Einverständnis zwischen der Kaiserin Eugenie und ihrem Gemahl zustande gebracht hatte. Es mußte also die Ent¬ scheidung darüber fallen, ob die Friedenspräliminarien mit der Republik oder mit den Vertretern Napoleons zu eröffnen waren. Von der Verantwortlichkeit, die aus dem Kanzler bei diesem Höhepunkte seiner Aufgabe lastete, kann man, wie Lorenz (S. 519) sagt, nur schwer ein sichres Bild gewinnen. Gerade in dem Punkte zeigte sich „seine ungeheure Überlegenheit in der Beurteilung der schwierigsten politischen Lagen, daß er im richtigsten Augenblick in rascher Ent¬ schlossenheit jenen günstigsten Fall zu ergreifen wußte, der ein alle Erwartungen übertreffendes Ergebnis für Deutschland hervorgebracht hat". Vergessen wir aber nicht, daß bei den gegeneinander wirkenden Strömungen, wo es galt, den so verschiedengearteten Persönlichkeiten gerecht zu werden, Wilhelm der Erste schließlich stets auf die Seite seines Reichskanzlers trat, der jetzt den Grundsatz zur Geltung brachte: ve<ig,ut arms. toZae. Bismarck war übrigens nach Roons Äußerung in einem Briefe vom 21. Januar „kränker als er selbst und andre glauben, daher häufig verstimmt und in gewissen Punkten sehr gereizt". Favre mußte sich also schweren Herzens zum abermaligen Gange ins deutsche Hauptquartier entschließen, um die im November abgebrochnen Verhandlungen wiederaufzunehmen. Am 23. Januar erfolgte seine „alles elektrisierende" *) An¬ kunft in Versailles, und die Unterhandlungen wegen der Kapitulation von Paris und des Friedensschlusses begannen. Sie sind, wie sich jetzt nachweisen läßt, in den französischen Berichten pathetisch ausgeschmückt, auch in den häufig ge- lesnen des Grafen Herisson, der als Ordonnanzoffizier Trochus Favre begleitete. Sehr bezeichnend ist der Vergleich, den er in bezug auf Bismarck zieht: er kam ihm einigemale, als die Verhandlungen vorübergehend in ein stilleres Fahr¬ wasser glitten, wie ein Löwe vor. der ruhend schnurrt, gleich einer Katze, die man streichelt. Der Reichskanzler ließ nun von Anfang an darüber keinen Zweifel, daß die deutsche Diplomatie jetzt unbedingt den kürzesten und sichersten Weg zum Frieden betreten und unter Umstünden mit Napoleon abschließen würde; der Bemerkung Favres, die Zurückführung des Kaisers entflamme den Widerstand des Volkes, setzte Bismarck den Hinweis darauf entgegen, daß der Bürgerkrieg in Frankreich den Deutschen nicht schaden könne. Erst am 28. Januar fiel die vorläufige Entscheidung: Paris kapitulierte, alle Forts wurden den Deutschen *) So schreibt der Vorleser des Kaisers, der Geheime Hofrat Schneider (Aus dem Leben Kaiser Wilhelms. Berlin, 1883. III, S, 160); über Thiers teilt er nichts Bemerkenswertes mit.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/426>, abgerufen am 22.07.2024.