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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Bismarck und Thiers als Unterhändler

Zeitpunkt; gut bezeugt sind sie jedenfalls beide. Thiers allerdings erwähnt in
seinen Erinnerungen nichts derartiges.

"Über drei Stunden" währten am 1. November die Verhandlungen. Bei
der Mittagstafel äußerte Bismarck zu seiner Umgebung: auf die Bedingungen
hin, die Thiers stelle oder gewähren wolle, werde man sich Wohl nicht einigen
können.

Am folgenden Tage fand vormittags eine militärische Beratung beim König
in betreff des Waffenstillstandes statt. Um zwei Uhr erschien dann Thiers,
hatte wiederum eine fast dreistündige Unterhaltung mit Bismarck und bot einen
fünfundzwanzig- bis dreißigtägiger Waffenstillstand auf Grundlage des mili¬
tärischen Statusquo an; in seinem Entwurf bediente er sich der Wendung:
vontoruiöinsnt M vosn, 6es xuissanoös; sofort betrachtete ihn der Kanzler ä'un
g,ir, ani 8iAnitig.it <^us oss xui5halte6s n'öxiswisnt xa>8 xour lui, und darauf
will Thiers schleunigst erwidert haben: -le rktranonsriii oss mots, mais les
xu.i38ÄNoes neueres n'en sxistsront pas molli8 et no vo88eront x^8 as eoraxtsr
en Luroxe. Um ihm jedoch zu beweisen, daß er auf Nußland nicht bauen
könne, ließ Bismarck die Aktenmappe holen und gab ihm die betreffenden Schrift¬
stücke selbst zu lesen. Dann schlug der Kanzler seinerseits, wie Thiers berichtet,
eine Waffenstillstandsdauer von achtundvierzig Stunden vor und machte die
Lebensmittellieferung von der Übergabe des Mont Valerien abhängig; schließlich
einigte man sich dahin, das Gutachten der Militärs über die Frage nochmals ein¬
zuholen. Darauf verabschiedete sich Thiers "mit ziemlich vergnügten Gesicht".

Am 3. November fingen die Erörterungen um zwölf Uhr an. Kurz nach
ihrem Beginn wurde Thiers dadurch überrascht, daß Bismarck plötzlich an ihn
die Frage richtete, "ob er noch mit den zur Fortsetzung der Verhandlungen
nötigen Vollmachten versehen sei". Seit seiner Abreise aus Paris hatte er,
wie er in seinen "Erinnerungen" offen ausspricht, häufig mit Besorgnis an
den Verlauf der dortigen Unruhen gedacht. Jetzt mußte er vom Kanzler ver¬
nehmen: nach Meldungen der Vorposten sei in Paris eine Revolution aus¬
gebrochen. Da ward er "sichtlich betroffen". Bismarck schloß daraus, daß er
einen "Sieg der Noten" für möglich hielt, und beharrte unerbittlich auf seinen
Bedingungen.*) Thiers empfahl sich darauf halb drei Uhr "mit weniger
heitrer Miene" als tags zuvor und sandte seinen Begleiter Cocherh in die
Hauptstadt. Dieser erfuhr, daß die Negierung vom 4. September noch bestand.
Thiers weilte dann "von neun bis nach zehn Uhr" abermals bei Bismarck
und hatte an dem Tage auch mit Ernst von Koburg eine längere Unterredung,
aus der dem Herzog der Eindruck blieb, "daß an einen Friedensschluß noch
sehr lange nicht zu denken sein werde".

Freitag den 4. November begann um elf Uhr die Verhandlung und
wurde von neun bis nach elf fortgesetzt. Über die Friedensbedingungen, die



Vgl. auch die Tagebücher des Kaisers Friedrich (Berlin, 1902) S. 118.
Bismarck und Thiers als Unterhändler

Zeitpunkt; gut bezeugt sind sie jedenfalls beide. Thiers allerdings erwähnt in
seinen Erinnerungen nichts derartiges.

„Über drei Stunden" währten am 1. November die Verhandlungen. Bei
der Mittagstafel äußerte Bismarck zu seiner Umgebung: auf die Bedingungen
hin, die Thiers stelle oder gewähren wolle, werde man sich Wohl nicht einigen
können.

Am folgenden Tage fand vormittags eine militärische Beratung beim König
in betreff des Waffenstillstandes statt. Um zwei Uhr erschien dann Thiers,
hatte wiederum eine fast dreistündige Unterhaltung mit Bismarck und bot einen
fünfundzwanzig- bis dreißigtägiger Waffenstillstand auf Grundlage des mili¬
tärischen Statusquo an; in seinem Entwurf bediente er sich der Wendung:
vontoruiöinsnt M vosn, 6es xuissanoös; sofort betrachtete ihn der Kanzler ä'un
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will Thiers schleunigst erwidert haben: -le rktranonsriii oss mots, mais les
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en Luroxe. Um ihm jedoch zu beweisen, daß er auf Nußland nicht bauen
könne, ließ Bismarck die Aktenmappe holen und gab ihm die betreffenden Schrift¬
stücke selbst zu lesen. Dann schlug der Kanzler seinerseits, wie Thiers berichtet,
eine Waffenstillstandsdauer von achtundvierzig Stunden vor und machte die
Lebensmittellieferung von der Übergabe des Mont Valerien abhängig; schließlich
einigte man sich dahin, das Gutachten der Militärs über die Frage nochmals ein¬
zuholen. Darauf verabschiedete sich Thiers „mit ziemlich vergnügten Gesicht".

Am 3. November fingen die Erörterungen um zwölf Uhr an. Kurz nach
ihrem Beginn wurde Thiers dadurch überrascht, daß Bismarck plötzlich an ihn
die Frage richtete, „ob er noch mit den zur Fortsetzung der Verhandlungen
nötigen Vollmachten versehen sei". Seit seiner Abreise aus Paris hatte er,
wie er in seinen „Erinnerungen" offen ausspricht, häufig mit Besorgnis an
den Verlauf der dortigen Unruhen gedacht. Jetzt mußte er vom Kanzler ver¬
nehmen: nach Meldungen der Vorposten sei in Paris eine Revolution aus¬
gebrochen. Da ward er „sichtlich betroffen". Bismarck schloß daraus, daß er
einen „Sieg der Noten" für möglich hielt, und beharrte unerbittlich auf seinen
Bedingungen.*) Thiers empfahl sich darauf halb drei Uhr „mit weniger
heitrer Miene" als tags zuvor und sandte seinen Begleiter Cocherh in die
Hauptstadt. Dieser erfuhr, daß die Negierung vom 4. September noch bestand.
Thiers weilte dann „von neun bis nach zehn Uhr" abermals bei Bismarck
und hatte an dem Tage auch mit Ernst von Koburg eine längere Unterredung,
aus der dem Herzog der Eindruck blieb, „daß an einen Friedensschluß noch
sehr lange nicht zu denken sein werde".

Freitag den 4. November begann um elf Uhr die Verhandlung und
wurde von neun bis nach elf fortgesetzt. Über die Friedensbedingungen, die



Vgl. auch die Tagebücher des Kaisers Friedrich (Berlin, 1902) S. 118.
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[0334] Bismarck und Thiers als Unterhändler Zeitpunkt; gut bezeugt sind sie jedenfalls beide. Thiers allerdings erwähnt in seinen Erinnerungen nichts derartiges. „Über drei Stunden" währten am 1. November die Verhandlungen. Bei der Mittagstafel äußerte Bismarck zu seiner Umgebung: auf die Bedingungen hin, die Thiers stelle oder gewähren wolle, werde man sich Wohl nicht einigen können. Am folgenden Tage fand vormittags eine militärische Beratung beim König in betreff des Waffenstillstandes statt. Um zwei Uhr erschien dann Thiers, hatte wiederum eine fast dreistündige Unterhaltung mit Bismarck und bot einen fünfundzwanzig- bis dreißigtägiger Waffenstillstand auf Grundlage des mili¬ tärischen Statusquo an; in seinem Entwurf bediente er sich der Wendung: vontoruiöinsnt M vosn, 6es xuissanoös; sofort betrachtete ihn der Kanzler ä'un g,ir, ani 8iAnitig.it <^us oss xui5halte6s n'öxiswisnt xa>8 xour lui, und darauf will Thiers schleunigst erwidert haben: -le rktranonsriii oss mots, mais les xu.i38ÄNoes neueres n'en sxistsront pas molli8 et no vo88eront x^8 as eoraxtsr en Luroxe. Um ihm jedoch zu beweisen, daß er auf Nußland nicht bauen könne, ließ Bismarck die Aktenmappe holen und gab ihm die betreffenden Schrift¬ stücke selbst zu lesen. Dann schlug der Kanzler seinerseits, wie Thiers berichtet, eine Waffenstillstandsdauer von achtundvierzig Stunden vor und machte die Lebensmittellieferung von der Übergabe des Mont Valerien abhängig; schließlich einigte man sich dahin, das Gutachten der Militärs über die Frage nochmals ein¬ zuholen. Darauf verabschiedete sich Thiers „mit ziemlich vergnügten Gesicht". Am 3. November fingen die Erörterungen um zwölf Uhr an. Kurz nach ihrem Beginn wurde Thiers dadurch überrascht, daß Bismarck plötzlich an ihn die Frage richtete, „ob er noch mit den zur Fortsetzung der Verhandlungen nötigen Vollmachten versehen sei". Seit seiner Abreise aus Paris hatte er, wie er in seinen „Erinnerungen" offen ausspricht, häufig mit Besorgnis an den Verlauf der dortigen Unruhen gedacht. Jetzt mußte er vom Kanzler ver¬ nehmen: nach Meldungen der Vorposten sei in Paris eine Revolution aus¬ gebrochen. Da ward er „sichtlich betroffen". Bismarck schloß daraus, daß er einen „Sieg der Noten" für möglich hielt, und beharrte unerbittlich auf seinen Bedingungen.*) Thiers empfahl sich darauf halb drei Uhr „mit weniger heitrer Miene" als tags zuvor und sandte seinen Begleiter Cocherh in die Hauptstadt. Dieser erfuhr, daß die Negierung vom 4. September noch bestand. Thiers weilte dann „von neun bis nach zehn Uhr" abermals bei Bismarck und hatte an dem Tage auch mit Ernst von Koburg eine längere Unterredung, aus der dem Herzog der Eindruck blieb, „daß an einen Friedensschluß noch sehr lange nicht zu denken sein werde". Freitag den 4. November begann um elf Uhr die Verhandlung und wurde von neun bis nach elf fortgesetzt. Über die Friedensbedingungen, die Vgl. auch die Tagebücher des Kaisers Friedrich (Berlin, 1902) S. 118.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/334>, abgerufen am 22.07.2024.