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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Das Wesen der Freimaurerei

gedenke mit, der Religion, Sittlichkeit und Kulturfortschritt auf Menschentum,
Aufklärung und Freiheit zu gründen trachtet.

So hätten also auch die freimaurerischen Organisationen als Vertreterinnen
des Humanitätsgedankens gerade in unsrer Zeit ein fruchtbares Arbeitsfeld
vor sich. Die Mitarbeit an der im Zeitalter der sozialen Frage so dringend
benötigten Erziehungsreformation stellt ihnen höchst wichtige Aufgaben. Leider
aber werden sie diesen geistigen Aufgaben im allgemeinen noch wenig gerecht.
Ihre Arbeitsweise, wie sie zumeist noch vorherrscht, reicht zu der nötigen
geistigen Wirksamkeit nicht aus. Gar manches ist an ihr entbehrlich und
reformbedürftig. Der Humanitätsgedanke will unter den Gegenwartsmenschen
anders gepflegt sein, als es unter den Bürgern des achtzehnten Jahrhunderts
der Fall war. Manches schlichte Symbol, das zur Jnnenschau anregt, das
religiöse Empfinden ohne Dogmenzwang weckt und entwickelt und die Pflicht
gegen die engere und weitere menschliche Gesellschaft dem einzelnen immer aufs
neue zum Bewußtsein bringt, ist gewiß heute so angebracht wie je zuvor.
Und auch das Arbeiten im geschlossenen Kreise kann noch heute der sittlichen
Bildung sehr wohl förderlich sein. Aber die Art und Weise, wie man mannig¬
fach in den Logen das Schwergewicht auf ein umfangreiches Formenwesen legt,
ist sicher nicht geeignet, die tüchtige Leistung der Beteiligten im Dienste des
Humanitütsgcdankens zu fördern. Ebenso überwiegt bisweilen der Gefühlskult
zu sehr, und die Denkarbeit kommt darüber zu kurz. Wo ihm die klarbewußte
Beziehung zum Gegenwartsleben und seinen Aufgaben fehlt, mutet da manches
schöne Wort als Phrase, als unfruchtbares Gerede, als langweilige Schön¬
rederei an. Vielfach auch beschränkt sich traditionsgemäß die Logenerzichung
allzusehr auf die ästhetische Seite der individuellen Kulturarbeit und auf die
Erörterung der Selbsterziehungsfragen, während der andre, überaus wichtige
Teil wahrer Humanität, nämlich das rechte, auf sozialem Pflichtbewußtsein und
sozialer Intelligenz beruhende Verhalten gegen die verschiednen Mitmenschen,
wie es heute zur Kulturgesundung nötig ist, bei den Bildungsbestrebungen vieler
Logen sehr vernachlässigt wird. Und ebenso wie in der ernsten, planmäßigen
Ausbildung der "Brüder" auf dem Gebiete zeitgemäßer sozialethischer Erkennt¬
nis und Praxis läßt das heutige Logentum, wenigstens in Deutschland, auch
insofern mannigfach zu wünschen übrig, als es sich nicht genügend um die
Propagierung des Humanitätsgedankens außerhalb der Logenkreise bekümmert.

Es muß also gesagt werden, daß das Logentum gegenwärtig nicht überall
dem Wesen der Freimaurerei gerecht wird, daß seine Arbeitsform mannigfach
zur Pflege, Verbreitung und Verwirklichung des Humanitätsgedankens nicht
ausreicht. Andrerseits aber will beachtet sein, daß von vielen deutschen Frei¬
maurern dieser Mißstand als solcher lebhaft empfunden wird, und daß sich ein
ernstes Reformbestreben regt, das neuerdings auch die oberste heimische Logen¬
organisation, den sogenannten deutschen Großlogenbnnd, ergriffen hat. Ins¬
besondre bemüht sich der Verein deutscher Freimaurer, der fast 6000 Mit-


Das Wesen der Freimaurerei

gedenke mit, der Religion, Sittlichkeit und Kulturfortschritt auf Menschentum,
Aufklärung und Freiheit zu gründen trachtet.

So hätten also auch die freimaurerischen Organisationen als Vertreterinnen
des Humanitätsgedankens gerade in unsrer Zeit ein fruchtbares Arbeitsfeld
vor sich. Die Mitarbeit an der im Zeitalter der sozialen Frage so dringend
benötigten Erziehungsreformation stellt ihnen höchst wichtige Aufgaben. Leider
aber werden sie diesen geistigen Aufgaben im allgemeinen noch wenig gerecht.
Ihre Arbeitsweise, wie sie zumeist noch vorherrscht, reicht zu der nötigen
geistigen Wirksamkeit nicht aus. Gar manches ist an ihr entbehrlich und
reformbedürftig. Der Humanitätsgedanke will unter den Gegenwartsmenschen
anders gepflegt sein, als es unter den Bürgern des achtzehnten Jahrhunderts
der Fall war. Manches schlichte Symbol, das zur Jnnenschau anregt, das
religiöse Empfinden ohne Dogmenzwang weckt und entwickelt und die Pflicht
gegen die engere und weitere menschliche Gesellschaft dem einzelnen immer aufs
neue zum Bewußtsein bringt, ist gewiß heute so angebracht wie je zuvor.
Und auch das Arbeiten im geschlossenen Kreise kann noch heute der sittlichen
Bildung sehr wohl förderlich sein. Aber die Art und Weise, wie man mannig¬
fach in den Logen das Schwergewicht auf ein umfangreiches Formenwesen legt,
ist sicher nicht geeignet, die tüchtige Leistung der Beteiligten im Dienste des
Humanitütsgcdankens zu fördern. Ebenso überwiegt bisweilen der Gefühlskult
zu sehr, und die Denkarbeit kommt darüber zu kurz. Wo ihm die klarbewußte
Beziehung zum Gegenwartsleben und seinen Aufgaben fehlt, mutet da manches
schöne Wort als Phrase, als unfruchtbares Gerede, als langweilige Schön¬
rederei an. Vielfach auch beschränkt sich traditionsgemäß die Logenerzichung
allzusehr auf die ästhetische Seite der individuellen Kulturarbeit und auf die
Erörterung der Selbsterziehungsfragen, während der andre, überaus wichtige
Teil wahrer Humanität, nämlich das rechte, auf sozialem Pflichtbewußtsein und
sozialer Intelligenz beruhende Verhalten gegen die verschiednen Mitmenschen,
wie es heute zur Kulturgesundung nötig ist, bei den Bildungsbestrebungen vieler
Logen sehr vernachlässigt wird. Und ebenso wie in der ernsten, planmäßigen
Ausbildung der „Brüder" auf dem Gebiete zeitgemäßer sozialethischer Erkennt¬
nis und Praxis läßt das heutige Logentum, wenigstens in Deutschland, auch
insofern mannigfach zu wünschen übrig, als es sich nicht genügend um die
Propagierung des Humanitätsgedankens außerhalb der Logenkreise bekümmert.

Es muß also gesagt werden, daß das Logentum gegenwärtig nicht überall
dem Wesen der Freimaurerei gerecht wird, daß seine Arbeitsform mannigfach
zur Pflege, Verbreitung und Verwirklichung des Humanitätsgedankens nicht
ausreicht. Andrerseits aber will beachtet sein, daß von vielen deutschen Frei¬
maurern dieser Mißstand als solcher lebhaft empfunden wird, und daß sich ein
ernstes Reformbestreben regt, das neuerdings auch die oberste heimische Logen¬
organisation, den sogenannten deutschen Großlogenbnnd, ergriffen hat. Ins¬
besondre bemüht sich der Verein deutscher Freimaurer, der fast 6000 Mit-


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[0038] Das Wesen der Freimaurerei gedenke mit, der Religion, Sittlichkeit und Kulturfortschritt auf Menschentum, Aufklärung und Freiheit zu gründen trachtet. So hätten also auch die freimaurerischen Organisationen als Vertreterinnen des Humanitätsgedankens gerade in unsrer Zeit ein fruchtbares Arbeitsfeld vor sich. Die Mitarbeit an der im Zeitalter der sozialen Frage so dringend benötigten Erziehungsreformation stellt ihnen höchst wichtige Aufgaben. Leider aber werden sie diesen geistigen Aufgaben im allgemeinen noch wenig gerecht. Ihre Arbeitsweise, wie sie zumeist noch vorherrscht, reicht zu der nötigen geistigen Wirksamkeit nicht aus. Gar manches ist an ihr entbehrlich und reformbedürftig. Der Humanitätsgedanke will unter den Gegenwartsmenschen anders gepflegt sein, als es unter den Bürgern des achtzehnten Jahrhunderts der Fall war. Manches schlichte Symbol, das zur Jnnenschau anregt, das religiöse Empfinden ohne Dogmenzwang weckt und entwickelt und die Pflicht gegen die engere und weitere menschliche Gesellschaft dem einzelnen immer aufs neue zum Bewußtsein bringt, ist gewiß heute so angebracht wie je zuvor. Und auch das Arbeiten im geschlossenen Kreise kann noch heute der sittlichen Bildung sehr wohl förderlich sein. Aber die Art und Weise, wie man mannig¬ fach in den Logen das Schwergewicht auf ein umfangreiches Formenwesen legt, ist sicher nicht geeignet, die tüchtige Leistung der Beteiligten im Dienste des Humanitütsgcdankens zu fördern. Ebenso überwiegt bisweilen der Gefühlskult zu sehr, und die Denkarbeit kommt darüber zu kurz. Wo ihm die klarbewußte Beziehung zum Gegenwartsleben und seinen Aufgaben fehlt, mutet da manches schöne Wort als Phrase, als unfruchtbares Gerede, als langweilige Schön¬ rederei an. Vielfach auch beschränkt sich traditionsgemäß die Logenerzichung allzusehr auf die ästhetische Seite der individuellen Kulturarbeit und auf die Erörterung der Selbsterziehungsfragen, während der andre, überaus wichtige Teil wahrer Humanität, nämlich das rechte, auf sozialem Pflichtbewußtsein und sozialer Intelligenz beruhende Verhalten gegen die verschiednen Mitmenschen, wie es heute zur Kulturgesundung nötig ist, bei den Bildungsbestrebungen vieler Logen sehr vernachlässigt wird. Und ebenso wie in der ernsten, planmäßigen Ausbildung der „Brüder" auf dem Gebiete zeitgemäßer sozialethischer Erkennt¬ nis und Praxis läßt das heutige Logentum, wenigstens in Deutschland, auch insofern mannigfach zu wünschen übrig, als es sich nicht genügend um die Propagierung des Humanitätsgedankens außerhalb der Logenkreise bekümmert. Es muß also gesagt werden, daß das Logentum gegenwärtig nicht überall dem Wesen der Freimaurerei gerecht wird, daß seine Arbeitsform mannigfach zur Pflege, Verbreitung und Verwirklichung des Humanitätsgedankens nicht ausreicht. Andrerseits aber will beachtet sein, daß von vielen deutschen Frei¬ maurern dieser Mißstand als solcher lebhaft empfunden wird, und daß sich ein ernstes Reformbestreben regt, das neuerdings auch die oberste heimische Logen¬ organisation, den sogenannten deutschen Großlogenbnnd, ergriffen hat. Ins¬ besondre bemüht sich der Verein deutscher Freimaurer, der fast 6000 Mit-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/38>, abgerufen am 22.07.2024.