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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Sozialpolitik, Nationalökonomie und Reichsfinanzreforin

schädigen? Niemand wird wagen, dies zu behaupten. Und ferner: Ist unsre
Kapitalbildnng so reichlich, daß wir sie dem Alkohol- und Tabakverbrauch zuliebe
getrost verkürzen dürften? Die Frage kann nur bejahen, wer von der Be¬
deutung der Kapitalbildung im wirtschaftlichen Leben der deutschen Nation
keine rechte Vorstellung hat.

Die soziale Idee mit ihrem Streben nach ausgleichender Gerechtigkeit in
der Verteilung der Güter trübt oft den Blick für die nationalökonomische Tat¬
sache, daß die Ansammlung von Privatvermögen eine im Interesse der Ge¬
samtheit wie im besondern im Interesse der Arbeiterbevölkerung unentbehrliche
wirtschaftliche Pflicht der höhern Klasse ist. Ist der Kapitalbesitz eines Landes
doch nichts andres als die Summe der privaten Vermögen. Eine an Be¬
völkerung stark wachsende Nation wie die deutsche bedarf aber der Zunahme
ihres Reichtums um so mehr, als sie zu ihrer Ernährung ans die Einfuhr
von Nahrungsmitteln aus dem Auslande in stetig steigendem Maße angewiesen
ist. Die Sparkraft der untern Bevölkerungsklasfen hilft da nur wenig. Wie
selten erreichen die Ersparnisse eines Arbeiters den kapitalisierten Mietwert
seiner bescheidnen Wohnung. Die Beherbergung des Bevölkerungszuwachses,
der Bau von Fabriken, Werkstätten und andrer Produktionsmittel sind ange¬
wiesen auf die Vermögensbildung in der obern Schicht, die sich zugleich die
Erwerbung ausländischer Wertpapiere angelegen sein lassen muß, um mit deren
Zinsen die Nahruugsmitteleiufuhr insoweit zu begleichen, als die Lieferungen
unsrer Exportindustrien nicht ausreichen. Das sind Aufgaben, die die An¬
sammlung von Privatvermögen zu einer wichtigen nationalen Aufgabe machen,
deren Vernachlässigung das Volk in allen seinen Teilen über kurz oder lang
zu büßen haben würde.

Fragen wir nun, wie es um die Erfüllung dieser nationalen Pflicht be¬
stellt ist, so haben wir keine Veranlassung zu einer freudig klingenden Antwort.
Wir sind in der Kapitalbildung wesentlich schwächer als England und Frankreich,
und was diese Tatsache einem jeden augenfällig macht, ist die Höhe des deutschen
Zinsfußes. Bei jedem Konjunkturaufschwung ist der deutsche Unternehmungsgeist
genötigt, englisches und französisches Kapital in Anspruch zu nehmen, und
welche beklagenswerten Folgen die Verschuldung an das Ausland nach sich
ziehen, steht vom Herbste vorigen Jahres her noch in lebhafter Erinnerung.
Der deutsche Kapitalreichtum -- das wird kein sachkundiger bezweifeln --
bedarf der Stärkung, nicht der Schwächung.

Wie oft ertönt die Klage von dem schlechten Kursstand unsrer Staats¬
anleihen! Nun wohl, schont die Kapitalbildung, belastet den Massentonsnm --
und das Übel wird verschwinden. Dann wird sich auch der Hypothekenzins
verbilligen, was auf die Mietpreise der Wohnungen seine günstige Wirkung
nicht verfehlen wird. Auch der kleine Gewerbetreibende wird die sich aus
dem wachsenden Reichtum an Kapital ergebende Kreditverbilligung dankbar
begrüßen.


Sozialpolitik, Nationalökonomie und Reichsfinanzreforin

schädigen? Niemand wird wagen, dies zu behaupten. Und ferner: Ist unsre
Kapitalbildnng so reichlich, daß wir sie dem Alkohol- und Tabakverbrauch zuliebe
getrost verkürzen dürften? Die Frage kann nur bejahen, wer von der Be¬
deutung der Kapitalbildung im wirtschaftlichen Leben der deutschen Nation
keine rechte Vorstellung hat.

Die soziale Idee mit ihrem Streben nach ausgleichender Gerechtigkeit in
der Verteilung der Güter trübt oft den Blick für die nationalökonomische Tat¬
sache, daß die Ansammlung von Privatvermögen eine im Interesse der Ge¬
samtheit wie im besondern im Interesse der Arbeiterbevölkerung unentbehrliche
wirtschaftliche Pflicht der höhern Klasse ist. Ist der Kapitalbesitz eines Landes
doch nichts andres als die Summe der privaten Vermögen. Eine an Be¬
völkerung stark wachsende Nation wie die deutsche bedarf aber der Zunahme
ihres Reichtums um so mehr, als sie zu ihrer Ernährung ans die Einfuhr
von Nahrungsmitteln aus dem Auslande in stetig steigendem Maße angewiesen
ist. Die Sparkraft der untern Bevölkerungsklasfen hilft da nur wenig. Wie
selten erreichen die Ersparnisse eines Arbeiters den kapitalisierten Mietwert
seiner bescheidnen Wohnung. Die Beherbergung des Bevölkerungszuwachses,
der Bau von Fabriken, Werkstätten und andrer Produktionsmittel sind ange¬
wiesen auf die Vermögensbildung in der obern Schicht, die sich zugleich die
Erwerbung ausländischer Wertpapiere angelegen sein lassen muß, um mit deren
Zinsen die Nahruugsmitteleiufuhr insoweit zu begleichen, als die Lieferungen
unsrer Exportindustrien nicht ausreichen. Das sind Aufgaben, die die An¬
sammlung von Privatvermögen zu einer wichtigen nationalen Aufgabe machen,
deren Vernachlässigung das Volk in allen seinen Teilen über kurz oder lang
zu büßen haben würde.

Fragen wir nun, wie es um die Erfüllung dieser nationalen Pflicht be¬
stellt ist, so haben wir keine Veranlassung zu einer freudig klingenden Antwort.
Wir sind in der Kapitalbildung wesentlich schwächer als England und Frankreich,
und was diese Tatsache einem jeden augenfällig macht, ist die Höhe des deutschen
Zinsfußes. Bei jedem Konjunkturaufschwung ist der deutsche Unternehmungsgeist
genötigt, englisches und französisches Kapital in Anspruch zu nehmen, und
welche beklagenswerten Folgen die Verschuldung an das Ausland nach sich
ziehen, steht vom Herbste vorigen Jahres her noch in lebhafter Erinnerung.
Der deutsche Kapitalreichtum — das wird kein sachkundiger bezweifeln —
bedarf der Stärkung, nicht der Schwächung.

Wie oft ertönt die Klage von dem schlechten Kursstand unsrer Staats¬
anleihen! Nun wohl, schont die Kapitalbildung, belastet den Massentonsnm —
und das Übel wird verschwinden. Dann wird sich auch der Hypothekenzins
verbilligen, was auf die Mietpreise der Wohnungen seine günstige Wirkung
nicht verfehlen wird. Auch der kleine Gewerbetreibende wird die sich aus
dem wachsenden Reichtum an Kapital ergebende Kreditverbilligung dankbar
begrüßen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/372>, abgerufen am 22.07.2024.