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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Das Theater als Kirche

bilden sich die Franzosen wirtlich ein, sie seien demo- und nicht plutokratisch
organisiert." , -

Also es gibt wirklich eine "Schaubühne als moralische Anstalt", und
zwar in einer Vorstadt von Paris. Aber ist es diese Art von moralischer
Einwirkung, die unsre Ästheten meinen, wenn sie die Kirche durchs Theater
verdrängen, ersetzen "vollen? Sie entrüsten sich ja geradezu, wenn man an
das Kunstwerk den moralischen Maßstab anlegt, verwerfen jede moralische
Tendenz und verkündigen den Grundsatz: 1'lire xonr 1'art; von den aus-
gesprochnen Jmmoralisten und Antimoralisten unter ihnen gar nicht zu reden,
^ut sie dürfen sich sogar auf Schiller berufen, der das Kunstwerk nur
mittelbar, durch seine ihm eigentümliche ästhetische Wirkung, auf die Moral
einwirken lassen will, nicht unmittelbar durch Moralpredigt und moralisierende
Tendenz. Diese hat er bekanntlich verspottet.

Der Poet ist der Wirt, und der letzte Mus die Zeche:
Wenn sich das Laster erbricht, setzt sich die Tugend zu Tisch. , .

Da mir einmal "Shakespeares Schatten" zitieren, "vollen wir doch gleich
"und die vorangehenden Verse hersetzen, obwohl sie eigentlich in eine später
anzustellende Betrachtung gehören.

"Was? Es dürste kein Cäsar auf euren Bühnen sich zeigen?
Kein Achill, kein Orest, keine Andromache mehr?"
Nichts! Man siehet bei uns nur Pfarrer, Kommerzienräte,
Fändriche, Sekretärs oder Husarenmajors.
"Aber ich bitte dich, Freund, was kann denn dieser Misere
Großes begegnen, was kann Großes denn durch sie geschehn?"
Was? Sie machen Kabale, sie leihen auf Pfänder, sie stecken
Silberne Löffel ein, wagen den Pranger Shend das Zuchthauss und mehr.
"Woher nehmt ihr denn aber das große, gigantische Schicksal,
Welches den Menschen erhebt, wenn es den Menschen zermalmt?"
Das sind Grillen! Uns selbst und unsre guten Bekannten,
Unsern Jammer und Not suchen und finden wir hier.
"Aber das habt ihr ja alles bequemer und besser zu Hause;
Warum entfliehet ihr euch, wenn ihr euch selber nur sucht?"
Ninus nicht übel, mein Heros, das ist ein verschiedener Kasus:
Das Geschick, das ist blind, und der Poet ist gerecht.
"Also eure Natur, die erbärmliche, trifft man auf euren
Bühnen, die große nur nicht, nicht die unendliche an?"

^so für das Zeug, das seit einigen Jahrzehnten mit den Flaggen Realismus
""d Naturalismus gedeckt wird, war Schiller nicht zu haben; ihm gesteht er
"Me erziehende, erhebende, veredelnde Wirkung auch dann nicht zu, wenn es
Reh durch eine moralisierende Tendenz zu empfehlen sucht. Und wenn die
Naturalisten noch die ganze Wirklichkeit abschrieben! Aber sie wählen be-
^nntlich mit Vorliebe das Widerlichste davon aus. Rinnsteinkunst, hat es
rather Wilhelm der Zweite genannt; und Goethe, der doch nur die Anfänge
leser Sorte Poesie erlebt hat, die in unsern Tagen wuchert, hat dafür ein


Das Theater als Kirche

bilden sich die Franzosen wirtlich ein, sie seien demo- und nicht plutokratisch
organisiert." , -

Also es gibt wirklich eine „Schaubühne als moralische Anstalt", und
zwar in einer Vorstadt von Paris. Aber ist es diese Art von moralischer
Einwirkung, die unsre Ästheten meinen, wenn sie die Kirche durchs Theater
verdrängen, ersetzen »vollen? Sie entrüsten sich ja geradezu, wenn man an
das Kunstwerk den moralischen Maßstab anlegt, verwerfen jede moralische
Tendenz und verkündigen den Grundsatz: 1'lire xonr 1'art; von den aus-
gesprochnen Jmmoralisten und Antimoralisten unter ihnen gar nicht zu reden,
^ut sie dürfen sich sogar auf Schiller berufen, der das Kunstwerk nur
mittelbar, durch seine ihm eigentümliche ästhetische Wirkung, auf die Moral
einwirken lassen will, nicht unmittelbar durch Moralpredigt und moralisierende
Tendenz. Diese hat er bekanntlich verspottet.

Der Poet ist der Wirt, und der letzte Mus die Zeche:
Wenn sich das Laster erbricht, setzt sich die Tugend zu Tisch. , .

Da mir einmal „Shakespeares Schatten" zitieren, »vollen wir doch gleich
"und die vorangehenden Verse hersetzen, obwohl sie eigentlich in eine später
anzustellende Betrachtung gehören.

„Was? Es dürste kein Cäsar auf euren Bühnen sich zeigen?
Kein Achill, kein Orest, keine Andromache mehr?"
Nichts! Man siehet bei uns nur Pfarrer, Kommerzienräte,
Fändriche, Sekretärs oder Husarenmajors.
„Aber ich bitte dich, Freund, was kann denn dieser Misere
Großes begegnen, was kann Großes denn durch sie geschehn?"
Was? Sie machen Kabale, sie leihen auf Pfänder, sie stecken
Silberne Löffel ein, wagen den Pranger Shend das Zuchthauss und mehr.
„Woher nehmt ihr denn aber das große, gigantische Schicksal,
Welches den Menschen erhebt, wenn es den Menschen zermalmt?"
Das sind Grillen! Uns selbst und unsre guten Bekannten,
Unsern Jammer und Not suchen und finden wir hier.
„Aber das habt ihr ja alles bequemer und besser zu Hause;
Warum entfliehet ihr euch, wenn ihr euch selber nur sucht?"
Ninus nicht übel, mein Heros, das ist ein verschiedener Kasus:
Das Geschick, das ist blind, und der Poet ist gerecht.
„Also eure Natur, die erbärmliche, trifft man auf euren
Bühnen, die große nur nicht, nicht die unendliche an?"

^so für das Zeug, das seit einigen Jahrzehnten mit den Flaggen Realismus
""d Naturalismus gedeckt wird, war Schiller nicht zu haben; ihm gesteht er
«Me erziehende, erhebende, veredelnde Wirkung auch dann nicht zu, wenn es
Reh durch eine moralisierende Tendenz zu empfehlen sucht. Und wenn die
Naturalisten noch die ganze Wirklichkeit abschrieben! Aber sie wählen be-
^nntlich mit Vorliebe das Widerlichste davon aus. Rinnsteinkunst, hat es
rather Wilhelm der Zweite genannt; und Goethe, der doch nur die Anfänge
leser Sorte Poesie erlebt hat, die in unsern Tagen wuchert, hat dafür ein


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[0343] Das Theater als Kirche bilden sich die Franzosen wirtlich ein, sie seien demo- und nicht plutokratisch organisiert." , - Also es gibt wirklich eine „Schaubühne als moralische Anstalt", und zwar in einer Vorstadt von Paris. Aber ist es diese Art von moralischer Einwirkung, die unsre Ästheten meinen, wenn sie die Kirche durchs Theater verdrängen, ersetzen »vollen? Sie entrüsten sich ja geradezu, wenn man an das Kunstwerk den moralischen Maßstab anlegt, verwerfen jede moralische Tendenz und verkündigen den Grundsatz: 1'lire xonr 1'art; von den aus- gesprochnen Jmmoralisten und Antimoralisten unter ihnen gar nicht zu reden, ^ut sie dürfen sich sogar auf Schiller berufen, der das Kunstwerk nur mittelbar, durch seine ihm eigentümliche ästhetische Wirkung, auf die Moral einwirken lassen will, nicht unmittelbar durch Moralpredigt und moralisierende Tendenz. Diese hat er bekanntlich verspottet. Der Poet ist der Wirt, und der letzte Mus die Zeche: Wenn sich das Laster erbricht, setzt sich die Tugend zu Tisch. , . Da mir einmal „Shakespeares Schatten" zitieren, »vollen wir doch gleich "und die vorangehenden Verse hersetzen, obwohl sie eigentlich in eine später anzustellende Betrachtung gehören. „Was? Es dürste kein Cäsar auf euren Bühnen sich zeigen? Kein Achill, kein Orest, keine Andromache mehr?" Nichts! Man siehet bei uns nur Pfarrer, Kommerzienräte, Fändriche, Sekretärs oder Husarenmajors. „Aber ich bitte dich, Freund, was kann denn dieser Misere Großes begegnen, was kann Großes denn durch sie geschehn?" Was? Sie machen Kabale, sie leihen auf Pfänder, sie stecken Silberne Löffel ein, wagen den Pranger Shend das Zuchthauss und mehr. „Woher nehmt ihr denn aber das große, gigantische Schicksal, Welches den Menschen erhebt, wenn es den Menschen zermalmt?" Das sind Grillen! Uns selbst und unsre guten Bekannten, Unsern Jammer und Not suchen und finden wir hier. „Aber das habt ihr ja alles bequemer und besser zu Hause; Warum entfliehet ihr euch, wenn ihr euch selber nur sucht?" Ninus nicht übel, mein Heros, das ist ein verschiedener Kasus: Das Geschick, das ist blind, und der Poet ist gerecht. „Also eure Natur, die erbärmliche, trifft man auf euren Bühnen, die große nur nicht, nicht die unendliche an?" ^so für das Zeug, das seit einigen Jahrzehnten mit den Flaggen Realismus ""d Naturalismus gedeckt wird, war Schiller nicht zu haben; ihm gesteht er «Me erziehende, erhebende, veredelnde Wirkung auch dann nicht zu, wenn es Reh durch eine moralisierende Tendenz zu empfehlen sucht. Und wenn die Naturalisten noch die ganze Wirklichkeit abschrieben! Aber sie wählen be- ^nntlich mit Vorliebe das Widerlichste davon aus. Rinnsteinkunst, hat es rather Wilhelm der Zweite genannt; und Goethe, der doch nur die Anfänge leser Sorte Poesie erlebt hat, die in unsern Tagen wuchert, hat dafür ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/343>, abgerufen am 22.07.2024.