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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Der Internationale Tclegraxhenverein

mit den Linien der Nachbarstaaten führte - in Oderberg. Bodenbach. Leipzig.
Hof. Salzburg befanden sich gemeinschaftliche Grenzstationen -. aber die Tele¬
gramme konnten hier nicht durchtelegraphiert werden, weil jeder Staat andre
Apparatsysteme benutzte und andre Betriebsweisen hatte. Der im Jahre 1850
gegründete Deutsch-Österreichische Tclegraphcnverein schaffte zunächst wenigstens
in dem deutschen Staatenbunde klare, übersichtliche Verhältnisse, übereinstimmende
Normen in den Betriebsmitteln und in der Handhabung des Dienstes. Diese
Gründung und der in demselben Jahre errichtete Deutsch-Osterreichische Post-
Verein bildeten den Übergang aus der Zersplitterung deutscher Verkehrsverhältnisse
zur Einheit. Lange bevor die politische Einheit verwirklicht wurde, schufen sie
die Grundlagen für die bis dahin unbekannte Gebietsgemeinschaft. Wurde hier
das auf freie Entwicklung hingewiesene Verkehrswesen von den lästigen Hemm¬
nissen befreit, die sich aus der Zerrissenheit deutscher Staatenbildung ergaben,
so konnte es andrerseits nicht ausbleiben, daß der deutsch-österreichischen Ver¬
einigung, die zum erstenmal die Möglichkeit und Zweckmäßigkeit gemeinsamer
Institutionen auf internationalen Gebieten nachwies, weitere, größere Zusammen¬
schlüsse folgten, die dem gesamten Telegraphenverkehr die Formen der Einheit
und freien Bewegung gaben. Im Jahre 1852 folgten dem deutschen Vorgehn
die romanischen Staaten, die eine besondre Vereinsgruppe bildeten. Aus beiden
Vereinen ging dann 1865 in Paris der Internationale Telegraphenverband
hervor, der in einem einzigen, ganz Europa umfassenden Vertrage den inter-
nationalen Telegraphenverkehr einheitlich regelte und pflegte.

Das schwierigste Problem internationaler Vereinbarung ist von Anfang
°n die Tariffrage gewesen. Heute, wo wir für 50 Pfennige durch ganz Deutschland
und Österreich-Ungarn, für 1 Mark durch ganz Europa telegraphieren können,
überkommt uns fast ein Grauen, wenn wir den ersten Telegraphentarif zur
Hand nehmen und daraus ersehn, daß ein einfaches Telegramm von Berlin
nach Aachen 5 Taler 6 Silbergroschen kostete. Als man die Benutzung der
elektrischen Telegraphen dem Publikum freigab, war die Telegraphie noch so
neu. daß man auf dem ganzen europäischen Festlande über die Folgen dieser
Maßnahme im unklaren war. Während die einen die Möglichkeit und Rentabilität
eines privaten Telegrammverkehrs überhaupt bezweifelten, drängten die andern
nach weitgehender Freiheit und Billigkeit. Ein Anhalt, in welchem Maße das
Publikum von der neuen, in ihren Wirkungen noch unbekannten Einrichtung
Gebrauch machen würde, fehlte ganz. In den maßgebenden Regierungskre'sen
wurde der Grundsatz aufgestellt, den Tarif so festzusetzen, daß die Einnahmen
nicht nur die Betriebs- und Unterhaltungskosten decken, sondern in absehbarer
Zeit auch das Anlagekapital amortisieren sollten. So kam man nach mancherlei
Berechnungen innerhalb des Deutsch-Österreichischen Telegraphenvereins zu dem
Beschluß, die Gebühr nach der Gesamtlänge der zu durchlaufenden Telegraphen¬
linien und der Zahl der Wörter zu erheben. Nach diesem Tarif war zum Beispiel
für ein Telegramm von 51 Wörtern auf eine Entfernung von mehr als 70 bis


Der Internationale Tclegraxhenverein

mit den Linien der Nachbarstaaten führte - in Oderberg. Bodenbach. Leipzig.
Hof. Salzburg befanden sich gemeinschaftliche Grenzstationen -. aber die Tele¬
gramme konnten hier nicht durchtelegraphiert werden, weil jeder Staat andre
Apparatsysteme benutzte und andre Betriebsweisen hatte. Der im Jahre 1850
gegründete Deutsch-Österreichische Tclegraphcnverein schaffte zunächst wenigstens
in dem deutschen Staatenbunde klare, übersichtliche Verhältnisse, übereinstimmende
Normen in den Betriebsmitteln und in der Handhabung des Dienstes. Diese
Gründung und der in demselben Jahre errichtete Deutsch-Osterreichische Post-
Verein bildeten den Übergang aus der Zersplitterung deutscher Verkehrsverhältnisse
zur Einheit. Lange bevor die politische Einheit verwirklicht wurde, schufen sie
die Grundlagen für die bis dahin unbekannte Gebietsgemeinschaft. Wurde hier
das auf freie Entwicklung hingewiesene Verkehrswesen von den lästigen Hemm¬
nissen befreit, die sich aus der Zerrissenheit deutscher Staatenbildung ergaben,
so konnte es andrerseits nicht ausbleiben, daß der deutsch-österreichischen Ver¬
einigung, die zum erstenmal die Möglichkeit und Zweckmäßigkeit gemeinsamer
Institutionen auf internationalen Gebieten nachwies, weitere, größere Zusammen¬
schlüsse folgten, die dem gesamten Telegraphenverkehr die Formen der Einheit
und freien Bewegung gaben. Im Jahre 1852 folgten dem deutschen Vorgehn
die romanischen Staaten, die eine besondre Vereinsgruppe bildeten. Aus beiden
Vereinen ging dann 1865 in Paris der Internationale Telegraphenverband
hervor, der in einem einzigen, ganz Europa umfassenden Vertrage den inter-
nationalen Telegraphenverkehr einheitlich regelte und pflegte.

Das schwierigste Problem internationaler Vereinbarung ist von Anfang
°n die Tariffrage gewesen. Heute, wo wir für 50 Pfennige durch ganz Deutschland
und Österreich-Ungarn, für 1 Mark durch ganz Europa telegraphieren können,
überkommt uns fast ein Grauen, wenn wir den ersten Telegraphentarif zur
Hand nehmen und daraus ersehn, daß ein einfaches Telegramm von Berlin
nach Aachen 5 Taler 6 Silbergroschen kostete. Als man die Benutzung der
elektrischen Telegraphen dem Publikum freigab, war die Telegraphie noch so
neu. daß man auf dem ganzen europäischen Festlande über die Folgen dieser
Maßnahme im unklaren war. Während die einen die Möglichkeit und Rentabilität
eines privaten Telegrammverkehrs überhaupt bezweifelten, drängten die andern
nach weitgehender Freiheit und Billigkeit. Ein Anhalt, in welchem Maße das
Publikum von der neuen, in ihren Wirkungen noch unbekannten Einrichtung
Gebrauch machen würde, fehlte ganz. In den maßgebenden Regierungskre'sen
wurde der Grundsatz aufgestellt, den Tarif so festzusetzen, daß die Einnahmen
nicht nur die Betriebs- und Unterhaltungskosten decken, sondern in absehbarer
Zeit auch das Anlagekapital amortisieren sollten. So kam man nach mancherlei
Berechnungen innerhalb des Deutsch-Österreichischen Telegraphenvereins zu dem
Beschluß, die Gebühr nach der Gesamtlänge der zu durchlaufenden Telegraphen¬
linien und der Zahl der Wörter zu erheben. Nach diesem Tarif war zum Beispiel
für ein Telegramm von 51 Wörtern auf eine Entfernung von mehr als 70 bis


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[0419] Der Internationale Tclegraxhenverein mit den Linien der Nachbarstaaten führte - in Oderberg. Bodenbach. Leipzig. Hof. Salzburg befanden sich gemeinschaftliche Grenzstationen -. aber die Tele¬ gramme konnten hier nicht durchtelegraphiert werden, weil jeder Staat andre Apparatsysteme benutzte und andre Betriebsweisen hatte. Der im Jahre 1850 gegründete Deutsch-Österreichische Tclegraphcnverein schaffte zunächst wenigstens in dem deutschen Staatenbunde klare, übersichtliche Verhältnisse, übereinstimmende Normen in den Betriebsmitteln und in der Handhabung des Dienstes. Diese Gründung und der in demselben Jahre errichtete Deutsch-Osterreichische Post- Verein bildeten den Übergang aus der Zersplitterung deutscher Verkehrsverhältnisse zur Einheit. Lange bevor die politische Einheit verwirklicht wurde, schufen sie die Grundlagen für die bis dahin unbekannte Gebietsgemeinschaft. Wurde hier das auf freie Entwicklung hingewiesene Verkehrswesen von den lästigen Hemm¬ nissen befreit, die sich aus der Zerrissenheit deutscher Staatenbildung ergaben, so konnte es andrerseits nicht ausbleiben, daß der deutsch-österreichischen Ver¬ einigung, die zum erstenmal die Möglichkeit und Zweckmäßigkeit gemeinsamer Institutionen auf internationalen Gebieten nachwies, weitere, größere Zusammen¬ schlüsse folgten, die dem gesamten Telegraphenverkehr die Formen der Einheit und freien Bewegung gaben. Im Jahre 1852 folgten dem deutschen Vorgehn die romanischen Staaten, die eine besondre Vereinsgruppe bildeten. Aus beiden Vereinen ging dann 1865 in Paris der Internationale Telegraphenverband hervor, der in einem einzigen, ganz Europa umfassenden Vertrage den inter- nationalen Telegraphenverkehr einheitlich regelte und pflegte. Das schwierigste Problem internationaler Vereinbarung ist von Anfang °n die Tariffrage gewesen. Heute, wo wir für 50 Pfennige durch ganz Deutschland und Österreich-Ungarn, für 1 Mark durch ganz Europa telegraphieren können, überkommt uns fast ein Grauen, wenn wir den ersten Telegraphentarif zur Hand nehmen und daraus ersehn, daß ein einfaches Telegramm von Berlin nach Aachen 5 Taler 6 Silbergroschen kostete. Als man die Benutzung der elektrischen Telegraphen dem Publikum freigab, war die Telegraphie noch so neu. daß man auf dem ganzen europäischen Festlande über die Folgen dieser Maßnahme im unklaren war. Während die einen die Möglichkeit und Rentabilität eines privaten Telegrammverkehrs überhaupt bezweifelten, drängten die andern nach weitgehender Freiheit und Billigkeit. Ein Anhalt, in welchem Maße das Publikum von der neuen, in ihren Wirkungen noch unbekannten Einrichtung Gebrauch machen würde, fehlte ganz. In den maßgebenden Regierungskre'sen wurde der Grundsatz aufgestellt, den Tarif so festzusetzen, daß die Einnahmen nicht nur die Betriebs- und Unterhaltungskosten decken, sondern in absehbarer Zeit auch das Anlagekapital amortisieren sollten. So kam man nach mancherlei Berechnungen innerhalb des Deutsch-Österreichischen Telegraphenvereins zu dem Beschluß, die Gebühr nach der Gesamtlänge der zu durchlaufenden Telegraphen¬ linien und der Zahl der Wörter zu erheben. Nach diesem Tarif war zum Beispiel für ein Telegramm von 51 Wörtern auf eine Entfernung von mehr als 70 bis

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/419>, abgerufen am 25.08.2024.