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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Sozialpolitik, Nationalökonomie und Reichsfinanzreform

In Frankreich freilich wäre die Wahl zwischen direkten und indirekten
Steuern anders zu treffen. Bei der fast krankhaft gesteigerten Sparsamkeit
in Haushalt und Kindererzeugung müßte eine weise Negierung das gelähmte
Wirtschaftsleben durch Verbilligung des Konsums und Besteuerung des Kapital-
zuwachses anzuregen und zu befreien suchen.

Also, nach der wirtschaftlichen Lage der Nation ist die Wahl zwischen den ver-
schiednen Besteuerungsniöglichkeiten zu treffen. Wie anders denken unsre heutigen
Politiker, die die Frage nach dem sozialpolitischen Prinzip der individuellen
Leistungsfähigkeit lösen wollen! Das Prinzip ist eigentlich nur in negativem
Sinne brauchbar: man soll von niemand fordern, was er nicht zu leisten
fähig ist. Aber das fordert ja auch kein Vernünftiger. Als positives Prinzip
ist es jedoch völlig wertlos, und selbst die Anhänger des Leistungsfählgketts-
gedankens würden schwere Bedenken tragen, ihn praktisch durchzuführen. Wer
wird bezweifeln, daß beispielsweise ein reicher Privatmann, der 200000 Mark
Einkommen hat. aber nur die Hälfte verzehrt, leicher den dritten Teil seiner
Revenuen zu leisten vermag als ein mit großer Familie gesegneter Beamter
den zehnten oder zwanzigsten Teil seines Diensteinkommens? Dennoch wurde
kein ernster Politiker eine Einkommensteuer von 30 Prozent und darüber für
die Besitzer großer Vermögen empfehlen. Man würde eine solche Plünderung
als Verstoß gegen die politische Ethik empfinden. Den entscheidenden Grund
gegen eine so hohe Besteuerung aber liefert für Deutschland die national-
ökonomische Tatsache, daß zwar wohl der einzelne Kapitalist, nicht aber das
nationale Kapital derartige Schwächungen ohne Schädigung des ganzen Wirt¬
schaftsorganismus vertragen würde.

Was wir hier von den Verbrauchssteuern fordern, daß sie eine Abnahme
des Verbrauchs bewirken sollen, um die Verminderung der nationalen Kapitcil-
bUdung hintanzuhalten. das wird in der Publizistik nicht selten als Mittel
gegen die Verbrauchssteueru ausgenutzt. Man sagt, wenn die Verbrauchs¬
steuern den Konsum vermindern, so verfehlen sie ja zu einem mehr oder minder
beträchtlichen Teil ihren finanzpolitischen Zweck und liefern nicht den ge¬
wünschten Ertrag in die Reichskasse. Darauf erfolgt von den Freunden der
"direkten Steuern nicht selten die Erwiderung, eine Verminderung des Ver¬
brauchs habe man überhaupt nicht zu befürchten. Die so antworten, sind sich
'"ehe darüber klar, daß sie da eine gute Sache mit schlechten Gründen ver¬
beten. Eine Verminderung des Massenverbrauchs an Qualität oder Quantität
'muß der nationalökonomische Zweck der Steuer sein, und daß dieser Erfolg
auch wirklich eintritt, beweist, jedenfalls für den Tabak, das englische und das
französische Beispiel. Dieser Erfolg ist nicht zu bedauern, sondern un Gegenteil
^" Ziel, aufs innigste zu wünschen. Es wäre tief beklagenswert, wenn der
kleine Mann, dem andre Luxusausgaben, die er beschränken könnte, nicht zu
Gebote stehen, lieber an Nahrung. Kleidung und Wohnung sparte, als daß
^ sich zu einer Verminderung seines Verbrauchs an Tabak und Alkohol be-


Sozialpolitik, Nationalökonomie und Reichsfinanzreform

In Frankreich freilich wäre die Wahl zwischen direkten und indirekten
Steuern anders zu treffen. Bei der fast krankhaft gesteigerten Sparsamkeit
in Haushalt und Kindererzeugung müßte eine weise Negierung das gelähmte
Wirtschaftsleben durch Verbilligung des Konsums und Besteuerung des Kapital-
zuwachses anzuregen und zu befreien suchen.

Also, nach der wirtschaftlichen Lage der Nation ist die Wahl zwischen den ver-
schiednen Besteuerungsniöglichkeiten zu treffen. Wie anders denken unsre heutigen
Politiker, die die Frage nach dem sozialpolitischen Prinzip der individuellen
Leistungsfähigkeit lösen wollen! Das Prinzip ist eigentlich nur in negativem
Sinne brauchbar: man soll von niemand fordern, was er nicht zu leisten
fähig ist. Aber das fordert ja auch kein Vernünftiger. Als positives Prinzip
ist es jedoch völlig wertlos, und selbst die Anhänger des Leistungsfählgketts-
gedankens würden schwere Bedenken tragen, ihn praktisch durchzuführen. Wer
wird bezweifeln, daß beispielsweise ein reicher Privatmann, der 200000 Mark
Einkommen hat. aber nur die Hälfte verzehrt, leicher den dritten Teil seiner
Revenuen zu leisten vermag als ein mit großer Familie gesegneter Beamter
den zehnten oder zwanzigsten Teil seines Diensteinkommens? Dennoch wurde
kein ernster Politiker eine Einkommensteuer von 30 Prozent und darüber für
die Besitzer großer Vermögen empfehlen. Man würde eine solche Plünderung
als Verstoß gegen die politische Ethik empfinden. Den entscheidenden Grund
gegen eine so hohe Besteuerung aber liefert für Deutschland die national-
ökonomische Tatsache, daß zwar wohl der einzelne Kapitalist, nicht aber das
nationale Kapital derartige Schwächungen ohne Schädigung des ganzen Wirt¬
schaftsorganismus vertragen würde.

Was wir hier von den Verbrauchssteuern fordern, daß sie eine Abnahme
des Verbrauchs bewirken sollen, um die Verminderung der nationalen Kapitcil-
bUdung hintanzuhalten. das wird in der Publizistik nicht selten als Mittel
gegen die Verbrauchssteueru ausgenutzt. Man sagt, wenn die Verbrauchs¬
steuern den Konsum vermindern, so verfehlen sie ja zu einem mehr oder minder
beträchtlichen Teil ihren finanzpolitischen Zweck und liefern nicht den ge¬
wünschten Ertrag in die Reichskasse. Darauf erfolgt von den Freunden der
"direkten Steuern nicht selten die Erwiderung, eine Verminderung des Ver¬
brauchs habe man überhaupt nicht zu befürchten. Die so antworten, sind sich
'"ehe darüber klar, daß sie da eine gute Sache mit schlechten Gründen ver¬
beten. Eine Verminderung des Massenverbrauchs an Qualität oder Quantität
'muß der nationalökonomische Zweck der Steuer sein, und daß dieser Erfolg
auch wirklich eintritt, beweist, jedenfalls für den Tabak, das englische und das
französische Beispiel. Dieser Erfolg ist nicht zu bedauern, sondern un Gegenteil
^" Ziel, aufs innigste zu wünschen. Es wäre tief beklagenswert, wenn der
kleine Mann, dem andre Luxusausgaben, die er beschränken könnte, nicht zu
Gebote stehen, lieber an Nahrung. Kleidung und Wohnung sparte, als daß
^ sich zu einer Verminderung seines Verbrauchs an Tabak und Alkohol be-


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[0373] Sozialpolitik, Nationalökonomie und Reichsfinanzreform In Frankreich freilich wäre die Wahl zwischen direkten und indirekten Steuern anders zu treffen. Bei der fast krankhaft gesteigerten Sparsamkeit in Haushalt und Kindererzeugung müßte eine weise Negierung das gelähmte Wirtschaftsleben durch Verbilligung des Konsums und Besteuerung des Kapital- zuwachses anzuregen und zu befreien suchen. Also, nach der wirtschaftlichen Lage der Nation ist die Wahl zwischen den ver- schiednen Besteuerungsniöglichkeiten zu treffen. Wie anders denken unsre heutigen Politiker, die die Frage nach dem sozialpolitischen Prinzip der individuellen Leistungsfähigkeit lösen wollen! Das Prinzip ist eigentlich nur in negativem Sinne brauchbar: man soll von niemand fordern, was er nicht zu leisten fähig ist. Aber das fordert ja auch kein Vernünftiger. Als positives Prinzip ist es jedoch völlig wertlos, und selbst die Anhänger des Leistungsfählgketts- gedankens würden schwere Bedenken tragen, ihn praktisch durchzuführen. Wer wird bezweifeln, daß beispielsweise ein reicher Privatmann, der 200000 Mark Einkommen hat. aber nur die Hälfte verzehrt, leicher den dritten Teil seiner Revenuen zu leisten vermag als ein mit großer Familie gesegneter Beamter den zehnten oder zwanzigsten Teil seines Diensteinkommens? Dennoch wurde kein ernster Politiker eine Einkommensteuer von 30 Prozent und darüber für die Besitzer großer Vermögen empfehlen. Man würde eine solche Plünderung als Verstoß gegen die politische Ethik empfinden. Den entscheidenden Grund gegen eine so hohe Besteuerung aber liefert für Deutschland die national- ökonomische Tatsache, daß zwar wohl der einzelne Kapitalist, nicht aber das nationale Kapital derartige Schwächungen ohne Schädigung des ganzen Wirt¬ schaftsorganismus vertragen würde. Was wir hier von den Verbrauchssteuern fordern, daß sie eine Abnahme des Verbrauchs bewirken sollen, um die Verminderung der nationalen Kapitcil- bUdung hintanzuhalten. das wird in der Publizistik nicht selten als Mittel gegen die Verbrauchssteueru ausgenutzt. Man sagt, wenn die Verbrauchs¬ steuern den Konsum vermindern, so verfehlen sie ja zu einem mehr oder minder beträchtlichen Teil ihren finanzpolitischen Zweck und liefern nicht den ge¬ wünschten Ertrag in die Reichskasse. Darauf erfolgt von den Freunden der "direkten Steuern nicht selten die Erwiderung, eine Verminderung des Ver¬ brauchs habe man überhaupt nicht zu befürchten. Die so antworten, sind sich '"ehe darüber klar, daß sie da eine gute Sache mit schlechten Gründen ver¬ beten. Eine Verminderung des Massenverbrauchs an Qualität oder Quantität 'muß der nationalökonomische Zweck der Steuer sein, und daß dieser Erfolg auch wirklich eintritt, beweist, jedenfalls für den Tabak, das englische und das französische Beispiel. Dieser Erfolg ist nicht zu bedauern, sondern un Gegenteil ^" Ziel, aufs innigste zu wünschen. Es wäre tief beklagenswert, wenn der kleine Mann, dem andre Luxusausgaben, die er beschränken könnte, nicht zu Gebote stehen, lieber an Nahrung. Kleidung und Wohnung sparte, als daß ^ sich zu einer Verminderung seines Verbrauchs an Tabak und Alkohol be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/373>, abgerufen am 25.08.2024.