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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Bismarck und Thiers als Unterhändler

von der provisorischen Regierung von zehn Uhr abends bis drei Uhr morgens
verhandelt, sei um sechs Uhr schon aufgestanden und hätte bis nach zwei allerlei
Besuche erledigt. Bei dieser Schilderung entschlüpfte ihm fast wider Willen die
Bemerkung, "daß etwas Erregung in Paris herrsche". Die sieben Be¬
sprechungen mit Bismarck fanden vom 1. bis 6. November statt und dauerten
im ganzen etwa neunzehn Stunden; Thiers Behauptung, er habe sich vom
1. bis 3. "täglich meist zweimal" mit dem Kanzler unterredet, ist nicht ganz zu¬
treffend: es geschah nur am 3., außerdem am 4. Mehrere Stunden währten
alle Unterhandlungen, abgesehen vom 6. Ihnen legte Hatzfeld, wie er am
1. November schreibt, "gerade jetzt keine große Bedeutung bei. Dieses Volk ist
noch nicht überzeugt, daß es geschlagen worden ist." Und Abeken meinte am 2.:
"Ich habe nicht das Gefühl, daß man mit Thiers zu etwas kommen wird, weil
er keine reale Macht mehr hinter sich hat." Wie sehr beide das Nichtige trafen,
sollte sich bald zeigen.

Am ersten Verhandlungstage, Dienstag, den 1. November, gab Thiers gleich
zu Anfang die "echt französische Erklärung ab, daß nur auf den Wunsch der
neutralen Mächte Frankreich sich zu Verhandlungen über den Waffenstillstand
herbeilasse, worauf Bismarck ihm kategorisch bemerkte, mit den Neutralen hätte
Preußen schon selbst Verbindung"*), und eine rechtmäßige, wirklich anerkannte
Regierung, mit der er abschließen könne, gäbe es zurzeit ja gar nicht. Diese
Tatsache bedeutete eine eigenartige, nach den geläufigen Grundsätzen des Völker¬
rechts nicht zu lösende Schwierigkeit für den Kanzler, deren schließliche glück¬
liche Überwindung zu seinen hervorragendsten diplomatischen Erfolgen zu rechnen
ist. Vom Könige Wilhelm dem Ersten nun war er, wie in dem erwähnten
Rundschreiben hervorgehoben wird, ermächtigt worden, "um einen ersten, ent¬
gegenkommenden Schritt zum Frieden zu tun, Herrn Thiers behufs Vornahme
der Wahlen für eine französische Volksvertretung mit der Gewährung eines
Waffenstillstands auf fünfundzwanzig oder achtundzwanzig Tage auf dem Grund
des einfachen militärischen Stcitusquo am Tage der Unterzeichnung entgegen¬
zukommen"; in bezug auf die Wahlen im Elsaß sollte "die Zugehörigkeit der
deutschen Departements zu Frankreich vor dem Friedensschlüsse" nicht in Frage
gestellt werden. Bismarck war erstaunt, als der Franzose diese Vorschläge,
"bei welchen alle Vorteile auf französischer Seite waren", ablehnte und nur
dann auf einen Waffenstillstand eingehn wollte, "wenn er die Zulassung einer
umfassenden Verproviantierung von Paris einschlösse". Daß Bismarck es war,
der auf diese Frage zuerst zu sprechen kam, wie Thiers behauptet, muß als
nicht recht glaublich erscheinen. Der Kanzler verlangte dann seinerseits aber
ein militärisches Gegenzugeständnis, zum Beispiel Auslieferung eines Pariser
Forts, was er schon im September von Favre gefordert hatte. Thiers dagegen
erklärte, nichts bieten zu können "als die Bereitwilligkeit der Pariser Negierung,



Denkwürdigkeiten des Fürsten Hohenlohe II (1907), S. 27.
Bismarck und Thiers als Unterhändler

von der provisorischen Regierung von zehn Uhr abends bis drei Uhr morgens
verhandelt, sei um sechs Uhr schon aufgestanden und hätte bis nach zwei allerlei
Besuche erledigt. Bei dieser Schilderung entschlüpfte ihm fast wider Willen die
Bemerkung, „daß etwas Erregung in Paris herrsche". Die sieben Be¬
sprechungen mit Bismarck fanden vom 1. bis 6. November statt und dauerten
im ganzen etwa neunzehn Stunden; Thiers Behauptung, er habe sich vom
1. bis 3. „täglich meist zweimal" mit dem Kanzler unterredet, ist nicht ganz zu¬
treffend: es geschah nur am 3., außerdem am 4. Mehrere Stunden währten
alle Unterhandlungen, abgesehen vom 6. Ihnen legte Hatzfeld, wie er am
1. November schreibt, „gerade jetzt keine große Bedeutung bei. Dieses Volk ist
noch nicht überzeugt, daß es geschlagen worden ist." Und Abeken meinte am 2.:
„Ich habe nicht das Gefühl, daß man mit Thiers zu etwas kommen wird, weil
er keine reale Macht mehr hinter sich hat." Wie sehr beide das Nichtige trafen,
sollte sich bald zeigen.

Am ersten Verhandlungstage, Dienstag, den 1. November, gab Thiers gleich
zu Anfang die „echt französische Erklärung ab, daß nur auf den Wunsch der
neutralen Mächte Frankreich sich zu Verhandlungen über den Waffenstillstand
herbeilasse, worauf Bismarck ihm kategorisch bemerkte, mit den Neutralen hätte
Preußen schon selbst Verbindung"*), und eine rechtmäßige, wirklich anerkannte
Regierung, mit der er abschließen könne, gäbe es zurzeit ja gar nicht. Diese
Tatsache bedeutete eine eigenartige, nach den geläufigen Grundsätzen des Völker¬
rechts nicht zu lösende Schwierigkeit für den Kanzler, deren schließliche glück¬
liche Überwindung zu seinen hervorragendsten diplomatischen Erfolgen zu rechnen
ist. Vom Könige Wilhelm dem Ersten nun war er, wie in dem erwähnten
Rundschreiben hervorgehoben wird, ermächtigt worden, „um einen ersten, ent¬
gegenkommenden Schritt zum Frieden zu tun, Herrn Thiers behufs Vornahme
der Wahlen für eine französische Volksvertretung mit der Gewährung eines
Waffenstillstands auf fünfundzwanzig oder achtundzwanzig Tage auf dem Grund
des einfachen militärischen Stcitusquo am Tage der Unterzeichnung entgegen¬
zukommen"; in bezug auf die Wahlen im Elsaß sollte „die Zugehörigkeit der
deutschen Departements zu Frankreich vor dem Friedensschlüsse" nicht in Frage
gestellt werden. Bismarck war erstaunt, als der Franzose diese Vorschläge,
„bei welchen alle Vorteile auf französischer Seite waren", ablehnte und nur
dann auf einen Waffenstillstand eingehn wollte, „wenn er die Zulassung einer
umfassenden Verproviantierung von Paris einschlösse". Daß Bismarck es war,
der auf diese Frage zuerst zu sprechen kam, wie Thiers behauptet, muß als
nicht recht glaublich erscheinen. Der Kanzler verlangte dann seinerseits aber
ein militärisches Gegenzugeständnis, zum Beispiel Auslieferung eines Pariser
Forts, was er schon im September von Favre gefordert hatte. Thiers dagegen
erklärte, nichts bieten zu können „als die Bereitwilligkeit der Pariser Negierung,



Denkwürdigkeiten des Fürsten Hohenlohe II (1907), S. 27.
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[0332] Bismarck und Thiers als Unterhändler von der provisorischen Regierung von zehn Uhr abends bis drei Uhr morgens verhandelt, sei um sechs Uhr schon aufgestanden und hätte bis nach zwei allerlei Besuche erledigt. Bei dieser Schilderung entschlüpfte ihm fast wider Willen die Bemerkung, „daß etwas Erregung in Paris herrsche". Die sieben Be¬ sprechungen mit Bismarck fanden vom 1. bis 6. November statt und dauerten im ganzen etwa neunzehn Stunden; Thiers Behauptung, er habe sich vom 1. bis 3. „täglich meist zweimal" mit dem Kanzler unterredet, ist nicht ganz zu¬ treffend: es geschah nur am 3., außerdem am 4. Mehrere Stunden währten alle Unterhandlungen, abgesehen vom 6. Ihnen legte Hatzfeld, wie er am 1. November schreibt, „gerade jetzt keine große Bedeutung bei. Dieses Volk ist noch nicht überzeugt, daß es geschlagen worden ist." Und Abeken meinte am 2.: „Ich habe nicht das Gefühl, daß man mit Thiers zu etwas kommen wird, weil er keine reale Macht mehr hinter sich hat." Wie sehr beide das Nichtige trafen, sollte sich bald zeigen. Am ersten Verhandlungstage, Dienstag, den 1. November, gab Thiers gleich zu Anfang die „echt französische Erklärung ab, daß nur auf den Wunsch der neutralen Mächte Frankreich sich zu Verhandlungen über den Waffenstillstand herbeilasse, worauf Bismarck ihm kategorisch bemerkte, mit den Neutralen hätte Preußen schon selbst Verbindung"*), und eine rechtmäßige, wirklich anerkannte Regierung, mit der er abschließen könne, gäbe es zurzeit ja gar nicht. Diese Tatsache bedeutete eine eigenartige, nach den geläufigen Grundsätzen des Völker¬ rechts nicht zu lösende Schwierigkeit für den Kanzler, deren schließliche glück¬ liche Überwindung zu seinen hervorragendsten diplomatischen Erfolgen zu rechnen ist. Vom Könige Wilhelm dem Ersten nun war er, wie in dem erwähnten Rundschreiben hervorgehoben wird, ermächtigt worden, „um einen ersten, ent¬ gegenkommenden Schritt zum Frieden zu tun, Herrn Thiers behufs Vornahme der Wahlen für eine französische Volksvertretung mit der Gewährung eines Waffenstillstands auf fünfundzwanzig oder achtundzwanzig Tage auf dem Grund des einfachen militärischen Stcitusquo am Tage der Unterzeichnung entgegen¬ zukommen"; in bezug auf die Wahlen im Elsaß sollte „die Zugehörigkeit der deutschen Departements zu Frankreich vor dem Friedensschlüsse" nicht in Frage gestellt werden. Bismarck war erstaunt, als der Franzose diese Vorschläge, „bei welchen alle Vorteile auf französischer Seite waren", ablehnte und nur dann auf einen Waffenstillstand eingehn wollte, „wenn er die Zulassung einer umfassenden Verproviantierung von Paris einschlösse". Daß Bismarck es war, der auf diese Frage zuerst zu sprechen kam, wie Thiers behauptet, muß als nicht recht glaublich erscheinen. Der Kanzler verlangte dann seinerseits aber ein militärisches Gegenzugeständnis, zum Beispiel Auslieferung eines Pariser Forts, was er schon im September von Favre gefordert hatte. Thiers dagegen erklärte, nichts bieten zu können „als die Bereitwilligkeit der Pariser Negierung, Denkwürdigkeiten des Fürsten Hohenlohe II (1907), S. 27.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/332>, abgerufen am 22.07.2024.