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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Sozialpolitik, Nationalökonomie und Reichsfianiizreform

französischen Staatsschulden weit beträchtlicher. Außerdem handelt es sich um
inländische Schulden, von denen nur geringe Beträge in ausländischem Besitze
sind. Wir sind also durch diese Schuldenwirtschaft nicht dem Auslande zins¬
pflichtig geworden. Was jedoch das bisherige System so verwerflich macht,
lst die Sünde gegen den Geist der Nationalökonomie, der in dem Verbrauch
der aufgenommnen Summen zu Konsumtivzweckcn besteht. Was der Kapitalist
als Produktivkredit gegeben, hat das Reich als Konsumtivkredit verzehrt. Das
bedeutet Vernichtung von Kapital, Verminderung des Nationalvermögens.

Die Wirkung auf das Nationalvermögen sollte auch bei der Einteilung der
Steuern als leitender Gedanke anerkannt werden. Die alte schulmäßige Ein¬
teilung in direkte und indirekte Steuern, bei der sich dann ein unfruchtbarer
Streit um Worte und Begriffe entspinnt, hat wenig Wert. Es ist entschieden
ein Fortschritt, daß der Reichsschatzsekretär Sydow in seinem vielbesprochnen
Aufsatz den Vorschlag macht, die Steuern nur noch zu scheiden in solche, die
den Verbrauch treffen, und in solche, die auf Besitz und Einkommen gelegt
sind. Aber auch diese Einteilung dringt nicht ganz in den Nationalökono-
""schen Kern der Frage. Die Wirkung von Verbrauchssteuern auf das Volks¬
vermögen ist verschieden, je nachdem ob man die Luxusartikel der Masse oder
die der Reichen trifft; und die Einkommensteuer, die die Haushaltung des
Reichen nicht im geringsten beeinflußt, vermag den Verbrauch des Minder¬
begüterten fühlbar zu beschränken. Beiderlei Abgaben zahlt der eine von
Kapitalrücklagen, vom "Überfluß", der andre vom Verbrauch, das heißt unter
Erzieht auf einen Genuß, den er sich ohne die Steuer erlauben würde, und
"ur so viel läßt sich sagen, daß die Steuer auf die Luxusartikel der Masse
berbrauchbeschränkend, die Einkommensteuer bei den Reichen kapitalvermindernd
wirkt.

Darüber also gilt es sich klar zu werden, daß die Opfer, die der Staat
"ordert, nationalökonomisch nur auf zwei Wegen zu beschaffen sind, auf Kosten
des Verbrauchs oder auf Kosten der Kapitalrücklagen. Ein drittes gibt es
kunst. Wer Steuern, die den Konsum einschränken würden, bekämpft, muß sich
Zu der Überzeugung bekennen, daß sich der nationale Kapitalreichtum eine
Verminderung seines Wachstums gefallen lassen könnte.

Man sieht schon hieraus, wie verfehlt der Versuch ist, für die Wahl
Zwischen Verbrauch beschränkenden und Kapital betastenden Steuern eine un¬
bedingt giltige Entscheidungsregel aus Erwägungen allgemeiner Natur zu
ichöpfen. Die Frage ist eine rein nationalökonomische, die zu beantworten ist
nach den besondern Verhältnissen des Landes, für das sie gestellt ist.

Es handelt sich also nicht um die törichte Frage, ob der Arme oder der
Reiche zahlungsfähiger sei, sondern darum, ob in Deutschland der Massen¬
verbrauch oder die Kapitalbildung zum Wohle der Gesamtheit eingeschränkt
werden muß. Die Frage ist: Würde die Verminderung des Massenverbrauchs
an alkoholischen Getränken und Tabak unser Volk an Gesundheit und Kraft


Sozialpolitik, Nationalökonomie und Reichsfianiizreform

französischen Staatsschulden weit beträchtlicher. Außerdem handelt es sich um
inländische Schulden, von denen nur geringe Beträge in ausländischem Besitze
sind. Wir sind also durch diese Schuldenwirtschaft nicht dem Auslande zins¬
pflichtig geworden. Was jedoch das bisherige System so verwerflich macht,
lst die Sünde gegen den Geist der Nationalökonomie, der in dem Verbrauch
der aufgenommnen Summen zu Konsumtivzweckcn besteht. Was der Kapitalist
als Produktivkredit gegeben, hat das Reich als Konsumtivkredit verzehrt. Das
bedeutet Vernichtung von Kapital, Verminderung des Nationalvermögens.

Die Wirkung auf das Nationalvermögen sollte auch bei der Einteilung der
Steuern als leitender Gedanke anerkannt werden. Die alte schulmäßige Ein¬
teilung in direkte und indirekte Steuern, bei der sich dann ein unfruchtbarer
Streit um Worte und Begriffe entspinnt, hat wenig Wert. Es ist entschieden
ein Fortschritt, daß der Reichsschatzsekretär Sydow in seinem vielbesprochnen
Aufsatz den Vorschlag macht, die Steuern nur noch zu scheiden in solche, die
den Verbrauch treffen, und in solche, die auf Besitz und Einkommen gelegt
sind. Aber auch diese Einteilung dringt nicht ganz in den Nationalökono-
""schen Kern der Frage. Die Wirkung von Verbrauchssteuern auf das Volks¬
vermögen ist verschieden, je nachdem ob man die Luxusartikel der Masse oder
die der Reichen trifft; und die Einkommensteuer, die die Haushaltung des
Reichen nicht im geringsten beeinflußt, vermag den Verbrauch des Minder¬
begüterten fühlbar zu beschränken. Beiderlei Abgaben zahlt der eine von
Kapitalrücklagen, vom „Überfluß", der andre vom Verbrauch, das heißt unter
Erzieht auf einen Genuß, den er sich ohne die Steuer erlauben würde, und
"ur so viel läßt sich sagen, daß die Steuer auf die Luxusartikel der Masse
berbrauchbeschränkend, die Einkommensteuer bei den Reichen kapitalvermindernd
wirkt.

Darüber also gilt es sich klar zu werden, daß die Opfer, die der Staat
«ordert, nationalökonomisch nur auf zwei Wegen zu beschaffen sind, auf Kosten
des Verbrauchs oder auf Kosten der Kapitalrücklagen. Ein drittes gibt es
kunst. Wer Steuern, die den Konsum einschränken würden, bekämpft, muß sich
Zu der Überzeugung bekennen, daß sich der nationale Kapitalreichtum eine
Verminderung seines Wachstums gefallen lassen könnte.

Man sieht schon hieraus, wie verfehlt der Versuch ist, für die Wahl
Zwischen Verbrauch beschränkenden und Kapital betastenden Steuern eine un¬
bedingt giltige Entscheidungsregel aus Erwägungen allgemeiner Natur zu
ichöpfen. Die Frage ist eine rein nationalökonomische, die zu beantworten ist
nach den besondern Verhältnissen des Landes, für das sie gestellt ist.

Es handelt sich also nicht um die törichte Frage, ob der Arme oder der
Reiche zahlungsfähiger sei, sondern darum, ob in Deutschland der Massen¬
verbrauch oder die Kapitalbildung zum Wohle der Gesamtheit eingeschränkt
werden muß. Die Frage ist: Würde die Verminderung des Massenverbrauchs
an alkoholischen Getränken und Tabak unser Volk an Gesundheit und Kraft


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[0371] Sozialpolitik, Nationalökonomie und Reichsfianiizreform französischen Staatsschulden weit beträchtlicher. Außerdem handelt es sich um inländische Schulden, von denen nur geringe Beträge in ausländischem Besitze sind. Wir sind also durch diese Schuldenwirtschaft nicht dem Auslande zins¬ pflichtig geworden. Was jedoch das bisherige System so verwerflich macht, lst die Sünde gegen den Geist der Nationalökonomie, der in dem Verbrauch der aufgenommnen Summen zu Konsumtivzweckcn besteht. Was der Kapitalist als Produktivkredit gegeben, hat das Reich als Konsumtivkredit verzehrt. Das bedeutet Vernichtung von Kapital, Verminderung des Nationalvermögens. Die Wirkung auf das Nationalvermögen sollte auch bei der Einteilung der Steuern als leitender Gedanke anerkannt werden. Die alte schulmäßige Ein¬ teilung in direkte und indirekte Steuern, bei der sich dann ein unfruchtbarer Streit um Worte und Begriffe entspinnt, hat wenig Wert. Es ist entschieden ein Fortschritt, daß der Reichsschatzsekretär Sydow in seinem vielbesprochnen Aufsatz den Vorschlag macht, die Steuern nur noch zu scheiden in solche, die den Verbrauch treffen, und in solche, die auf Besitz und Einkommen gelegt sind. Aber auch diese Einteilung dringt nicht ganz in den Nationalökono- ""schen Kern der Frage. Die Wirkung von Verbrauchssteuern auf das Volks¬ vermögen ist verschieden, je nachdem ob man die Luxusartikel der Masse oder die der Reichen trifft; und die Einkommensteuer, die die Haushaltung des Reichen nicht im geringsten beeinflußt, vermag den Verbrauch des Minder¬ begüterten fühlbar zu beschränken. Beiderlei Abgaben zahlt der eine von Kapitalrücklagen, vom „Überfluß", der andre vom Verbrauch, das heißt unter Erzieht auf einen Genuß, den er sich ohne die Steuer erlauben würde, und "ur so viel läßt sich sagen, daß die Steuer auf die Luxusartikel der Masse berbrauchbeschränkend, die Einkommensteuer bei den Reichen kapitalvermindernd wirkt. Darüber also gilt es sich klar zu werden, daß die Opfer, die der Staat «ordert, nationalökonomisch nur auf zwei Wegen zu beschaffen sind, auf Kosten des Verbrauchs oder auf Kosten der Kapitalrücklagen. Ein drittes gibt es kunst. Wer Steuern, die den Konsum einschränken würden, bekämpft, muß sich Zu der Überzeugung bekennen, daß sich der nationale Kapitalreichtum eine Verminderung seines Wachstums gefallen lassen könnte. Man sieht schon hieraus, wie verfehlt der Versuch ist, für die Wahl Zwischen Verbrauch beschränkenden und Kapital betastenden Steuern eine un¬ bedingt giltige Entscheidungsregel aus Erwägungen allgemeiner Natur zu ichöpfen. Die Frage ist eine rein nationalökonomische, die zu beantworten ist nach den besondern Verhältnissen des Landes, für das sie gestellt ist. Es handelt sich also nicht um die törichte Frage, ob der Arme oder der Reiche zahlungsfähiger sei, sondern darum, ob in Deutschland der Massen¬ verbrauch oder die Kapitalbildung zum Wohle der Gesamtheit eingeschränkt werden muß. Die Frage ist: Würde die Verminderung des Massenverbrauchs an alkoholischen Getränken und Tabak unser Volk an Gesundheit und Kraft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/371>, abgerufen am 22.07.2024.