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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Bismarck und Thiers als Unterhändler

welche Verhandlungen mit den Deutschen zu beginnen, und wollte zuvor fest¬
stellen, ob die französische Regierung in Tours überhaupt zu solchen Verhand¬
lungen geneigt sei, ehe er die russische Vermittlung dafür in Anspruch nahm.
Auf der Rückreise von Petersburg unterredete er sich in Wien dreimal, am 9. und
10. Oktober, mit dem berühmten Historiker Leopold Ranke*), der zeitlebens
eine gewisse Vorliebe für den französischen Fachgenossen empfand, und forderte
ihn auf, dem preußischen Könige zu berichten, er, Thiers, werde niemals der
Abtretung des Elsaß zustimmen, höchstens der Schleifung einiger Festungen.
Vielleicht schmeichelte sich der Franzose, eitel wie er war, mit der Hoffnung,
durch seine Persönlichkeit für sein Land Vorteile erlangen zu können. Während
er 1865 in Paris seinem Besucher Ranke gegenüber für die Bismarcksche Staats¬
kunst nicht das mindeste Verständnis gezeigt hatte, gab er in Wien seiner Be¬
wunderung für diese offnen und lebhaften Ausdruck, Selbstverständlich waren
die Unterredungen zwischen den beiden von gar keiner Bedeutung für den Ver¬
lauf der spätern Verhandlungen.

Wie kam es zu diesen? Wie trat Thiers mit dem deutschen Hauptquartier
in Beziehungen? Die Antwort auf diese Frage wirft ein eigentümliches Licht
auf die Zuverlässigkeit seiner Aufzeichnungen. An: 16. Oktober nämlich teilten
König Wilhelm und Bismarck unabhängig voneinander dein Grafen Fred Franken¬
berg persönlich mit, daß sich Thiers von Florenz aus, wo er vom 12. bis
18. Oktober weilte, beim Hauptquartier angemeldet habe. Dieser aber behauptet
seinerseits, Bismarck sei es gewesen, der ihm sofort nach dem Falle von Metz
die Reisepässe durch Vermittlung des Generals von der Tann und des Bischofs
Dupanloup von Orleans habe zugehn lassen; da er, Thiers, jedoch eine List
dahinter vermutete, habe er sie zurückgesandt. Der Vergleichs) dieses Berichts
mit den von Frankenberg bezeugten Tatsachen läßt Thiers Angaben in sich
zusammenfallen, so wahrscheinlich sie auf deu ersten Blick erscheinen mögen. Bis¬
marck hat unzweifelhaft nur einen von dem Bischof und von Thiers selbst ge¬
äußerten Wunsch erfüllt, und zwar um so lieber, als sich der Kaiser von Ru߬
land dafür verwandt hatte, daß der französische Staatsmann freien Paß durch
die Linien nach Paris erhalte -- so berichtete der Kanzler am 5. November in
einer Ministerkonferenz. Am 30. Oktober reiste Thiers in Begleitung des
russischen Generaladjutanten Fürsten Wittgenstein (dessen Anwesenheit "sehr un¬
gern" gesehen wurde, und über den "sehr sonderbare Gerüchte umgingen") durch
Versailles nach der Hauptstadt, wo er sich mit den verschiednen Mitgliedern der





Vgl. dessen Sämtliche Werke llV, S. S84ff.
Kriegstagebücher S, 220ff,
Küntzels quellenkritische Schrift über Thiers Memoiren (Bonn, 1905, Fr. Cohen)
geht näher darauf ein S, 41 ff. Bei K. finden sich zwei falsche Zeitangaben: S, 41 steht No¬
vember statt Oktober, und S. 41 ist Is. statt 16. zu lesen; S. SO stört der Druckfehler Re¬
solution statt Revolution. Den Ergebnissen der Küntzelschen Untersuchungen stimme ich im all¬
gemeinen durchaus bei.
Bismarck und Thiers als Unterhändler

welche Verhandlungen mit den Deutschen zu beginnen, und wollte zuvor fest¬
stellen, ob die französische Regierung in Tours überhaupt zu solchen Verhand¬
lungen geneigt sei, ehe er die russische Vermittlung dafür in Anspruch nahm.
Auf der Rückreise von Petersburg unterredete er sich in Wien dreimal, am 9. und
10. Oktober, mit dem berühmten Historiker Leopold Ranke*), der zeitlebens
eine gewisse Vorliebe für den französischen Fachgenossen empfand, und forderte
ihn auf, dem preußischen Könige zu berichten, er, Thiers, werde niemals der
Abtretung des Elsaß zustimmen, höchstens der Schleifung einiger Festungen.
Vielleicht schmeichelte sich der Franzose, eitel wie er war, mit der Hoffnung,
durch seine Persönlichkeit für sein Land Vorteile erlangen zu können. Während
er 1865 in Paris seinem Besucher Ranke gegenüber für die Bismarcksche Staats¬
kunst nicht das mindeste Verständnis gezeigt hatte, gab er in Wien seiner Be¬
wunderung für diese offnen und lebhaften Ausdruck, Selbstverständlich waren
die Unterredungen zwischen den beiden von gar keiner Bedeutung für den Ver¬
lauf der spätern Verhandlungen.

Wie kam es zu diesen? Wie trat Thiers mit dem deutschen Hauptquartier
in Beziehungen? Die Antwort auf diese Frage wirft ein eigentümliches Licht
auf die Zuverlässigkeit seiner Aufzeichnungen. An: 16. Oktober nämlich teilten
König Wilhelm und Bismarck unabhängig voneinander dein Grafen Fred Franken¬
berg persönlich mit, daß sich Thiers von Florenz aus, wo er vom 12. bis
18. Oktober weilte, beim Hauptquartier angemeldet habe. Dieser aber behauptet
seinerseits, Bismarck sei es gewesen, der ihm sofort nach dem Falle von Metz
die Reisepässe durch Vermittlung des Generals von der Tann und des Bischofs
Dupanloup von Orleans habe zugehn lassen; da er, Thiers, jedoch eine List
dahinter vermutete, habe er sie zurückgesandt. Der Vergleichs) dieses Berichts
mit den von Frankenberg bezeugten Tatsachen läßt Thiers Angaben in sich
zusammenfallen, so wahrscheinlich sie auf deu ersten Blick erscheinen mögen. Bis¬
marck hat unzweifelhaft nur einen von dem Bischof und von Thiers selbst ge¬
äußerten Wunsch erfüllt, und zwar um so lieber, als sich der Kaiser von Ru߬
land dafür verwandt hatte, daß der französische Staatsmann freien Paß durch
die Linien nach Paris erhalte — so berichtete der Kanzler am 5. November in
einer Ministerkonferenz. Am 30. Oktober reiste Thiers in Begleitung des
russischen Generaladjutanten Fürsten Wittgenstein (dessen Anwesenheit „sehr un¬
gern" gesehen wurde, und über den „sehr sonderbare Gerüchte umgingen") durch
Versailles nach der Hauptstadt, wo er sich mit den verschiednen Mitgliedern der





Vgl. dessen Sämtliche Werke llV, S. S84ff.
Kriegstagebücher S, 220ff,
Küntzels quellenkritische Schrift über Thiers Memoiren (Bonn, 1905, Fr. Cohen)
geht näher darauf ein S, 41 ff. Bei K. finden sich zwei falsche Zeitangaben: S, 41 steht No¬
vember statt Oktober, und S. 41 ist Is. statt 16. zu lesen; S. SO stört der Druckfehler Re¬
solution statt Revolution. Den Ergebnissen der Küntzelschen Untersuchungen stimme ich im all¬
gemeinen durchaus bei.
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[0330] Bismarck und Thiers als Unterhändler welche Verhandlungen mit den Deutschen zu beginnen, und wollte zuvor fest¬ stellen, ob die französische Regierung in Tours überhaupt zu solchen Verhand¬ lungen geneigt sei, ehe er die russische Vermittlung dafür in Anspruch nahm. Auf der Rückreise von Petersburg unterredete er sich in Wien dreimal, am 9. und 10. Oktober, mit dem berühmten Historiker Leopold Ranke*), der zeitlebens eine gewisse Vorliebe für den französischen Fachgenossen empfand, und forderte ihn auf, dem preußischen Könige zu berichten, er, Thiers, werde niemals der Abtretung des Elsaß zustimmen, höchstens der Schleifung einiger Festungen. Vielleicht schmeichelte sich der Franzose, eitel wie er war, mit der Hoffnung, durch seine Persönlichkeit für sein Land Vorteile erlangen zu können. Während er 1865 in Paris seinem Besucher Ranke gegenüber für die Bismarcksche Staats¬ kunst nicht das mindeste Verständnis gezeigt hatte, gab er in Wien seiner Be¬ wunderung für diese offnen und lebhaften Ausdruck, Selbstverständlich waren die Unterredungen zwischen den beiden von gar keiner Bedeutung für den Ver¬ lauf der spätern Verhandlungen. Wie kam es zu diesen? Wie trat Thiers mit dem deutschen Hauptquartier in Beziehungen? Die Antwort auf diese Frage wirft ein eigentümliches Licht auf die Zuverlässigkeit seiner Aufzeichnungen. An: 16. Oktober nämlich teilten König Wilhelm und Bismarck unabhängig voneinander dein Grafen Fred Franken¬ berg persönlich mit, daß sich Thiers von Florenz aus, wo er vom 12. bis 18. Oktober weilte, beim Hauptquartier angemeldet habe. Dieser aber behauptet seinerseits, Bismarck sei es gewesen, der ihm sofort nach dem Falle von Metz die Reisepässe durch Vermittlung des Generals von der Tann und des Bischofs Dupanloup von Orleans habe zugehn lassen; da er, Thiers, jedoch eine List dahinter vermutete, habe er sie zurückgesandt. Der Vergleichs) dieses Berichts mit den von Frankenberg bezeugten Tatsachen läßt Thiers Angaben in sich zusammenfallen, so wahrscheinlich sie auf deu ersten Blick erscheinen mögen. Bis¬ marck hat unzweifelhaft nur einen von dem Bischof und von Thiers selbst ge¬ äußerten Wunsch erfüllt, und zwar um so lieber, als sich der Kaiser von Ru߬ land dafür verwandt hatte, daß der französische Staatsmann freien Paß durch die Linien nach Paris erhalte — so berichtete der Kanzler am 5. November in einer Ministerkonferenz. Am 30. Oktober reiste Thiers in Begleitung des russischen Generaladjutanten Fürsten Wittgenstein (dessen Anwesenheit „sehr un¬ gern" gesehen wurde, und über den „sehr sonderbare Gerüchte umgingen") durch Versailles nach der Hauptstadt, wo er sich mit den verschiednen Mitgliedern der Vgl. dessen Sämtliche Werke llV, S. S84ff. Kriegstagebücher S, 220ff, Küntzels quellenkritische Schrift über Thiers Memoiren (Bonn, 1905, Fr. Cohen) geht näher darauf ein S, 41 ff. Bei K. finden sich zwei falsche Zeitangaben: S, 41 steht No¬ vember statt Oktober, und S. 41 ist Is. statt 16. zu lesen; S. SO stört der Druckfehler Re¬ solution statt Revolution. Den Ergebnissen der Küntzelschen Untersuchungen stimme ich im all¬ gemeinen durchaus bei.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/330>, abgerufen am 22.07.2024.